Manche haben die Mängel des Stücks auf den Stoff geschoben; allein für den ächten Künstler giebt es weder günstige noch ungünstige Stoffe; alles kommt auf die Art an, wie der Gegenstand genommen wird. Shakspeare's Darstellungsart römischer Geschichten scheint der Verfasser gar nicht gehörig studirt, wenigstens gewiß nicht recht verstanden zu haben. Die Gemeinheit und Unmündigkeit im Thun des rohen Haufens ist im "Regulus" dem Shakspeare nachgemacht; bei diesem hängt sie mit der tiefen oft unergründlichen Ironie in der ganzen Darstellung zusammen, dort ist es eine ungehörige und störende Einmischung. Aus dem "Katilina" des Ben Jonson wäre auch wohl noch manches zu lernen gewesen, sogar aus dem römischen Stücken Voltaire's: denn in diesen französischen Trauerspielen ist doch eine Kunst der Anordnung und ein strafferes Zusammenhalten, was wir hier gänzlich vermissen. Auch die Reden dürften, da das Ganze seiner Natur nach eine rethorische Richtung hat, weit gedrängter und prächtiger seyn: mit einigen Sentenzen aus dem Seneka ist es noch lange nicht gethan. Um den römischen Geist recht hervortreten zu lassen, müßte eine stoischere Ansicht der Dinge (welcher denn freilich die Familien-Quälerei beträchtlich würde weichen müssen) zugleich mit dem nachdrücklichsten Lakonismus durchgehends herrschend gemacht seyn. Die Reden sind fast immer zu lang, häufig zu schwach; die Verse ohne Schwung, die Sprache nicht voll und würdig genug, der erzmodernen Phrasen, die an das letzte Jahrzehend erinnern, statt nach Rom zu versetzen, nicht zu gedenken. / Die Darstellung auf der hiesigen Bühne war im Ganzen sehr lobenswürdig. Iffland gab den Regulus mit gefühlter Würde und ohne den Druck der ausgestandenen Leiden zu schwer auf ihm lasten zu lassen. Nur einige Male verfiel er vielleicht zu sehr in das Wesen des bürgerlichen Biedermanns und Hausvaters. Hingegen der Augenblick, wo er sich den Untergöttern weiht erschien wahrhaft groß. Maddame Meyer als Attilia war ganz in ihrem Fache; so erinnern wir uns auch Herrn Beschort selten mehr zu seinem Vortheile gesehen zu haben, als in der Rolle des Metellus, die er durchaus mit den ruhigem Anstande spielte, wovon Herrn Bethmann mehr zu wünschen wäre, der sonst als Publius sein Talent bewies, leidenschaftliche Stituazionen mit Wärme darzustellen. / Was das Aeußere betrift, so ist von den Dekorazionen nicht zu reden; das Kostum aber war nach den Angaben eines gelehrten Alterthumskenners mit Fleiß besorgt. Der rothe Streif an der Toga des Volkstribuns war freilich wohl ein Versehen; auch der ganz scharlachne Mantel des Konsuls läßt sich schwerlich historisch rechtfertigen, doch stach er gut gegen die Menge der weißen Togen ab. Diese waren vielleicht nach dem alten Maß noch nicht weitläuftig, besonders nicht breit genug: doch würde dann die Schwierigkeit, das schwere Tuch zu tragen und sich damit zu behelfen, noch größer geworden seyn, welche so schon die ungewohnten Schauspieler in augenblickliche Verlegenheiten verwickelte. Warum die Römer auch nur solche verwünschte Lappen tragen mußten, und nicht, wie wir, ordentliche bequeme Röcke! – die Tracht des Bodostor, als des Abgesandten einer reichen aber barbarischen Nazion, war vortreflich gegen die römische einfache Großheit, die keinen goldnen Zierrath und nur wollene Zeuge zuließ, kontrastirt. Er hatte einen scharlachnen Leibrock mit breitem Gürtel, grüne langen Beinkleider und rothe Halbstiefeln, einen kurzen Mantel von Goldstoff, grün gefuttert, der an den Schultern fest geheftet war und um die Arme geschlagen werden konnte; der Bart, welcher ihn auch von den Römern auszeichnete, vollendete das fremde, und man kann wohl sagen, Punische Ansehen. / Bis jetzt hat der Rgulus fünf Vorstellungen erlebt, das letzte Mal war es schon ziemlich leer, und vielleicht haben die vorhergehenden Male manche von den Zuschauern die Anerkennung des guten Geschmacks, welche sie dadurch zu üben glaubten, mit Langerweile gebüßt. Der Erfolg hat auf diese Art schwerlich dem Aufwande entsprochen, welches denn leicht die sogenannten poetischen Stücke bei den Teaterkassen in Mißkredit bringen mag, aber gewiß nur durch Schuld der Autoren: denn es ist eine offenbare Ungeschicklichkeit, zu einem Schauspiele, in welchem eigentlich so Weniges vergeht, so viele Figuren zu gebrauchen; in dieser Hinsicht sollte es viel einfacher seyn. Indessen hat die Aufführung des Regulus den Vortheil, daß nun Togen in Menge für den „Julius Cäsar“ und „Koriolan“ des Shakspeare vorräthig sind, mit denen ja, wie zu hoffen ist, die Direkzion bald einmal das hiesige Publikum beschenken wird.
Regulus auf dem Berliner Theater. / Seit einiger Zeit sind hier die versifizirten Stücke ziemlich an der Tagesordnung: man hat den Regulus gegeben, dann Nathan den Weisen, und jetzt eben wird Turandot erwartet. Vom Regulus waren von Wien her große Erwartungen erregt worden; er hatte dort schon im vorigen Herbste bedeutende Sensazion gemacht. Die Empfänglichkeit für solch ein Stück macht dem Geschmack des Wiener Publikums von einer gewissen Seite Ehre: sie deutet auf das Bedürfnis, welches sich jetzt überall regt, sich aus dem engen Kreise der bisherigen dramatischen Vorstellungen hinaus in das Gebiet der Geschichte und der Fantasie zu wagen; es ist erquiklich, einmal wieder große Namen, das herrliche Rom auf unserer Bühne nennen zu hören. Daß dabei die bis jetzt so wenig geübte Schärfe der Unterscheidung fehlt, darf nicht befremden. Denn freilich ist der Regulus keineswegs, wie man gerühmt hat, ein Meisterwerk eines bisher noch unbekannten Autors, sondern er hat vielmehr ganz die Art einer Schulübung, wo ein junger Mann, was er in den alten Geschichtschreibern gelesen und sich wohl gemerkt hat, bestens wieder anzubringen sucht. Der Verfasser ist in Ansehung der dramatischen Kunst noch lange nicht auf dem rechten Wege, oder vielmehr er ist auf gar keinem Wege; die Halbheit und das Schwankende seiner Manier drängt sich dem ersten Blicke auf. Er scheint es sich selbst nicht recht klar gemacht zu haben, ob er etwas im Sinne der antiken Tragödie, oder des französischen Trauerspiels dichten wolle; dazwischen ist ihm manches aus der Form von Shakespeare's historischen Dramen eingeflossen, ja sogar aus den nächsten und trübsten Quellen hat er geschöpft, indem er unläugbar die "Oktavia" des Hrn. v. Kotzebue wo nicht bestimmt nachahmte, doch vor Augen hatte. / Aus der letzten Richtung scheint besonders der Widerspruch in der Behandlung entsprungen zu seyn, daß er auf Simplizität Anspruch macht und auf Effekt Verzicht zu leisten scheint, und daß er dabei dennoch nach Effekten hascht. Warum liegt gleich zu Anfange Attilia mit ihren schlafenden Kindern auf der Treppe? Diese Nacht hat gar nichts so Enscheidendes; die Kinder werden auf den kalten Stufen den Schnupfen bekommen; da sie vorgiebt, sie so außerordentlich zu lieben, hätte sie, wie eine verständige Mutter, sie ordentlich zu Bette bringen sollen. Nach einem so lamentabeln Anfange prophezeit man sich gleich viel Belästigung von diesen armen Geschöpfen: und so trift es denn auch zu, man muß sie das Stück hindurch bis zum Ueberdruß sehen. Es sind eigentlich dieselben alten und wohlbekannten Kinder aus "Menschenhaß und Reue", welche durch verschiedene Stücke hindurch bis in die Oktavia gewandert sind, und sich endlich auch in den Regulus gezogen haben; nur ist der ältere, Serran, ein wenig aus dem Zeuge gewachsen und in die sogenannten Lümmeljahre getreten. Das Motiv, ein hartes Männerherz durch die unvermuthete Erscheinung der Kinder zu erweichen, welches in "Menschenhaß und Reue" Glück gemacht hatte, und in der "Oktavia" frostig wiederholt ist, wird hier ebenfalls in der Szene zwischen Attilia angebracht. Daß aber die Mutter den ältesten schon mündigen Sohn hartnäckig zum Ungehorsam gegen seinen Vater hetzt, um diesen wider seinen Dank und Willen zu befreien, ist ein Pröbchen von der neuen überaus edelmüthigen Sittlichkeit, die alle Gerechtigkeit und Schicklichkeit unter die Füße tritt, und in so vielen Schauspielern der letzten Jahre mit wahrem Verkehrungseifer gepredigt worden ist. Und doch schürzt gerade dieser Punkt den Hauptknoten, indem Publius, der älteste Sohn des Regulus, als Tribun des Volkes sein Veto spricht, und dadurch dem Entschlusse des Helden, unausgelöscht in die Gefangenschaft zurückzukehren, Hindernisse in den Weg legt. Daß der Sohn eines Konsuls, sogleich ein Patrizier, Volkstribun seyn soll, ist eine den historischen Bedingungen widersprechende Erdichtung, die bei einer andern Behandlung hingehen möchte, dem Verfasser aber, welcher darauf ausgeht, gelehrte Kenntnisse des Alterthums anzubringen, und in dem Stücke gleichsam antiquarische Belustigung anstellt, (wie z. B. mit dem Kandidaten, mit der Verdeutschung gewisser Formeln, die nicht einmal immer glücklich ist, u.s.w.) billig nicht verstattet werden kann. / Der zweite Akt, der ganz im Senate spielt, und der Konsul Metellus präsidirt, Regulus nebst dem Karthagischen Gesandten Bodostor erscheint, und über die Auswechselung der Gefangenen verhandelt wird, besticht und söhnt beinah mit dem Stücke aus. Er zeigt recht auffallend das Imposante der republikanischen Politik, und überhaupt großer Staatsangelegenheiten, wenn sie nur ohne fremden Schmuck ganz historisch auf die Bühne gebracht werden. / Der dritte Akt sinkt wiederum sehr: er zeigt uns den Regulus von den Ueberredungen Bodostors, und nachher seiner Frau nebst Familie, bearbeitet; und er beweist wahren Heroismus, indem er endlich aus Langerweile nachgiebt. Bodostor, dessen barbarische Rohheit im Senat ausbrechend, eine so gute Wirkung that, wird hier ganz zahm: er spinnt ein weit hergeholtes Gespräch mit dem Regulus an, über den Vorzug des Weltbürgersinnes vor dem Patriotismus, dem man, außerdem daß es trivial ist, sogleich ansieht, wo es sich herschreibt, nehmlich aus Rousseaus Schriften. Nicht leicht haben wir etwas treffender gefunden, als den Anfang von der Antwort des Regulus, der dem Karthager erwiedert: "Wohl hättest du die lange Rede dir / Ersparen mögen." / Nur Schade, daß dergleichen Aeußerungen nicht hin und wieder in dem Stück vorkommen, so hätte es die Kritik über sich, gleich in sich selbst getragen. / Der vierte Akt schleppt sich dürftig in Uterredungen des Konsul Metellus mit zwei Senatoren von entgegengesetzten Gesinnungen, dann mit einem Attenthat des jungen Publius auf sein Leben hin, welches er durch seine ruhige Fassung vereitelt. Der Dolch, womit dies ausgeführt werden soll, ist der zweite im Stück; mit dem ersten bedroht Attilia, dem Regulus gegenüber, ihr eignes Leben; den dritten zuckt Regulus im fünften Akt auf sich selbst; doch wir irren uns, dieses ist eben der, welchen er der Attilia entwinden mußte, um als Sklave in Fesseln dennoch einen bei der Hand zu haben. Wenn das nicht Theaterstreiche im übeln Sinne des Wortes sind, so wissen wir nicht, was man so nennen könnte. Die Erscheinung der Attilia im fünften Akt, die, nachdem sie sich durch das ganze Stück hin unverständig genug gebehrdet , nun vollends im Verstande verwirrt geworden, ist noch das Mißlungenste, Erborgteste und Unschicklichste von allem. Dagegen wir einem bei der Volksversammlung, wo die Sache sich letztlich entscheidet, wo der Konsul, Regulus selbst und sein Sohn, der Tribun, die erhöhte Bühne besteigen und Reden an das Volk halten, wieder wohl; es gilt davon zum Theil was vom zweiten Akt. Ein schöner Moment ist das Gebet des Konsuls am Altare Jupiters, und der Ruf der Rache gegen Karthago beschließt das Stück auf eine nachdrückliche und erhabene Art.
Vgl. Rezension zu: "Nathan der Weise und Regulus". Unter: "Nathan der
Weise", 10. 03. 1802
Nichts erwünschteres kann einem jungen Dichter begegnen, als sein erstes
Werk - mit so viel Sorgsamkeit und Aufwand dargestellt zu sehen. / Die
Direktion kann ihre Achtung gegen einen Dichter auf keine ehrenvollere und
genügendere Art an den Tag legen. / Ueber das Stück selbst ein
kritisches Wort zu sagen, behalten wir uns vor. Jetzt nur von der
Darstellung desselben auf der Nationalbühne. / Mit größerer Pracht, mit
strengerer Beobachtung des Costums, mit genauerer Exekution auch in den
Nebenparthien, in den Bewegungen der Statisten, u.s.w. kann selbst in der
Kaiserstadt unter des Dichters Augen dieses Schauspiel nicht aufgeführt
seyn. Alle Dekorationen waren neu, eben so die Kleidung, und man erkannte in
beyden die Einsicht eines unserer (der Deutschen) ersten Antiquare und
Kunstkenner, der von der Direktion zu Hülfe gerufen war. Vorzüglich imposant
war die ganze Anordung der Curia, in welcher sich der Senat versammelt, der
Anblick war groß, man ahnte die Repräsentanten eines großen Volkes. Ein
gleicher Fall war mit dem Forum im letzten Akte. - Nur gestehen wir, daß die
deutsche Inschrift auf dem Fußgestell der Bildsäule, Proserpinens, uns
auffiel. Eben so verständlich würde Proserpinae Valerius Publicola S.
gewesen seyn, und niemand würde dieser Inschrift wegen verlangt haben, daß
die spielenden Personen lateinisch reden sollten. / Der Dichter selbst hat
durch ein, fast zu strenges, Anschließen an die Sitte die Darstellung
gleichsam verpflichtet, es ihm gleich zu thun, und nicht zu contrastiren.
Die ängstliche Beobachtung der Formeln: cedite quirites, und nil vos moramur
P. C., besonders die erste stört zuweilen die Wirkung, so z. B. im fünften
Akt, wo die Lictoren vor dem abreisenden Regulus herschreiten. - Ueberhaupt
mögte einem bey der Uebersetzung: "macht Platz, Quiriten, wenn's beliebt"
das ehemalige holländische Commando einfallen. / Je genauer alles beobachtet
war, um so auffallender wurden einzelne kleine Abweichungen. So trug der
Consul Metell den Purpurmantel, den, von den Königen empfangen, schon Brutus
ablegte. Die Consuln trugen gleich andern Senatoren nur die toga praetexta,
und bey Triumphaufzügen die gestickte, palmata, welche den Triumphatoren
auch sonst wohl bey feyerlicher Gelegenheit zu tragen erlaubt war. Nie sah
Rom an seinem Consul den Purpur. / Etwas ähnliches läßt sich über die
Lictoren sagen. Diese gingen einzeln, nicht paarweise vor ihm her. Doch dies
ist unwesentlich, allein die Fasces sollten doch keine Beile haben. - Diese
Beile sind das Symbol des Rechts über Leben und Tod; welches die
Könige und die ersten Consuln ausübten. Seitdem aber Valerius Publicola das
Gesetz durchsetzte: "daß von den Richtersprüchen der höchsten Staatsbeamten
in Criminalfällen an die Entscheidung des Volkes in seinen Versammlungen
soll appellirt werden können, " so daß dem Bürger also nur durch Bürger das
Todesurtheil gesprochen werden konnte, wodurch eben die Consuln die Gewalt
über Leben und Tod verlohren, - seit dieser Zeit legten die Consuln, auch
die, den Bürgern längst verhaßten Beile, das Zeichen jener Gewalt ab, und es
bestand die als Gesetz anzusehende Sitte, daß innerhalb der Stadt - welche
gleichsam die Republik bildete - der Consul nie die Beile vor sich hertragen
ließ: sobald er aber vor die Thore - also in die Provinz - kam, steckten die
Liktoren sie wieder auf. / So wie die Fasces hier auf der Bühne erscheinen,
sind sie genau auf antiken Monumenten, und vielleicht wollte man darum die
Beile nicht weglassen, weil die bloßen Ruthenbündel zu unbedeutsam gewesen
wären, so wie man wahrscheinlich durch den Purpur den Consul auszeichnen
wollte.
Diese erste Arbeit eines
jungen Dichters, welcher Kraft, Eigenthümlichkeit und Genialität verkündet, hat
laute Widersacher gefunden, und damit ihren innern Werth erprobt. Ein Held, der
mit furchtbarer Entschlossenheit dem Heil des Vaterlandes alles aufopfert, was
dem Menschen werth und theuer ist, kann schwerlich in unsern Zeiten, wo man für
das Vaterland viel schreibt und wenig opfert, durch 5 Akte interessiren.
Regulus hat ein großes Lesepublikum, und ein geringes aber gewisses Publikum im
Parterre. Auch dieses würde etwas zahlreicher seyn, wenn es nicht frühzeitig
durch Ober- und Unterhirten in Sendschreiben und Kreuzreden dahin bearbeitet
worden wäre, daß es zum Ton gehörte, den Regulus nicht gut zu finden. Die
Vorstellung selbst ist eine der würdigsten der Berliner Bühne. Alle
Dekorationen und Veranstaltungen sind in einem großen Styl gegeben, auch das
Costum ist für richtig zu halten, so lange alle Theile, welche behaupten und
widersprechen, Jeder für sich gleich wichtige Autoritäten anzuführen haben. Der
Senat in Sitzung wird so imposant als möglich gegeben, und wenn das Marsfeld
eine größere Volksmasse verlangt, so muß man den Forderungen Grenzen setzen,
die nicht erfüllt werden können. Herr Iffland giebt den Regulus aus gediegener,
gezügelter Kraft, mit Genialität und Herrschaft über Karakter, Ort und
Menschen. Vielleicht ist er etwas zu weich gegen Attilien; aber es thut dem
Herzen wohl, dem festen Staatsbürger, im Arme der Gattin, die er auf immer verläßt,
mit gebrochener Stimme das Naturrecht verkünden, zu hören. Neben ihm steht
Attilia, Mad. Meyer, wahr, stark, innig, hehr und hoch, ohne Pomp nach
Theaterklang, ganz die Römische Matrone, schreitet sie einher, und reißt mit
sich fort. Nur im ersten Akte scheint sie mehr zu wehklagen, mehr Zeit sich zu
nehmen, als sie sollte, und dehnt den langen Akt damit um so mehr, da das Römische
Volk, was sie umgiebt, statt die deutlich gezeichneten Volkskaraktere in Blut
und Leben wieder zu geben, mehrentheils, und zwar in der ruhigen dritten
Tanzposition nur seine Lektion hersagt. Auch darin sind sie nicht allerdings
gewiß, und etliche Römer sollten einen Strafzettel mit nach Hause bekommen, und
zur Tischzeit cariren. Metell, der Konsul, hat einmal von sich zu sagen: »mein
Wille ist, das Rechte zu thun« – so giebt Herr Beschort den Metell, in Wort und
Schritt, in Haltung und Gebehrde, mit einer Melodie des Seelentones, bei der
man fühlt, so muß das Rechte gethan werden; da ist nichts zu wenig, nichts zu
viel; nirgend Grimasse; überall das Ganze und ein Ganzes.
Herr Bethmann, als
Volkstribun, gab diesen Karakter mit Anstrengung, mit Feuer, Leben und Gefühl.
Bleibt sein Eifer gleich, und hält er strenge Kritik für das Mittel, empor zu
kommen, so kann er es in seinem Fache, welches nicht leicht ist, weit bringen.
Hr. Schwadke, als Bodostor, legte heut mehr Energie als sonst in seine Rolle,
und wirkte dadurch sehr zur Erhebung einzelner Scenen. Es ist sehr
verdienstlich, auf solche Weise in schon gegebenen Rollen zu verbessern, und es
soll stets angezeigt werden. Serran und Mutius waren Kinder, die man gern sah.
Die Herren Herdt und Kaselitz thaten das ihrige im Ganzen, nur in den Scenen
mit dem Metell waltet ein lebendigerer Geist, als der, welchen sie ausgehn ließen.
Das Volk im letzten Akte war sehr beruhigt, und empfing auch von den unter ihm
verkehrenden Schauspielern keine Einwirkung. Hat man nur dann zu spielen, wenn
man Rollen recitirt? Herr Leidel, an den ein Theil des guten Römischen Volkes
angewiesen seyn mogte, gab sich vergebene ob schon sehr sichtbare Mühe, sie zur
Theilnahme heran zu locken, allein diese Römer blieben in kalter, bleierner
Schlachtordnung, wie die Soldaten auf den Tischen des Weihnachtmarkts.
Sollte um Geld und gute Worte
die hohe Roma nicht anständiger bevölkert werden können? Auch hatten etliche Römer, wegen des kalten Klimas,
dicke Halskrausen umgebunden, welche durch Isabelfarbe gegen die weiße Toga
sehr abstachen. Einige – zwar nur zwei, waren es – haben durch gewickelte Zöpfe,
die schlecht verbogen waren, die Antiquare sehr in Verlegenheit gesetzt. –
Webers Genie hat zum Regulus eine herrliche Musik gegeben, wofür die Kenner ihm
herzlich danken. Die Vorstellung war ehrenwerth, und das Publikum hat dieses
gewiß empfunden, ob schon es sich vom Anfange bis zu Ende leidend und ruhig
verhielt.
Nationaltheater: Regulus (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/59.
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