Der gute Lafontaine freute sich, wenn er in seinem Alter das Märchen von der Eselshaut erzählen hörte. Warum sollte es mich nicht freuen, wenn ich das als Kind von meiner alten Pommerschen Wärterin so oft vorerzählte Märchen von Aschenbrödel vorstellen sehe? Man lebt nur einmal, und dieses einemal nur in der Blüthenzeit der Jugend, und in den frühesten Erinnerungen an diesselbe; sollte man auch selbst ein wenig als Aschenbrödel behandelt worden seyn. In der Kindheit und Jugend ist das Leben unser Eigenthum: späterhin wird es das Eigenthum Andrer. – Der Verfasser der Cendrillion, Hr. Estienne, dem unsre Bühne schon mehrere artige Kleinigkeiten in der Uebersetzung verdankt, hat das Verdienst, dieses Feenmärchen, dramatisirt zu haben. Das Einfache der altdeutschen Urerfindung, hat er durch Neben-Erfindungen, durch Kontraste und ohne Nachtheil des Grundstoffs gehoben und verziert; statt der Fee tritt eine Art von Zauberer, ein in die tiefsten Geheimnisse der Natur eingeweihter Erzieher des Fürsten auf. Der junge Fürst wird durch den letzten Willen seines Vaters zur schnellsten Wahl in der Ehe gezwungen. Sein Führer leitet unbemerkt die Schicksale des Fürsten und eines unschuldigen Mädchen zusammen. Röschen-Aescherling, vom eitlen Vater und zwei aus Stolz und Neid zusammengesetzten Schwestern verfolgt und gedrückt, bewahrt das reinste Wohlwollen im Herzen, verbunden mit der unschuldigsten Einfalt, und siegt durch Natur und Gefühl über Kunst, Talent und Trugspiel. Hrn. Estienne ist Cendrillions Zeichnung in lauter kleinen interessanten Zügen, ihr Uebergang von der Unbildung zur Bildung vermittelst der magischen Rose, das Entstehen und die Lieblichkeit ihrer Liebe, über die Maßen gelungen. Die Rivalität der Schwestern, die Wichtigkeit des Vaters, die Verkleidung des Fürsten, das Benehmen des Stallmeisters, sind schon alltäglichere Pinselstriche, gröbere Züge, doch nicht ohne Verdienst, und eines künstlichen unterhaltenden Spiels fähig. Dieses Spiel, mehr noch als die Musik, verdient alle Rücksicht, allen Fleiß der Künstler. Ihm verdankt das Stück in Paris den unerhörten Beifall. Es wird nicht als Singspiel, es wird als Schauspiel gewürdigt, geschätzt, mit immer neuem Vergnügen gesehen. Dort ist der Vater ein Gaskonier, der Stallmeister ein flacher flüchtiger Stutzer voll Dreistigkeit und ohne Erziehung, der Fürst ein folgsamer, sanfter Zögling, dabei zugleich ein junger feuriger Liebhaber, der immer auf dem Punkt steht, aus der angenommenen Rolle zu fallen, und dem man das Ankämpfen gegen seine Ungeduld und Verstellung ansehen muß. Cendrillion ist die reine Natur, die reine Liebenswürdigkeit. Ihre Schwestern, der Ego•smon und die Eitelkeit selbst, hinter dem leichten Schleier der Gleichgültigkeit und Entsagung verborgen. Glückliche Nachahmer finde ich in Dlle. Henriette Fleck, in Mad. Müller, in Hrn. Rebenstein wieder. Undankbar wäre es, von den Bemühungen und Kosten der Direktion bei den Dekorationen und dem Theaterpomp des Stücks zu schweigen. Das Ende des ersten Akts ist eine der lieblichsten Luftfahrten, die Berlin je sah, und – wenn ich sie so nennen darf, ein Nachstück zu der heroischen Entführung Rinalds durch Armiden. Die Dekoration im 2ten und 3ten Akt hat das vorzügliche und neue, das Decke und Seitenwände nicht, wie gewöhnlich, unterbrochen, Suffetten- und Coulissenartig zusammengereiht sind, sondern aus einem Stück zu bestehen scheinen. Die Wirkung ist überaus angenehm, und die Beleuchtung leidet nicht darunter. Möge doch Aescherling hier eben das Glück machen, als in Frankreich; um so natürlicher ist dieser Wunsch, da er patriotisch, da Aschenbrödel ein rein-deutsches, ein pommersches Produkt ist, und von seiner Urgestalt nur wenig verloren hat. Freilich würde die Wirkung weit größer seyn, wenn alte und neue Form der Darstellung nicht so sehr mit einander stritten; wenn es wirklich altväterisch gegeben werden könnte; wenn Auge und Ohr der Zuschauer nicht so sehr durch Musik, Tanz, Kleiderpracht, Aufzüge und Dekorationen zerstreut und bestochen würden. Freilich ist dem deutschen Gefühle die ganze schlichte Aschenbrödel, der gläserne Pantoffel, der verliebte Prinz, der ihn aufhebt, lieber, als aller hineingelegte nothwendige Schmuck der Modernität. C.
Hr. Rebenstein
Hr. Blume
Hr.
Weitzmann
Hr. Unzelmann
Mlle. Schmalz
Mad. Müller
Mlle.
Fleck
Hr. Rüthling
Nationaltheater: Röschen, genannt: Aescherling (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/545.
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