Medea. Nach dem Französischen durch Herklots. Musik von Cherubini. Daß ein jeder Franzose unfähig sey, die Griechen zu verstehen, läßt sich fast a priori beweisen; und daß daher ein jedes französisches Stück, welches griechisch seyn soll, erbarmungswürdig ausfallen muß, versteht sich von selbst. Die Franzosen sind eigentlich eine barbarische Nation; denn barbarisch ist der, welcher die Schönheit verschönert, dem der freie Geist und sein schönes Spiel nicht Genüge leistet, sondern der eine armselige Etiquettte an die Stelle der Kunst zu pflanzen strebt. Und dies ist doch die Haupttendenz des französischen Drama; und es sei daher genug, anzumerken, daß dies in dieser Medea, wie in alle Tragödien der französischen Bühne, der Fall sei. Statt daher die Weitäufigkeit des Ganzen und die Flachheit desselben zu erörtern, wenden wir uns unmittelbar zur mimischen Darstellung, in welcher Madame Schick sich auszeichnete. Es ist uns recht klar geworden, wie bei der Kraft der Gestikulation, es allerdings ihr möglich wäre, manches sehr Ausgezeichnete zu liefern, wenn es ihr gefallen wollte, sich nicht so sehr hinreißen zu lassen, und sich jedesmal mehr mit den Charitinnen zu berathen. Dasselbe gilt von ihrem so herrlichen Gesang. Die Bewunderung der mechanischen Fertigkeit, sei sie auch noch so groß, ist nicht im Stande, sie für den Verlust schadlos zu halten, welchen sie durch Aufopferung der Rührung erleidet. Die bewundernswürdige Künstlichkeit ihres Gesangs ist nie Kunst, und der, welcher jene auf Kosten dieser hebt, setzt sich in den Rang der Seltenheiten, statt, daß er in dem weit höhern, göttlichen, eines Künstlers stehen könnte. Man würde ungegerecht [!] seyn und uns mißverstehen, wenn man dies anders als von Einzelnheiten in der Darstellung verstehen wollte. Madam Schick hat uns oft gerührt, erschreckt, erschüttert; aber das Höchste sei das Ziel, und nur der, welcher es erreicht, ruhe aus. Die übrigen Darsteller kommen nicht in Betrachtung. Die Musik ist unendlich künstlich, und aus Künstlichkeit oft überladen und unbedeutend. Sie hat einzelne große, erhabene und schauderhafte Stellen; und dieser Einzelnheiten sind viele, sehr viele. Indeß kann dies alles ein unbefangneres Gefühl nicht stumpf machen, gegen das beständige Ringen und Ueberwinden der Schwierigkeit, gegen die große Ueberladung und Reichthum und der daher entstehenden Verdunkelung des Hauptgedankens. Wer erwartet zum Beispiel nach der Simphonie dies Sujet, und was drückt die ganze Simphonie selbst aus. Zum Beschluß machen wir noch auf eine der herrlichsten Stellen, theils durch die Musik, theils durch das erschütternde Spiel der Schick aufmerksam. Es ist die, wo nach den Worten: Du bist verlohren, die Musik einfällt und mit ihr Medea: Ich trotze dem Verrath. Schon wegen dieser einzigen Stelle hatte Madame Schick den lebhaften Dank des Publikums verdient, welcher ihr an diesem Tage sehr sparsam ward.
Nationaltheater: Medea (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/655.
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