Dienstag den 7ten Juli: Eugenie, Drama in 5 Akten von Beaumarchais. Ein herrliches Werk ward dem gebildeten Publikum wiedergegeben, nach vielleicht funfzehnjähriger Ruhe, wofür die Direktion Dank verdient. Eine solche Wahl ist ehrenvoll wie die Anerkennung des Werths von Seiten der Versammlung, mehr noch für sie selbst als für den Dichter, dessen Meisterschaft sich deutlich genug hervorthut, und keiner Stütze bedarf. Wohl aber hat sie der Geschmack der Menge nöthig, denn immer schwankender, immer possenhafter erscheint er, und wenn, – frei gestanden! – großentheils auf die Leitung die Schuld sich wälzt, so muß das Bessere einen festeren Verein schließen um zu halten, was sich stürzt im Nichtgeiste der Zeit, der, im Haschen nach fadem Zeitvertreibe, überhaupt alles Erhebende verscheucht. Doch jetzt zum Plane des Schauspiels. Eugenie (Demois. Düring) ließ sich von ihrer Tante (Mad. Vanini) und ihrem Herzen verleiten, wider Wissen ihres Vaters, Lord Barkley (Iffland) ein Eheband zu schlingen mit dem Grafen Clarendon (Hr. Stich). Dieser, ein junger Wüstling, betrog sie, indem seine Diener Priester und alle bei der Feier nöthige Personen darstellten. Eugeniens Vater, der mit der Tochter und der Tante in der Provinz lebte, kommt, die Familie mitbringend, in einem Geschäfte nach London, als eben Clarendon eine sehr vortheilhafte Verbindung schließen will. Ihm droht Verderben, wenn er nicht verheirathet ist, ehe Eugeniens Loos, welches ihr auch schon Mutterhoffnungen giebt, bekannt ist, er hintergeht sie mit der höchsten Schlauheit eines ränkevollen Hofmanns, doch ein alter See-Offizier Owerly (Hr. Kaselitz) dessen Bruder Eugenie nach des Vaters Willen heirathen soll, beleuchtet im zufälligen Gespräche den Lebenswandel Clarendons, Eugenie ahnt ihr Unglück, endeckt es dem Vater und ihr Elend wird offenbar, als ein Brief von einem der Diener des Grafen die Mummerei mit der Vermählung bekennt. Die Tante, welche durch ihren Hang nach Prunk die Ursache dieses Schreckens wurde, sinnt Rache, sie läßt den Grafen zu sich bitten, er erscheint, in einem Augenblicke, wo er Gelegenheit hatte, Eugeniens Bruder, Sir Carl (Hr. Maurer) aus den Händen von Meuchelmördern zu retten, gedungen von dessen Obristen den Sir Carl, von jenem beleidigt, in einem Duell entwaffnete und dann zu eigenem Schutz nach London floh, ohne Nachricht zu bahen, daß seine Familie sich auch hier befindet. Clarendon entdeckt, jedoch mit schmückenden Nebenumständen, dem jungen Manne, was ihn nach diesem Hause führt und bittet ihn zu verweilen. Sir Carl bemerkt Anstalten, welche die Tante machte, um den Grafen zu zwingen, Eugeniens Ehre herzustellen, er will seinem Retter vergelten und setzt in seinem Grimme den Vater der eben erscheint, den Degen auf die Brust. Jetzt folgt die Entdeckung und das Entsetzen der schrecklichen Verhältnisse, der Tante Hinterlist wird unschädlich, doch Sir Carl will die Schmach der Schwester rächen, ihm zerbricht der Degen im Duelle mit Clarendon, dieser kehrt zurück, von dem Schauderhaften in den Vorfällen wahrhaft ergriffen u. von inniger immer durchscheinender Liebe zu Eugenien, er bestürmt mit vollem Redeglühen Aller Herzen und besiegt endlich den Stolz der britischen Gemüther durch eine Reue, mit der ein friedlicheres Leben beginnt. Die Reichhaltigkeit des Stoffes wird durch die meisterhafte Zeichnung der Charaktere gehoben und wenn man diese Sicherheit in sich aufnimmt, wird Beaumarchais anerkanntes Durchschauen der Menschen und aller Lebensverhältnisse jedem deutlich vor die Seele treten. Welch ein Vergnügen ist es, dem Geiste eines Mannes zu folgen, dessen Erfahrungen in Jahren er in wenigen Stunden uns hinstellt, verwebt mit dem ewigen Grundsatz: daß nur Rechtlichkeit und offner Sinn uns einen Frieden sichern, ohne den das Daseyn vernichtet ist: Welch’ eine Freude ist es, für den, der beurtheilen darf, nur loben zu können! – Die Uebersetzung hat Stellen, die höher stehen könnten, und die ein wenig veraltet sind, aber sie ist sonst sehr lobenswerth, und der Gedanke des Dichters, die Akte nur durch das Stillstehen der Handlung anzudeuten, ist nicht unangenehm. Iffland gab den Barkley mit entzückender Wahrheit, die wenigen Momente, wo sein Sprachorgan ihn verließ, deckte er mit seiner Größe als darstellender Künstler. Herr Stich als Clarendon bewieß: daß der Vorwurf von Einseitigkeit, den ihm selbst der Referent zu machen sich bewogen fand, nicht immer gerecht ist, er stellte den Kampf des Guten und Bösen im schwankenden Gemüth recht vorzüglich auf und wird gewiß mehr noch dem erwähnten Vorwurfe entkommen, wenn er jeden Charakter mit tieferem Eindringen in seine Eigenthümlichkeiten in sich verschmelzt. Sir Carl hätte sich ein wenig bedeutender machen können, Owerly war zu sehr Herrn Kaselitz nachgebildet. Herr Rüthling der Sohn trug mit dem charakterlosen Kammerdiener Clarendons, der gar nicht leicht darzustellen ist, eine zu schwere Last, und Mad. Vanini hatte nur lobenswerthe Momente, zu welchen die, wo sie ihre Rolle nicht recht wußte, nicht gezählt sind. Mit Vorbedacht ist Eugenie bis zuletzt gelassen, denn Dem. Düring erschien in diesem Charakter, der dauernd von wechselnden Gefühlen bestürmt ist und das höchste Studium erfordert, wie ausgesetzt und hingegeben, um sich selbst zu stürzen. In ein Zergliedern eingehen wäre härter als es zu seyn erlaubt ist, es thut dem Referenten schon sehr weh, sagen zu müssen was er sagte. Solche Anordnung aber, welche der jungen Schauspielerinn diese Rolle zuwandte, kann niemand gut heißen, sie ist eine Grausamkeit an der Beginnenden und an jedem Fühlenden in der Versammlung. Es ist Pflicht, dem Publikum alles so gut zu geben als möglich, es ist höchst tadelnswerth, wenn es nicht geschieht bei Werken verstorbener Dichter, deren Andenken zu ehren man verstehen muß, es ist verderblich, durch solche Versuche Werke auszurotten im Repertoir, die durch alle Zeiten leben und auch nutzen könnten. Mad. Bethmann oder Demois. Maas mußte die Eugenie geben, und keine Entschuldigung kann zureichend seyn bei der Frage: Warum war es nicht so? – Es sollen die jüngeren Schauspieler nie die älteren verdrängen, nein! – sie dereinst nur ersetzen, warum werden also nicht immer die Künstler da hingestellt oder da stehen gelassen, wo noch kein Ersatz möglich ist? – Refer. ist keinesweges gegen Demois. Düring eingenommen, er schwört es, im Gegentheil meint er, daß sich etwas von ihr hoffen läßt, alles was er hier sagte, deutet nur sein Bedauern an darüber: daß man so früh sie so viel wagen läßt, auch gilt nicht alles Gesagte bloß diesem Falle. – 5 –
Nationaltheater: Eugenie (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/643.
Link zu den API-Daten: https://berlinerklassik.bbaw.de/api/nationaltheater/theaterstueck/643