Herr Opitz war Figaro, und spielte diese Rolle, wie es sich erwarten
läßt, wenn ein denkender Künstler sie ausführt. Madame Unzelmann,
Susanne. Grazie und Liebenswürdigkeit bezeichnen in unnennbaren
Kleinigkeiten die Künstlerin, welche überall die Worte des Dichters in
Leben und Wirklichkeit überträgt. Da sind nirgends nur hergesagte
Worte, es sind Sachen und ihre Darstellung wird eine Begebenheit. Ihre
Bewegungen vollenden das Leben, und sind kein Trödelkram, der für sich
allein verkehrt, und einen andern Weg wandelt, als die Worte. Ihr
Muthwille wird nicht Schnippigkeit, ihr kleiner Zorn läßt stets die
Versöhnlichkeit aufdämmern, und ist fern von jener Bitterkeit, in deren
Vortrage man die Erzieherin vermißt und den Hausarzt. - Aber warum war
diese Susanna im Anfange schon im Hochzeitkleide, und weshalb war sie
bei der Hochzeit so ganz und gar übersilbert? Das darf Susanna nicht,
wenn sie ihrer Dame Achtung beweisen will. - Dem. Contat zu Paris ist
in weißem Krepp, mit leichtem Band erhoben, gekleidet. Sie ist ferner
bestimmt, im Spanischen Kostüm, welches der Sache angemessener ist als
das halb Griechische. Demoiselle Eigensatz giebt die Gräfin mit Anstand
und Feinheit. Der Page singt sehr herzlich, und man darf annehmen, daß
er auf deutliche Aussprache immer mehr Sorgfalt verwenden werde. Dmlle.
Bessel leistet diese Rolle in den Scenen, worin sie die männliche
Kleidung trägt, außerst bescheiden. Mad. Herdt, als Marcelline, ist
trefflich gekleidet und spielt recht brav. Herr Unzelmann belebte die
kleine Rolle des Antonio. Wenn der Graf das Billet empfangen hat, muß
er den Pagen zurücktreten lassen, der Susannens Krone trägt, in dieser
Veranstaltung, ohne hin zu sehen, mit einer Hand das Billet öffnen, da
er nicht hinsieht, sich in den Finger stechen, nun indem er den zweiten
Pagen mit Marzellinens Präsent herbei winkt, und ihn leichthin Befehle
zu geben scheint, sehr verstohlen lesen. Dann nur mit den Augen - nicht
mit Hin- und Hergehen - die Nadel suchen, finden und rasch aufgreifen.
Indeß müssen die Bäuerinnen der Gräfin Blumensträuße bieten. Indem
diese sie nimmt und dankt, wird ihr Blick von dem Grafen abgezogen.
Wenn diese Scene nicht mit aller Gewandheit der Galanterie und großen
Welt gegeben wird, wird sie zum Possenspiel. / Der Thronhimmel Sr.
Excellenz ist dürftig, das Bild darunter gleicht Gustav Adolph von
Schweden, nicht einem Könige von Spanien. Uebrigens wird bei dieser
Vorstellung fast eine baare halbe Stunde zu einer Umkleidung verwendet.
Die Schauspieler, wenn sie lange auf sich warten lassen, beweisen, daß
sie ihren Vortheil nicht verstehen. Es liegt in der Verwöhnung der
Menschennatur, daß man, indem jemand zum Ungebühr auf sich warten läßt,
während dessen en revange seine Fehler durchzugehen pflegt. Trift das
nur die Schauspieler? Was haben sie zu gewinnen! Mögen sie doch hernach
wie Adonis hervortreten; man ist einmal verdrießlich worden und glaubt
zu sehen, daß sie sich gern kleiden. - Ist aber das Umkleiden durchaus
nöthig, wie es denn das im Figaro unstreitig ist, so vergesse der
Schauspieler nicht, daß wenn er zu einem ganz vollendeten Anzuge, vom
Fuß bis zur Frisur, eine volle Viertelstunde gebraucht, er mehr
braucht, als vollendete Hofleute drauf verwenden, wenn es Eile gilt.
Gebraucht er aber noch mehr, so thun die Schauspieler besser, wenn sie
etlichen Schleifchen und Flitterchen entsagen und zur Handlung
eilen. Das Publikum weiß ihnen mehr Dank als dem köstlichsten Putz, auf
den es zu lange warten muß. (Der Schluß das nächstemal.)
Der Graf Almaviva ist eine schwere und nicht angenehme Rolle. Mit den Ansprüchen seines Standes ist er ein Raub aller Leidenschaften. Er sündigt immer, argwohnt immer, zürnt immer, und doch möchte er immer geliebt seyn, immer lieben und immer liebenswürdig seyn. Herr Mattausch giebt manche gute Stellen dieser Rolle, welcher seine Gestalt den äußern Anstand gut herleihet; nur die heftigen Augenblicke arten aus. Die schnelle Aufwallung wird Bitterkeit, und der Zorn des stolzen Mannes verliert den Stolz in gewissen nicht angenehmen Tonfällen und Bewegungen, welche nur die geringern Klassen in Zank gebrauchen. Da Herr Mattausch bei sehr bravem Talent vielen Fleiß beweiset, so ist es Pflicht der Theilnahme, ihn auf Abartungen, welche er sehr leicht ablegen wird, wie er einige bereits abgelegt hat, aufmerksam zu machen. / Mit dem Titel: La folle journée, hat der Verfasser allen Personen angezeigt, die im Stücke erscheinen, daß sie mit einem beträchtlichen Grade Leben über die gewöhnliche Lebhaftigkeit hinauf, bei ihren ersten Auftritten schon erscheinen müssen. Von Figaro an bis zu Fanchetten, hat jeder ein besonderes Interesse, was er an diesem Tage mit Gewißheit erfüllt hofft. Selbst die jungen Leute, die nur Gäste sind, haben die fröhliche Erwartung von Festen, Wein und Hochzeitscherzen. Von diesem Allen war wenig zu erblicken, und wenn man die Vorstellung wegen etlicher Ausnahmen auch nicht den finstern Tag nennen will, so müßte man sie den gleichgültigen Tag nennen, der lustige war es durchaus nicht. Vorstellungen dieser Art sollten die Schauspieler nie, ohne gewisse Vorbereitung, geben, und dadurch ihrer Sache gewisser seyn. Wie kläglich redeten die Gerichtspersonen in der schönen Scene, wo der Graf Gericht hält. Welche unleidliche Dehnung tödtete den Frohsinn ab.
Nationaltheater: Figaros Hochzeit (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/530.
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