Iphigenia in Aulis

Sparte/Genre:
Trauerspiel
Personen:
Komponist:
Bernhard Anselm Weber
Autor:
Jacob Konrad Andreas Levezow

Liste der Aufführungen

Aufführungsdatum: 03.08.1804
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Iphigenia in Aulis. Trauerspiel in 5 Akten. Die zur Handlung gehörige Musik ist vom Hrn. Kapellmeister Weber
Quelle:
HSZ 1804, Nr. 92
weitere Informationen:
Zum Erstenmale
[davor: Zur Feyer des Alllerhöchsten Geburtsfestes Sr. Majestät des Königs wird von dem Direktor Iffland eine Rede gesprochen]
Rollenfeld:
Hr. Beschort
Mad. Meyer
Mad. Fleck
Hr. Mattausch
Hr. Herdt
Hr. Reinhard
Hr. Bessel d. j.
Hr. Bethmann
Hr. Lemcke
Hr. Lemm
Hr. Labes
Mad. Lanz
Mll. Mebus
Mll. Weber
Aufführungsdatum: 06.08.1804
Rezensionen
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Iphigenia in Aulis
Quelle:
HSZ 1804, Nr. 93
Rezension:
Zeitung:
Haude- und Spenersche Zeitung
Aufführungsdatum:
1804-08-09
Nummer:
95
Autor:
gezeichnet: G. M. [Garlieb Merkel]

Der Plan (siehe das vorige Blatt) ist reich an interessanten Situationen; aber er enthält auch manches durchaus Ueberflüssige, das die Handlung schleppen macht. Dahin gehört z. B. der ganze zweite Akt, von dem durchaus nicht abzusehen ist, was er soll? Soll er uns Iphigenia liebenswürdig machen? Dazu hätte die Art ihres ersten Auftretens im Lager hingereicht. Soll er uns das Schreckliche ihres Schicksals noch einleuchtender machen, indem er sie uns in ihrem häuslichen Leben zeigt? Er thut grade die entgegengesezte Wirkung, indem er uns Zeit läßt, uns an die Idee des Unabwendbaren zu gewöhnen, da wir es sich allmälig entwickeln sehn. Im ganzen Akt ist nichts, das sich nicht durch eine kurze Erzählung dem Folgenden hätte einverleiben lassen, und so sehr viel gewirkt hätte.
Mit den Charakteren ist der Verfasser sehr frei umgegangen. Fast kein einziger erscheint so, wie uns die alten Dichter ihn schildern: aber das ist kein Fehler, da er zu seinem Werke anderer Charaktere bedurfte, als das Alterthum aufstellte, und die meisten gut und psychologisch richtig gehalten sind. – Die Sprache ist durchaus edel und rein, nicht so dichterisch blühend als in den Schillerschen Stücken, aber doch schön und kräftig. Wenn manche Scenen mit zu langen Reden überladen scheinen, so muß man sich erinnern, daß die innere Handlung des Stücks sich nur durch leidenschaftliches Räsonnement motiviren ließ, und daß der Dichter um das Ungeheure zu motiviren, Raum brauchte. Ueberflüssige rhetorische Auswüchse hab’ ich in den drei letzten Akten nirgend gefunden; in dem ersten sind vielleicht ein Paar, – den zweiten Akt geb’ ich preis. Im Ganzen hat dieses Stück von allen – ich sage, von allen – deutschen Dramatischen Bearbeitungen der Süjets aus der alten Fabelwelt, das meiste Leben und Interesse. Sehr groß kann beides freilich nicht seyn, denn – die ganze Gattung ist, wie sie jezt in Deutschland gestaltet ist, fehlerhaft, ein unseliges Zwittergeschlecht, das keinem Zeitalter angehört. Doch darüber an einem andern Orte.  Die Direktion hat auf die Darstellung Kosten und Sorgfalt gewendet. Das Costume ist schön und reich, – auch wohl meistentheils richtig; nur Iphigenia selbst hatte sich manche kleine Abweichung erlaubt: indeß das ist nur Kleinigkeit. Die Hauptsache beim Costume ist – Schönheit. Madame Fleck machte Iphigenia. Die Scenen des zweiten und dritten Aktes, so wie diejenigen des vierten, in welchen sie das innigfühlende, schwärmerisch-liebende, und weiche Mädchen macht, können nicht schöner, hinreißender gespielt werden, als sie that. In dem heroischen Monolog hingegen, mit welchem sie den vierten Akt schließt, so wie im fünften Akt, wo sie Achill und ihre Mutter zu sich zu erheben sucht, bestach zwar die reizend-durchblickende jungfräuliche Weichheit, die sie verrieth, – aber der Schleier durch den diese blickte, war zu durchsichtig; – mit andern Worten: sie hatte in diesen Scenen nicht die hohe, scheinbar-kalte Festigkeit und Haltung, – das imponirende Kalte, das nur durch Stocken in der Stimme, durch zuweilen irrenden Blick und einzeln leidenschaftliche Ausbrüche, den Zustand übernatürlicher Spannung verräth. Daß diese treffliche Künstlerin darnach strebte, war sichtbar: aber sie ist nun einmal mehr für liebenswürdige, als für ehrfurchterzwingende Schwärmerei geschaffen. Klytämnestra wurde von Mdme Schick gespielt: Sie sprach sehr richtig und mit durchdachtem Spiel: aber sie ist bei Rollen der Art nicht in ihrem Fache. Man sah durchaus nur die sorgsame Hausmutter, nicht die majestätische Königin, und ihr Gesicht verrieth nichts von den wilden Stürmen in ihrem Busen. Ihr Entschluß im vierten Akt, gar nicht einmal die Nachricht, die Nestor bringen soll, abwarten zu wollen, ihr Ausruf:
Fern sey
von mir die Kunde, die er bringt! – Was anders
Kann wohl ein Heer beschließen, als Verderben, – Tod! mußte eigentlich mit erhabenem Ausdruck wilder Entschlossenheit gesagt werden, aber – davon war nichts zu entdecken. Selbst das Sprachorgan – Doch warum lange bei dem Verfehlten verweilen, daß einer sonst so sehr schätzbaren Künstlerin in einem ihr durchaus fremden Fache zur Schuld kommen konnte? Agamemnon ist hier nicht sowohl ein kriegerisch- als ein bürgerlichpatriotischer Held: er handelt heroisch aus Pflichtgefühl, nicht weil ihn stürmender Muth treibt. Die Haupt-Aufgabe also, die der darstellende Künstler auszuführen hatte, war der Kampf der Vaterzärtlichkeit mit der Entschlossenheit des Mannes: und dieser gelang Hrn. Beschort durchaus trefflich; – vielleicht hätte der kriegerische König aber doch hier und dort kräftiger, herrschender in Anstand und Ton sich verrathen sollen.
Wenn man sich unter Achill den fürchterlichen, alles vernichtenden Würger denkt, als welcher er in den Homerischen Schlachten erscheint, so war offenbar Hr. Bethmann für diese Rolle nicht: denn jener Achill muß an Gestalt und Kraft über alles andre hervorragen, muß eine furchtbar hohe Erscheinung seyn. Der Achill dieses Stückes ist aber nur ein feurig-liebender Jüngling, aus dem sich erst der Kriegesheld entwickeln soll, – und diesen gab Hr. Bethmann sehr gut. Vorzüglich schön gelang ihm die Scene des dritten Aktes, in welcher er Patroklus seinen Entschluß vertraut, das Heer zur Entscheidung aufzufordern; und die des fünften, wo er Iphigenia zur Flucht bereden will, und sie mit Entschlüssen der Rache an Troja, verläßt. An ein Paar Orten überraschte ihn indeß sein vormaliger Fehler, daß er die letzten Worte verschluckte.
Kalchas ist, nach den erstgenannten, die Hauptgestalt des Stückes; aber nach meinem Gefühl, mislang er durchaus. Dieser furchtbare Bote der Götter sprach und spielte mit einer sonderbaren weichen Wehmuth, die schlechterdings nicht den Repräsentanten des Schicksals, die Autorität in ihm errathen ließ, die hier das Schrecklichste erzwingt. – Der erhabne Moment, in welchem er Achill, am Ende des dritten Akts, da dieser Iphigenien wider den Vater und König zum Beschützer sich aufwirft, plötzlich durch den Ausspruch niederschlägt:
»Hinweg! Sie ist ein Eigenthum der Götter!« hatte gar nichts Erschütterndes. Auch die Scene des 4ten Aktes, in welcher Kalchas Iphigenia zum Enthusiasmus entflammt, der sie selbst über die Liebe zum Leben und zu dem Bräutigam, hinweg hebt, – mislang durch den Beichtvaterton, mit welchem Kalchas sprach. Man sah in beiden Scenen Wirkungen ohne entsprechende Ursache, und kam in Versuchung in der lezten die Seegensformel, mit welcher sich der Auftritt schließt, für einen Zauberspruch zu halten.
Ueber die übrigen Rollen nach einer künftigen Darstellung. G. M.

Rezension:
Zeitung:
Zeitung für die elegante Welt
Aufführungsdatum:
1804-09-04
Nummer:
106
Seite:
Sp. 845f.
Autor:

Das Publikum machte mit Vergnügen die Bekanntschaft eines neuen dramatischen Dichters, des Hrn. Prof. Levezow. Das bekannte Sujet war dahin modifizirt, daß  Iphigneia wirklich geopfert wird, da man die Errettung und Hinwegrückung derselben nach Tauris für eine eigenmächtige Verfälschung des Mythus durch Euripides, wie so manche andere bei ihm, hält. Homer erwähnt dieser ganzen Begebenheit gar nicht. Racine hat sich sehr albern durch seine princesse jalouse d’Eriphile zu helfen gewußt, wodurch die Iphigenia am Leben erhalten, und den gebildeten Parisern die horreur einies Wunders erspart wird, woran, wie er in der Vorrede selbst sagt, in jetzigen Zeiten (unter Ludwig dem Vierzehnten) niemand mehr glauben würde.  Das deutsche Trauerspiel enthält sehr vorzügliche Einzelnheiten, wenn sich gleich gegen die Komposizion des Ganzen Einwürfe machen ließen, die aber gegründet erst dann hervortreten können, wenn das Stück im Druck erschienen ist. Auf das Antike in der Form ist Verzicht geleistet worden, und die durchgängig schöne und vortreflich versifizirte Sprache geht häufig in Reime über. Die Darstellung war nichts weniger als vorzüglich, und die Ursache der geringen Wirkung, die dieses Erzeugnis hervorbrachte, möchte ich wohl zur Last stellen.  

Aufführungsdatum: 01.10.1804
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Iphigenia in Aulis
Quelle:
HSZ 1804, Nr. 117

Nationaltheater: Iphigenia in Aulis (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/605.

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