Die deutsche Familie, ein Schauspiel in 5 Akten nach dem Charaktergemählde: Herr Lorenz Stark, vom Prof. Engel. Für die Bühne bearbeitet von J.L. Schmidt, (Regisseur des Magdeburger Theaters), zum erstenmal am Geburtstage des Kronprinzen den 15ten Oktober. Die dramatischen Bearbeitungen von Romanen hält man nicht eben für die besten Geschenke an die Bühne; und die Dramatisirungen des Siegfried von Lindenberg bis auf Rinaldo Rinaldini haben das Vorurtheil gegen sie zum Urtheil erhoben. Der Bearbeiter, im Gefühl seines untergeordneten Talents, bedient sich mit unsichrer Hand der Scheere bald zu viel, bald zu wenig, und so geschieht es, daß wir bald aus der Lektüre suppliren, bald aber auch hören müssen, was wir lieber lesen wollten. – Der Charakter des Herrn Lorenz Stark ist allerdings neu auf der Bühne, und in dieser Rücksicht könnte die Bearbeitung des Engelschen Charaktergemäldes gerechtfertiget werden; allein da sich dieses nicht sowohl durch Poesie des Stoffs und der Begebenheiten im Ganzen, als durch Charakterentwickelungen und moralische Expositionen im Einzelnen auszeichnet, so ist zu vermuthen, daß die deutsche Familie etwas langweiliger, als Herr Lorenz Stark seyn, und dieser mehr zu unserm Verstande und Herzen, als jene zu unserm Gefühl sprechen werde. Und so ist es; der Bearbeiter hat, besonders den 3ten und 4ten Akt nicht vor Longueurs und die Charaktere, außer den der Hauptperson, nicht vor einer gewissen Halbheit schützen können. Die Mutter (auch wenn man sie nicht mit der Oberförsterin in den Jägern vergleicht) ist ziemlich überflüssig, und ohne allen Einfluß auf den Gang des Stücks; der Doktor sowohl, als seine Frau, sind, als Maschienen, nicht so gehoben, als sie es sollten, und die übrigen Nebenpersonen – kommen und gehen, ohne daß man sie sehr gewahr wird. Dennoch sind wir Herrn Schmidt großen Dank für seine Bearbeitung schuldig, denn sein Stück hat uns einen seltnen Genuß verschafft, den: Iffland, als Lorenz Stark zu sehen. – Die Vereinigung eines feinen Verstandes, eines kaustischen Witzes und der Stärke des männlichen Charakters, mit der liebenswürdigsten Weichheit eines edlen Herzens, die sich in allen seinen Verhältnissen ausspricht, kann mit der Wahrheit, der Haltung, Zartheit und Harmonie nur von Ihm dargestellt werden. Diese Gutmüthigkeit im Gesicht, während dessen der Mund stechende Mißreden sprach, diese Sanftheit in Wort und Miene, während er anscheinend hart handelte, diese Weichheit des guten Menschen, die sich mit der Festigkeit des Mannes paarte, diese Tiefe des Charakters bei aller anscheinenden Lenksamkeit(?) – war uns eine neue Erscheinung. Sein klares Auge lachte gutmüthig-schalkhaft, indeß eine stille Ruhe über sein ganzes Wesen verbreitet war; der Glanz dieses Auges trübte sich nur, wenn er von Dingen sprach, die sein Herz betrübten; sein Lächeln war immer freundlich, nie verwundend oder sarkastisch, man sahe es, daß diese Züge nur durch die Gutmüthigkeit gebildet waren; seine Stimme war die eines Mannes, der stets vorher überlegt, ehe er spricht, sie erhob sich nur in den Augenblicken, wo eine stärkere Empfindung ihn anregte; alle seine Bewegungen bezeichneten den Mann, der in seinem Innern abgerundet ist, und den nicht leicht etwas aus seinem gewonnenen Gleichmuth herausbringen kann. Wollte man Scenen heraus heben, so würde man die, wo er auf dem Zimmer seines Sohnes erscheint, die, wo der Doktor Herrn Specht examinirt, die, wo dieser ihm von der Großmuth seines Sohnes erzählt, die Zusammenkunft mit Madame Lyk u. a. als vorzüglich nennen können; doch ist bei einem so gewissenhaften Künstler nicht wohl eine Auswahl zu treffen, da er in jedem Augenblick mit der vollsten Besonnenheit spielt und man beim Herausheben dieser oder jener Scene mehr in Gefahr gerathen könnte, den Dichter nur, und nicht den Darsteller vorzüglich zu loben. Darum nun wird das Stück, so lange Hr. Iffland den Lorenz Stark spielt, mit Ehren auf der Bühne bleiben, und die Rolle unter seine vorzüglichsten Kunstdarstellungen gerechnet werden. – Hr. Prof. Engel hatte sein Werk in seiner ersten Gestalt selbst für die Bühne bestimmt, und zwei Akte ausgearbeitet; er würde es vollendet, oder wenigstens würde ihn die Nachricht von der theatralischen Bearbeitung seines Charaktergemähldes nicht so erschüttert haben, wenn er sich Iffland als Lorenz Stark gedacht hätte. Auch die übrigen Rollen waren gut und glücklich besetzt. Vorzüglich zeichnete sich Hr. Beschort als Karl Stark, besonders in der letzten Versöhnungsscene mit seinem Vater aus, wo er die innre Rührung durch Anstand, Miene und Ton vortrefflich ausdrückte. Es ist die Schuld des Stücks, wenn die übrigen nicht Gelegenheit hatten, ihre Kunst mit Auszeichnung zu zeigen; doch werden sie in diesen Rollen nicht leicht von andern übertroffen werden. Nur wird, nach der Bemerkung eines Reisenden, die Frau des Doktors auf der Magdeburger Bühne mit mehr Lebhaftigkeit und Laune gespielt.
Das Stück ist im eigentlichen Sinn ein Familien-Gemälde. Deshalb ist es nicht verwerflich. Seit dem eben so ungerechten, als platten Sarkasmus eines großen Dichters, gegen die Schauspiele dieser Art: »Was kann den solcher Misere (den bürgerlichen Ständen) Großes begegnen?« ist es zwar Ton geworden, die ganze Gattung im Allgemeinen zu verachten, aber das ist ein so nichtiges Vorurtheil, daß es nicht einmal bestritten zu werden verdient. Es ist genug, wie eine kürzlich erschienene Schrift thut, zu erinnern: »die Welt, deren Darstellung auf der Bühne man verwirft, ist ja dieselbe deren Schilderung man in Vossens Luise und in Göthens Herrmann und Dorothee so sehr bewundert.« – – Die Geschichte dieses Schauspiels ist merkwürdig. Lessing und Engel sprachen einst von Diderots Hausvater, diesem ältesten Familiengemälde. Engel tadelte es, weil der Hauptcharakter in jenem Stücke im Grunde nichts weiter ist, als ein weichmüthiger Pinsel, mit dem die ganze Familie spielt, und entwickelte zugleich seine Idee, wie ein edler hochachtungswerther Hausvater eigentlich geschildert werden müsse. Lessing vertheidigte seinen Lieblings-Schriftsteller unter den Franzosen, wurde endlich überzeugt, erwärmte sich allmälig für die Ansicht seines Freundes und forderte ihn auf, selbst zu leisten, was Diderot verfehlt hatte. Lessings Wort galt sehr viel Engeln: er folgte ihm und hatte wirklich schon zwei Akte seines Lorenz Stark ausgearbeitet, als Gemmingens deutscher Hausvater erschien, in welchem Engels Idee zum Theil, wiewohl mit sehr schwachen Zügen, ausgeführt war. Nicht weil er Gemmingen nicht zu überbieten hoffte, sondern weil er überhaupt mit niemand rivalisiren mochte, legte er nun seine Arbeit bei Seite. Als die Horen erschienen, wurde er zur Theilnahme an dieser Zeitschrift auf eine Weise eingeladen, die nicht gut eine abschlägige Antwort zuließ. Er suchte also seinen Hausvater wieder hervor, und fing an, ihn zu einem erzählten Charaktergemälde umzuarbeiten. Das Publikum las die ersten Kapitel desselben mit Bewunderung, aber eine sehr leise Rüge, die sich Schiller gegen die Schilderung des jungen Stark erlaubte, und die eigentlich nur bewies, daß er nicht so großer Menschenkenner war, als Engel, verleidete diesem seine Arbeit zum zweitenmale. Er ließ sie wieder liegen, und erst in seinen letzten Jahren entschloß er sich, auf das dringende Zureden einiger Freunde, sie zu vollenden. Einer von diesen kam einige Monate vor Engels Tode zu ihm und fand ihn in der höchsten Bewegung des Unmuths. »Man schlägt mich todt! Man schlägt mich todt, und daran ist niemand Schuld als Sie!« rief er dem Kommenden entgegen. – Wie so? – »Stellen Sie Sich den Skandal vor, da ist eben ein Mensch bei mir gewesen, der meinen Stark zum Schauspiel zerarbeitet hat. Hätt’ ich ihn nur nicht vollendet!« – Umsonst bemerkte der Freund, daß dieses Schauspiel, bei der trefflichen Vorarbeit, vielleicht etwas sehr Gutes geworden sein könnte: Engel blieb dabei, es wäre gewiß ein elendes Machwerk, – und leider hat der Erfolg bewiesen, daß er recht geurtheilt hatte. Das Publikum hat nun die Zerarbeitung, wenn man Engels Ausdruck beibehalten darf, gesehen, hat die Scenen, die wörtlich aus dem Romane abgeschrieben sind, vortrefflich, das Ganze aber so langweilig und erbärmlich gefunden, daß wahrscheinlich nur die Hochachtung gegen Engel, und Ifflands meisterhaftes Spiel, das förmliche Auspochen verhindert haben. Eigentlich war es keine ganz leichte Aufgabe, aus einem Werke, dessen Plan Engel ursprünglich zu einem Schauspiel anlegte, und dessen größter Theil schon meisterhaft dialogisirt ist, ein schlechtes Stück zu machen, aber der Herr Zerarbeiter hat sie vollkommen gelöst. Wodurch? Als Engel sein Schauspiel zu einem Roman umgestaltete, flocht er eine Menge von Umständen und Vorgängen hinein, die in der Erzählung anziehen und sehr gefallen, aber in der Darstellung schlechterdings keinen Effekt thun können, selbst sehr langweilig werden müssen. Dahin gehören fast alle Auftritte, in denen der alte Schlicht erscheint, vorzüglich seine Verlegenheit über die Abwesenheit des jungen Stark, die Berichte, die er diesem abstattet u. s. w. Im Roman ist dies alles sehr naiv geschildert und thut große Wirkung; im Schauspiel, wo aus der Reise über Land ein bloßer Spaziergang, dessen Endigung sich ja wohl ruhig abwarten ließ, gemacht ist, wird es läppisch und die Scenen zwischen Schlicht und seinem jungen Herrn, machen die Hälfte des vierten Aktes bis zur Unausstehlichkeit langweilig. Herr Schmitt hat ferner manche Scenen, die Engel nur erzählt, selbst zu Gesprächen ausgearbeitet, und zwar meistentheils mit gewöhnlichen Komödienplattheiten gefüllt. Dahin gehört vorzüglich die erste Unterredung zwischen der Doktorin und Frau Lyk, in welcher unter andern folgende Zierlichkeit vorkommt: Frau Lyk: – Meinen Wohlthäter möchte ich ihn lieber nennen! – Die Dokt. Sie möchten ihn Lieber nennen? – Den ärgsten Misgriff macht Herr Schmitt in der Scene zwischen den beiden Stark, in welcher der Sohn einer Ohnmacht nahe ist. Im Romane kommt es gar nicht zu einer Unterredung, daher bleibt die Erwartung darauf gespannt, wie der Alte seine schalkhafte Verheißung, ein freundliches Wort zu dem Sohne zu sprechen, erfüllen werde; Hr. Schmitt aber läßt ihn so lange und gütige Reden halten, daß er sein Versprechen schon tausendfältig erfüllt hat, ehe die Hauptscene eintritt: natürlich thut diese nun keine Wirkung. Der ganze Vorgang hätte wegbleiben, höchstens bei Ueberreichung des Wechsels sich ereignen müssen. Er hat ferner – Doch wozu ein ausführliches Sündenregister? – Genug, das Stück ist elend, und wenn es wieder gegeben werden sollte, würde die Direktion eine wichtige Pflicht gegen Engels Andenken versäumen, wenn sie nicht mindestens den vierten Theil striche. Iffland selbst machte den Lorenz Stark. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß das Publikum eine Darstellung von der höchsten Feinheit und Vollendung zu sehen bekam. Ob indeß ein so ehrenvester, etwas steifer Greis, wie Lorenz, ganz so leicht und beweglich seyn, ob er z. B. beim Abgehen mit den Händen über dem Kopf gestikuliren, und wenn er der Wittwe aufmerksam zuhören will, das Gesicht bis zu dem Sofa-Kissen herabsenken sollte? – waren Bedenken eines aufmerksamen Zuschauers; gegen die Autorität eines so großen Meisters, als Herr Iffland ist, giebt er sie gerne auf. Herr Beschort stellte den jungen Stark des Herrn Schmitt sehr gut dar, – der aber freilich nur eine Verunstaltung des Engelschen ist. – Die Doktorin war eine gute, vernünftige Frau: doch den leichten, fast muthwilligen Frohsinn zeigte sie nicht, der sie im Romane so interessant macht. – Der Doktor dagegen, war etwas zu modern und leicht. Er hätte mit einem Stock und dreieckigtem Hute auftreten, und selbst ein wenig den bürgerlichen Hausvater verrathen müssen. Uebrigens wurd’ er tadellos gespielt. Madame Fleck, als Frau Lyk, machte diese Rolle so anziehend, als sie werden kann. R.
Nationaltheater: deutsche Familie, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/546.
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