Mahomet, Trauerspiel nach Voltaire,
von Göthe
Wie bei Tancred, hat Göthe hier
eine Verdeutschung im edlen Sinne des Wortes vollendet, die Schönheiten des
Originals nach den Bedingungen unsrer Spracheigenthümlichkeit wiedergegeben,
und was an einer Seite nothwendig verloren ging, an der anderen aufgewogen. Dem
anmuthigen Feuer des französischen Dichters stellte der vaterländische einen
männlichen, bedeutenden, obwohl ruhigeren Ausdruck entgegen. Mehr hinreissend
bleibt Voltaire, was schon seine Alexandriner in ihrem klanghaften Wohllaute
begründen, die bezaubernde Wirkung des Augenblicks ließ sich in deutschen
Jamben nicht erreichen, doch tiefer rührt Göthe, der Nachhall des treffend und
mächtig Gesagten bleibt länger in der Seele zurück. Einer blendet mehr durch
helle Farbenspiele, der Andere leuchtet mit seiner Fackel dergestalt auf die
Gegenstände hin, daß man sie besonnener zu erkennen vermag. Dem Interesse nach,
steht aber Mahomet unter Tankred, denn Voltaire hat den glücklichen Religionsstifter
einmal mit seinem gewöhnlichen – nach seinen Zwecken freilich auch zu
vertheidigenden – Haß gegen Theosophen gezeichnet, und bei einem so wichtigen
Stoff auch den gebotenen Einheitsregeln, welche einen Charakter in den
möglichst engen dramatischen Fokus zu bringen aufgeben, zu ängstlich Folge
geleistet. Willkommener dürfte ein Mahomet auf der Bühne seyn, an welchem der
Dichter über jene Regeln mit Freiheit hinwegblickte, und sein Gemälde zu einem
fast epischen Umfang erweiterte. Dann könnten immer noch der Trug (L’Imposture)
der ungezähmte Ehrgeitz, der Tyrannensinn des Helden zum Vorschein kommen, aber
auch die erschütternde Kraft, womit er sein Zeitalter zu bewegen verstand. Die
Verkettung würde anschaulich, welche einst jene ihm huldigenden Völker so
schnell und gewaltig aneinander band, deren Element – Mahomets heiß
morgenländische poetische Abentheuerlichkeit mit einer seltenen Konsequenz
gepaart – Helvetius in seinem Werke: vom Geist, vortrefflich beleuchtete. Dies
hieße Mahomet Gerechtigkeit zuwenden. Wir haben es jedoch mit dem Trauerspiel
zu thun, wie es einmal vorhanden ist. Die Aufführung entsprach seinen, übrigens
immer noch zahlreichen, Schönheiten. Ein mit Geschmack und angemessen
verziertes Theater, wohlgewählte Kleidungen. Der Schauspieler, dem die Rolle
Mahomets zugetheilt war, gab sie mit edlem Anstand, einnehmendem Geberdenspiel
und sinniger Sprache. Da aber in dieser Rolle eine gewisse flammende Heftigkeit
liegt, und die Natur des Künstlers, der sie gab, mehr zum sanft Fühlbaren sich
hinneigt, so meinten einige Zuschauer, sie passe eigentlich für Herrn
Mattausch, was Ref. dahin gestellt seyn läßt. Wer den Begriff, welchen er von
einem morgenländischen hohen Patriarchen in sich trägt, durch ein Außenbild
versinnlicht begehrt, gehe hin und sehe Iffland den Scherif Sopir darstellen.
Dies sey genug über ihn. Die kindlichen, liebenden, dankbaren Verhältnisse mit
Rührung und Jugendleben wahrnehmend, spielte Herr Rebenstein als Seide, und
legte einen neuen Beweis ab, es sey ihm vollen Ernstes darum zu thun, einen
vorzüglichen Rang im Gebiete der Kunst zu erwerben. Mll. Beck, als Palmire,
empfing lauten und wohlverdienten Beifall.
Königliches Nationaltheater Den 29 Dezbr. zum erstenmale: Mahomet, Trauerspiel nach Voltaire von Göthe. Voltairs Mahomet war Friedrichs II. Lieblingstrauerspiel. Im Jahr 1742 hatte es ihm der Verfasser zugeeignet. Sie sollen mehrere Auftritte zusammen aufgeführt haben. Voltaire war Zopire, Friedrich Mahomet. Endlich widerstand der König nicht länger. Als 1774 Aufresne nach Russland reisete, und über Berlin kam, mußte er vor dem Könige spielen. Im folgenden Jahre traf Le Kain die Reihe. Beide führten Mahomet auf, mit dem Unterschiede, daß Aufresne den Zopire, Le Kain den Mahomet gab. Ich sah beide, leider nicht zusammen, sondern hintereinander, den 30sten Juli 1774 und den 20sten Juni 1775. Zopire machte auf den damaligen Jüngling einen tiefern, Mahomet einen stärkern Eindruck. Ich sprach fast wie Seide, „Ich höre Gottes Stimme!“ Solch’ einen Mahomet giebts nicht wieder. Le Kains Größe, Gestalt, Feuerauge, Donnerstimme; man denke sich dieses zusammen. Selbst seine Häßlichkeit (er glich dem Mirabeau) hielt sich hinter Bart und Turban verborgen. Aufresne hingegen bestach durch die lebendigste Natur; sein zitterndes Organ, sein schöner Kopf, seine priesterliche Haltung, seine Innigkeit, seine Ahndungen, die Stimme des Blutes in ihm, zauberten die Wirklichkeit, Arabien und Mecca, in das kleine Schauspielhaus bei Monbijou hin. Lebendig rief ihn nur an diesem Abend Hr. Iffland zurück. Den Mahomet fand ich nicht wieder. Le Kain machte nicht eine einzige schwingende Bewegung mit den Armen. Sie ruhten orientalisch übereinander. Er stand oft ganz unbeweglich. Nur mit dem Auge begleitete er die Sprache. Langsam und hohl, mehr als gebietend und rauh war seine Stimme: das Rauhe, das Gebietende lag im Omar. Le Kains Ausdruck des Stolzes war unbeschreiblich. Er wirkte sogar auf die Zuschauer. Sein erstes Erscheinen im zweiten Akt, sein Auftritt mit Zopiren, seine Schlußszene, und die Worte: Il est donc des remords? bleiben mir unvergeßlich. Was legte er nicht in das kleine Wort remords? Wie zitterte nicht die zweite Hälfte des Worts unwillkürlich aus ihm hervor? Wie sprach die Scham aus ihm bei dem Geständniß (Akt 2. Sc. 6), auch er, er Mahomet, müsse dem Pöbel zu gefallen streben. „Il faut pourtant lui plaire“. Diese Stelle hat Hr. von Göthe, ich weiß nicht warum, also verändert – „Achtest du den Pöbel? – Nein, doch muß er uns verehren;“ welches geradezu ein Widersinn ist. Doch es ist Zeit, oder vielmehr kaum noch Zeit, auf die heutige Vorstellung zu kommen. Herr Berschort (Mahomet) war nur stellenweise gut, Er gab den Auftritt mit Sopir, den mit Seide, „Verwegner, halt!“ überaus schön; Palmiren gegenüber war er schwankend. Sopir (Herr Iffland) war, wie schon oben erwähnt worden, ganz Aufresne. Selbst sein weißes Haar, im vierten Akt, erhobet die Wirkung. Er sprach das Gebet in heiliger Ferne, den Segen über seine Kinder im Augenblicke des Sterbens mit patriarchalischem Wesen aus. Auch im dritten Akte mit Seiden lag im Blick und Rede ein unwiderstehlicher Zug. Wohl sagt Seide mit Recht: „Ich fühle mich hinweggezogen zu dir, zu dir.“ Seide (Hr. Rebenstein) hat diese Scene und den ganzen vierten Akt mit vieler Kraft, das Uebrige mit Anmuth gegeben, bis auf die Scene, wo Mahomet ihm droht, und die letzte Erscheinung im fünften Akt. Palmieren (Dlle. Beck) gebührt das vollste Lob. Sie stieg zu einer Höhe, die nur von Wenigen erreicht werden dürfte! Ich wüßte nicht, was die strengste Kritik an ihr vermisse könnte. Omar (Hr. Lemm) hat der schönen Scene mit Sopir im ersten Akt Genüge geleistet. Ich behagte Weichheit; es lag aber nicht die geringste Spur davon in ihm. Er war ganz der Mann seiner Rolle. Bei der nächsten Anzeige will ich mein Urtheil über die Uebersetzung wagen.
Königliches Nationaltheater.
Den 3ten: Mahomet.
Die zweite Vorstellung dieses
Trauerspiels setzte das Talent und den Fleiß der Spielenden in ein neues Licht.
Mit dem Ueberblicke des Ganzen fertig, konnte der Zuschauer mehr Aufmerksamkeit
auf die einzelnen Theile wenden, in jede Rolle eingehen und den Werthe ihrer
Ausführung Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Meines Bedünkens ist Mahomet
nicht die erste Person. Er erregt wohl Schauder und eine Art von Bewunderung,
aber kein Interesse. Seine Politik ist alles; seine Liebe für Palmiren weniger
als nichts. Seine Erscheinung in Mecca hat zum Zweck, Sopiren zu gewinnen,
durch Vorspiegelung von Ehre, von Vortheil, von Rückgabe seiner Kinder; und
nachdem dieses nicht gelungen, folgt er dem Rathe Omar’s, und lässt Sopiren
durch Seiden (den Sohn), dem er Palmiren (die Schwester) zur Ehe verspricht und
vorher Gift beibringen ließ, ermorden. Dem kalten Ungeheuer läßt sich kein
Interesse abgewinnen. Nur im zweiten und dritten Akte liegt Großes in seiner
Rolle. Alles Interesse ruht auf Sopir, Palmire, Seide und dem unbekannten
Verhältnisse, in welchem sie stehen, und welches auf eine so grauenhafte Art
aufgedeckt wird. Sobald Sopir die Worte gesprochen: „Sie waren meine Kinder!“
ist das Stück zu Ende. Auch hatte Voltaire seinem Trauerspiel anfangs den
Titel: Der Fanatismus, gegeben. Nur nachdem der Abbé Desfontaines ganz Paris
mit dem Argwohn erfüllt, Voltaire wolle die Religion überhaupt als Fanatismus
verschreien; nachdem es ihm gelungen, nach der dritten Vorstellung das Stück
von der Bühne zurückzudrängen, veränderte Voltaire den Titel, und brachte es
1751 als Mahomet wieder zum Vorschein. Jetzt glaubte man einzusehen, daß er nur
gegen die Mahomedanische Religion zu Felde ziehe, und wurde beruhigt. Dieses,
und wie sehr Voltaire an diesem Trauerspiele gefeilet, geändert, den ganzen
5ten Akt umgeschmolzen u.s.w., ersieht man aus seinem gedruckten Briefwechsel.
Hieraus lassen sich alle Unwahrscheinlichkeiten im Stücke zwar nicht
entschuldigen, aber doch erklären, warum Seide bald freiwillig, bald als Geißel
erscheint; warum Mahomet Gewalt über ihn u. Palmiren behält, obschon beide in
Sopirs Pallaste sind; warum er und seine Krieger in diesem Pallaste freien
Zugang haben, u.s.w. Die erste dieser Unwahrscheinlichkeiten hat Hr. v. Göthe
in seiner Bearbeitung weggewischt. Um Seidens Erscheinung zu erklären, läßt er
Phanor zu Sopiren sagen: „Man spricht mit ihm (mit Omar) man tauschet Geisseln
aus; er bringt Seiden mit.“
Hrn. v. Göthe’s Uebersetzung ist
anfänglich so wörtlich, so getreu, daß er sogar das Qui? moi? des ersten Verses
durch Was? (Wer) Ich? übersetzt. Allmählig wird er freier, zuletzt geht er oft
ganz von Voltaire ab, und setzt sich an die Stelle. Im 4ten Akt, zwischen dem
1sten und 2ten Auftritt, schiebt er sogar einen Monolog Mahomets ein, der
gleich hernach abgeht und die Bühne ledig läßt; ein unverzeiliches dramatisches
Verbrechen in Voltaire’s Augen, welches ihn hier Hr. v. G. begehen läßt.
Mahomets großes (ich möchte beinahe sagen größtes) Verdienst liegt in der
Versifikation, in der Kraft, dem Wohllaut, dem Gange der Verse. Dieses
Verdienst verschwindet ganz in der Verdeutschung. In Schillers Phädra bleibt
der Uebersetzer dem Dichter, bis in den kleinsten Details, getreu. Im Mahomet
hingegen macht sich’s Hr. v. G. nicht nur bequemer, sondern sogar zum
Verdienste, mitzudenken und mitzusprechen, Ob mit Recht? mit Glück? Hierüber
mag folgende Stelle entscheiden. Sie ist einer der schönsten im Original, und
man darf glauben, daß Hr. v. G. mit Voltaire habe wetteifern wollen.
Akt
2. Sc. 5. Mahomet bietet Sopiren seine geraubten Kinder an, wenn er zu ihm
übergehen will. Sopiren antwortet:
Mahomet, je suis père, et je porte
un coeur tendre.
Après quinze ans d’ennuis,
retrouver mes enfans,
Les revoir, et mourir dans leurs
embrassemens,
C’est le premier des biens pour mon
ame attendrie.
Mais s’il faut à ton culte asservir ma patrie,
Ou de ma popre main les immoler tous deux;
Connois-moi, Mahomet: mon choix n’est pas douteux,
Adieu!
Hr. v. G. übersetzt:
Götter!
Zu welcher Prüfung habt ihr mich
gespart?
Ja ich bin Vater! Mahomet! ich
fühle,
Nach funfzehn Schmerzensjahren,
ganz das Glück,
Das mich erwartete, wenn ich sie*)
wieder
Vor mir erblickte, sie an dieses
Herz
Noch einmal schlösse. Gerne wollt’
ich sterben,
Von ihren Armen noch einmal
umfangen:
Doch wenn du forderst, daß ich
meinen Gott,
Mein Vaterland an dich verrathe,
mich
In schnöder Heuchelei vor dir
erniedrige;
So fordre lieber, daß ich die
Geliebten
Mit eignen Händen opfre; meine Wahl
Wird keinen Augenblick im Zweifel
schweben.
*) Das sie steht hier ohne alle Beziehung. Man muß
aus dem Sinne errathen, daß es auf Kinder geht.
Nationaltheater: Mahomet (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/511.
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