Die Nymphe der Donau*.
Vox populi, vox dei. –
Die anspruchvolle Weisheit
verachtet mit stolzem Blick, – und läßt sich herab mit Nachsicht zuzuschauen; –
die hohe Kritik seufzt über das, was sie sieht, – und wird nicht müde zu sehen
und zu seufzen; – die heitere Empfänglichkeit lächelt, – die Gutmüthigkeit
duldet alles, und behält das Gute, – das Volk betet an, – das Theater ist
gefüllt von allen Sekten, – die Casse befindet sich wohl dabey, – und die
allmächtige Zeit nähert die Stimmen einander und söhnt sie aus.
Es ist ein Phänomen, welches
Aufmerksamkeit verdient; und wenn wir Fragmente schrieben, oder Blüthenstaub
sammleten, so würden wir neben den drey großen Tendenzen der Zeit, der
französischen Revoluzion, Wilhelm Meister, und Fichte’s Wissenschaftslehre, –
wenn anders diese tria juncta in uno – diese Dreyfaltigkeit – vierfältig werden
darf – noch die Nymphe der Donau als die vierte Tendenz annehmen. – So hätten
wir vielleicht die bittere, herbe, saure und süße Qualität, wie sie in dieser
Zeit quallet und strebet, und wie sie der göttliche Schuster in Görlitz
erschauen würde.
Die Vorstellung, daß die
klare Fluth des Stromes von einem schönen weiblichen Wesen bewohnt ist, hat
etwas anziehendes, und das Gemüth umfängt sie mit so brünstigerer Liebe, jemehr
es dadurch zu der Ahnung geführt wird, daß das ganze Universum auf diese Weise
beseelt sey, und daß der Mensch sich selbst nur als eine beseelte Partikel des
Universums betrachten könne. Die ganze Schöpfung erhält auf diese Weise eine
Bedeutung, und die Liebe knüpft das höhere Geschlecht wieder an die
Sterblichen. So schwimmen Körper und Geist in einander, das Wirkliche verliert
sich in das Mögliche, das Wahre in das Wahrscheinliche, der Geist fühlt sich
erhaben, das Herz beruhigt, denn es ahnt die allgemeine Liebe unter dem
Beseelten und Unbeseelten.
Der Scherz, welcher sich in
dies alles mischt, ist das glückliche Medium, durch welches alle diese Dinge
mit dem Herzen selbst verbunden werden. Die reine Glorie würde schrecken, das
Auge dem gewaltigen Glanze zu plötzlich geöffnet würde erblinden, der Geist vor
seiner Kraft zurückschaudern, und die Ahnung der großen Universalharmonie das
Herz verwirren. Nur im mildernden Lichte des Scherzes und der frohen Laune
nähern sich die großen Verhältnisse dem empfänglichen Herzen, und dieses Herz
wird eben dadurch muthig gemacht, den innigen Trieb der beseeligenden Liebe zu
dem Universum zu hegen, und zu nähern. – So erscheint das, was dem kalten
kritischen Blicke heterogene Theile seyn müssen, gerade als dasjenige, was die
Harmonie erst hervorbringt.
Wenn die tiefe Kritik, welche
die Augen der verblendeten Welt hoffentlich nächstens öffnen wird, erst mehr
Grund findet, und allgemeinen Boden gewinnt, so werden dies keine Paradoxen
mehr seyn. Ueberhaupt ist es eitler, weltlicher Stolz, wenn sich die platte
Kritik über des Volkes gültigere Stimme erhebt, welches in seinen Individuen
vollendet als reine Partikel des Universums erscheint. Wer nicht des Verstandes
scharfsinnige Einsicht mit den Schöpfungen der Phantasie und den Rührungen der
brünstigen Liebe eines zarten Herzens vereinen kann, der wird nie ein Universum
in sich selbst, und sich selbst in dem Universum anschauen.
Die zauberische Herrschaft,
welche die Nymphe über die ganze Natur ausübt, ist ein liebliches Vorbild der
Herrschaft, welche der Mensch selbst über die Natur auszuüben bestimmt ist. Sehr
glücklich hat der Dichter den mächtigsten Zauber in die weissen Tauben gelegt,
in denen der Mensch mit leichter Empfänglichkeit die höhere Natur ahnet, aber
es war zugleich Pflicht für ihn, auch im Extrem in Affen und Bären die Harmonie
zu zeigen. O! wenn werden die Menschen anfangen, nicht aus langweiliger
Gewohnheit, oder thörigter Dankbarkeit die Thiere zu lieben, sondern aus der
Ueberzeugung, daß auch sie Theile des Universums sind, dem der Mensch als
Partikel angehört; denn es läßt sich nicht zweifeln, daß die Menschen auch die
Sprache der Thiere verstehen werden, wenn sie sich nur des lächerlichen Stolzes
entkleiden, und diesen mit Unrecht verachteten Geschöpfen, in welchen der
Weltgeist sich oft reiner als in dem Menschen spiegelt, mehr assimiliren wollen.
Auch dieses hat der Dichter
dem, welcher sich auf solche Andeutungen versteht, nicht verborgen gelassen,
und in dieser Hinsicht hat der Gesang der Pagoden, Larifari Tschi, Tscharivari
mi, mit seinen hohen Aßonanzen, einen tiefen Sinn, und schließt den Blick in
eine neue schöne Welt auf, welche allein die Poesie zu öffnen vermag. Eben aber
weil hier die Entfernung zu groß ist, hat der Dichter hier mit tiefer Weisheit
und Einsicht, das glückliche Medium des Scherzes in die Form gelegt, wodurch
dem ernsten Sinne und der hohen Bedeutsamkeit kein Eintrag geschieht, das Ganze
aber dem liebenden Herzen näher gebracht, und gleichsam vermählt wird.
In einer sinnreichen
Verbindung mit der Form dieser Pagoden stehen die Kinder, die gleichsam reine
Bildungen der himmlischen Natur sind, und das Universum unvermischt abspiegeln.
Auf diese Weise knüpft sich der Faden des Ganzen wieder an, und das Gedicht ist
in sich selbst geschlossen. Die Unschuld der Kindlichkeit selbst verklärt sich
in dem Ey, aus welchem das Kind hervorspringt, und welches an die Tauben auf
eine zauberische Art erinnert.
Dies sind die Meinungen eines
unbefangenen Gemüthes, welches sich wohlwollend und liebevoll den Eindrücken
hingiebt, über ein von den Unverständigen oft angefeindetes Schauspiel. Wir
sind von der Wahrheit derselben so überzeugt, daß wir sie gegen jeden
vertheidigen würden, wenn sich mit den Feinden der hohen Anschauung vernünftig
sprechen ließe. – Das wird man uns übrigens aufs Wort glauben, daß die Nymphe
der Donau und die Jungfrau von Orleans ganz und gar eine und dieselbe Tendenz
haben.
Z.
* Eingesandt
Am 3ten Februar wurde denn endlich der zweite Theil der hier so allgemein beliebten, Donau-Nixe (die in Berlin vornehmer, Donau-Nympfe heißen muß) gegeben. Das Haus war von oben bis unten voll, und viele Menschen, die eine Stunde vor der Vorstellung, auch für doppeltes Legegeld keinen Platz mehr bekommen konnten, mußten wieder zurückkehren. Wenn es möglich wäre, daß ein Dichter und ein Komponist sich mit einander verabreden könnten, ausgesuchten Unsinn an das Tageslicht zu bringen, so müßte man glauben, es wäre hier geschehen. Geister, Hexen, Pajoden, Tauben, Affen, Bären, Ziegenböcke, Nympfen, kleine Kinder und erwachsene Menschen wechseln recht absichtlich mit einander ab, dem Publikum Sottisen, und gar oft gemeine Zweideutigkeiten vorzusagen und vorzusingen. Die Musik – wenn man dies edle Wort bei diesem Klingklange noch gebrauchen darf – ist viel trivialer, wie jene des ersten Theils. Man glaubt in einer Schenke zu seyn und die allergemeinsten Sätze zu hören. Die Maschienerien, Dekorazionen und Verwandlungen, worauf die Direkzion viel verwendet zu haben scheint, gehen sehr gut und unterhalten einmal, wie Taschenspielerkünste. Indessen hat doch das Publikum diese Vorstellung mit Wohlgefallen und rauschendem Beifall aufgenommen. Kein Schauspiel von Deutschlands ersten Dichtern, keine Oper von seinen größten Meistern können sich seit langer Zeit einer solchen ausgezeichneten Aufnahme auf hiesiger Bühne rühmen. Der Genius der Kunst verhüllt sein Antlitz und – trauert!
Den 3ten Februar zum Benefiz für
Herrn Bethmann zum erstenmale der zweite Theil der Nymphe der Donau. – So ist
denn endlich der langersehnte Genuß der Fortsetzung zu uns gekommen! Was man
auch sagen mag, folgendes steht fest: Die Art und das Süjet der Oper im Ganzen
ist gut, das Wohlgefallen des Publikums war höchst lebhaft und allgemein, der
Aufwand, mit welchem es gegeben wurde, war groß und mit Geschmack vereinigt,
die Veränderungen gingen Schlag auf Schlag mit einer überraschenden Präcision,
die Musik ist – für Liebhaber, die Bravourarie der Hulda im 3ten Akte wurde
vortrefflich gesungen[1];
alle, besonders Mad. Ennicke in ihren mannigfaltigen Gestalten, spielten mit
der lustigsten Laune. - Das Machwerk
selbst fällt nicht in die Kreise der Kritik; es ist, wie die Nothlüge, über
welche die Moral schweigt. Der Verfertiger hat sich indeß selbst übertroffen,
ganz neue Späße und Ueberraschungen erfunden, z. B. das Ei, aus welchem die
kleine Jungfer Salome kriecht, die Pagoden, die Geister vor der Pastete ec., nur
in der zu gedehnten Taubengeschichte, dem abermaligen Aufreiten des Larifari
mit Feuerwerk, den Bären u. d. gl. hat er eine gewisse Armuth des Genies
verrathen, die sich ein Poet seines Gleichen nicht zu Schulden kommen lassen
sollte. Die ganze Naturgeschichte und Fabellehre steht ihm ja offen, und er
dürfte keinen Menschen auf dem ordentlichen Wege auftreten und abgehen lassen,
so lange die Theater noch Stricke und Falllöcher haben. – Die Fragen Wie? warum
und wozu? sind völlig überflüssig, der Verstand entschärft bei dem ersten
Strich der Ouvertüre; und man hat ungefähr das Vergnügen, welches man bei dem
Besuch eines guten Taschenspielers genießt. Nur schade, daß die Sache auf einem
Theater vorgeht, auf welchem man Hamlet, Wallenstein, Iphigenia ec.[2] sieht.
– An der Vortrefflichkeit des Stücks wird übrigens niemand zweifeln, der an der
Kasse sitzt.
[1] Die Arie, welche Bertha singt, ist ohne
Zweifel von einem andern Komponisten; denn ob man gleich sieht, daß er
vorsetzlich mit Leichtigkeit gearbeitet hat, um nicht zu grell abzustechen, so
hat er seinen höheren Gehalt dennoch nicht verbergen können.
[2] Den 3ten ward die Nymphe
gegeben, den 4ten Maria Stuart, den 5ten wieder die Nymphe. Am mittleren Tage
war viel Raum im Hause, an den beiden andern kein leeres Plätzchen
Nationaltheater: Nymphe der Donau, Die, 2. Teil (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/49.
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