Julius Cäsar, von Shakspeare, nach Schlegels Uebersetzung, war eine Vorstellung, auf welche die Direktion sichtbar die größte Sorgfalt verwandt hatte, der von Seiten der Schauspieler bedeutende Talente und Fleiß geweiht waren, und welche durchaus nicht wirkte. Eine Ursache liegt darin, daß man den brittischen Dichter bis auf ein paar Kleinigkeiten ganz unverändert gab. Man fodert in den neuesten Zeiten, daß das Werk großer Dichter nach seinen kleinsten Theilen und Nuancen auf dem Theater erscheinen soll. Diese Foderung beruht auf der falschen Voraussetzung, daß der Schauspieler eigentlich nichts als ein Instrument für den dramatischen Dichter, und die theatralische Darstellung nur eine Kopie des dramatischen Gedichts seyn solle. Wie dieses in seiner Vollendung da seyn könnte, ohne eine Spur von jener: so wird das Theater in seiner absoluten Vollkommenheit nicht erscheinen können, als bis alle, welche die Bühne betreten, theatralische Dichter geworden sind, für die äussere Anschauung so produktiv, wie der dramatische für die innere. Eine gute Schaubühne braucht das dramatische Gedicht höchstens als einen Stoff, und um sich frei zu entwickeln, muß das Theater mit diesem Stoff ganz nach Willkühr schalten können, als ob er noch gar keine Form hätte. Aus diesem Gesichtspunkte, dem Unterschiede zwischen theatralischer und dramatischer Poesie, läßt sich manches auf unsern Theatern retten, worüber das gebildete Publikum (allenthalben eine überaus kleine Zahl) den Bann sprechen möchte, z. B. Dekorationen, Kostum. Alles, was den Sinnen aufhilft, läßt sich auf der Bühne vertheidigen: nur muß in demselben nicht die historische Notiz, sondern das ideale obwalten. Allein die Hauptursache, warum Shakspeare’s herrliches Gedicht so gar nicht wirkte, liegt offenbar darin, daß die höhere Deklamationen auf unserm Theater nicht zu Hause ist. In einigen Arbeiten der Deutschen Dichtkunst, wo sie auch gefordert wird, bemerkt man dieses nicht so genau. Es wird etwas breit in denselben vom Dichter selbst gesprochen und durch diese rhetorische Breite wird uns manches verständlich, wenn auch die höhere Deklamation fehlt. Allein Shakspeare greift mit wenigen Accenten durch die Tiefen der menschlichen Natur und hallen diese Accente nicht von der Bühne in das Publikum, so fehlt diesem der große Zusammenhang der Shakspearischen Schauspiele und es steht nur in einem Guckkasten mit rasch vorübergehenden Scenen. Am besten wurden die beiden wichtigsten Rollen, Antonius und Brutus, gegeben. Als jener ist Herr Mattausch vorzüglicher, wie in irgend einem andern Schauspiel, auf der Bühne erschienen. Er hat ihn mit Feuer und Anstand gegeben.In der berühmten Scene, wo Antonius zum Volke redet, und Cäsars Gewand, Leiche zeiget, waren die verschiedenen Situationen, welche Herr Mattausch nahm meisterhaft gewählt. Auch ließ er der Rede selbst nach ihren Wendungen Gerechtigkeit widerfahren. Indeß hob er in den Versen Noch gestern hätt’ umsonst dem Worte Cäsars Die Welt sich wiedersetzt: nun liegt er da, Und der Geringste neigt sich nicht vor ihm. die ausgezeichneten Worte nicht genug heraus. Auch sank die eigenthümliche Modifikation der Stimme, womit er eine Uebereilung in seiner Aussage von Cäsars Testament heuchelt, gänzlich zur Vertraulichkeit eines Gesprächs im Zimmer herab etc. In der vorhergehenden Scene, wo Antonius um die Erlaubniß bittet, bei der Leichenfeier zu Cäsars Lobe reden zu dürfen, und er auf das gespannteste spähen muß, was Cassius dem bei Seite gezogenen Brutus über dies Anliegen sagen werde, wendet Herr Mattausch ihnen den Rücken und entfernt sich weit von ihnen. Auch die besseren Schauspieler unsers Theaters sind noch überaus reich an unnützer und gar widersinniger Bewegung. Die gehaltvolle Oekonomie in der Bewegung, worin Herr Iffland groß ist, war ganz erforderlich, um die stille Erhabenheit des Brutus zu bezeichnen. Ungemein belebend war sein Spiel in der furchtbaren Nacht, wo die Verschwörung reifte; in dem Zank mit Cassius drückte seine Stellung, etwas abgewandt von dem überschäumenden Gefährten, und voll zermalmender Kraft, daß dies Abgewandte nicht auf Rechnung einer Furcht, sondern nur der Verachtung geschrieben werden konnte, die kräftige Zartheit des Brutus, welcher die Leidenschaft widrig war, vortrefflich aus. Gegen Cäsars Geist stand er selbst wie eine geistige Erscheinung. Dagegen schien er in der Rede des Brutus an das Volk von dem Gefühl gedrückt zu seyn, daß für Antonius eine ungleich schönere beschieden sey? Die ganze Ansicht, welche Brutus von dem geliebten Cäsar hatte, wird offenbar durch die Worte desselben: »Weil Cäsar mich liebte, wein’ ich um ihn; weil er glücklich war, freue ich mich; weil er tapfer war, ehr’ ich ihn; aber weil er herrschsüchtig war, erschlug ich ihn.« Diesen letzten Satz sprach Iffland monoton mit den ersten. Er aber muß mit ehernem Griffel in das Gedächtniß des Zuschauers geschrieben werden, wenn Brutus begriffen werden soll. Mad. Unzelmann war vortrefflich in Porcia’s kleiner Rolle, weil sie dieselbe durch keine falsche Zuthat zu heben suchte.
Nationaltheater: Julius Cäsar (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/574.
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