Obgleich dieses Werk wahrhaft ewige Züge in sich trägt und die Größe des Dichters vielseitig beurkundet, obgleich die Uebersetzung klar und kräftig ist, dennoch giebt auch dieser Versuch den Beweis, daß man die meisten Stücke des Shakespeare jetzt nur bearbeitet, nicht bloß übersetzt auf unsre Bühnen bringen darf. Es wäre, bei dem furchtbaren Mangel an guten Trauerspielen ein wahrhaft verdienstliches Werk, den Reichthum des großen Dichters uns wieder eigenthümlich zu machen, es ist aber kein geringes Unternehmen, wie dies Göthe’s Bearbeitung von Julie und Romeo darthut, die ihm so ziemlich verunglückt ist, denn die Wirkung hat sich eher geschwächt als vermehrt. Ein Dichter aber, der einer solchen Umarbeitung wahrhaft mächtig wäre, möchte sich wohl kaum finden, denn er würde natürlich seine Kraft lieber an eigne Schöpfungen wagen. Die Direktion hat sich übrigens durch die Aufführung des Othello nach dieser Uebersetzung erfreulich gezeigt. In der Handlung muß man hier und dort kleine Unwahrscheinlichkeiten bemerken. Das Vertrauen Othello’s zum Jago ist durchaus nicht motivirt, das natürliche Gefühl stößt ewig ab vom Bösewichte. Eben so wenig erklärt sich die Erhebung Cassios und die Zurücksetzung Othello’s. Auch geht nicht eines gewaltig aus dem andern hervor, die Menschen thun fast alles und die Intrigue mit dem Schnupftuche ist so, daß man durchaus von einer größeren Ansicht abgezogen wird. Das vielfache Morden am Schlusse verfehlt durchaus jede erschütternde Wirkung, es kann nur burlesk werden, wenn die Todten auf der Bühne so vielzählig sind. Der ausgezeichneteste u. hochverdiente Theil des Werks ist die Charakterzeichnung. Es ist fast keine Person da, die nicht ein Interesse erregt. Vor allen ist die Zeichnung des Jago eine, welche leben muß, so lange ihre Vererbung möglich ist. Die Mohrennatur des Othello kann ich nicht recht einigen in mir und enthalte mich also für jetzt jedes bestimmten Urtheils. In Einzelheiten habe ich auch hier des Menschen Herz überaus wahr wieder gefunden. Bei der Desdemona könnte man meinen, ein Mädchen, welche aus Liebe zu Thaten u. Gefahren den Abscheu so weit überwindet, daß sie den Mohren sich anbietet, würde selbst feurig und mindestens nicht gar zu duldsam sein; indessen pflegt man in der Regel an Andern zu lieben was man selbst nicht hat. Das aber scheint mir nicht ganz richtig und läßt sich mit allerlei Gründen kaum entschuldigen, wenn Desdemona für den Cassio bittet bei dem Gemahl, als dieser im höchsten Zorne ist. Obgleich sie die Eifersucht nicht ahnte, so sagt doch das Gefühl, der Verstand der Frauen es leicht, daß dieser Augenblick geeignet war alles zu verderben. Cassio und Roderigo sind auch ein paar recht lebendige und häufige Charaktere. Hr. Mattausch gab den Othello mit Kraft, Würde und genialem Gefühl. Wenn er es über sich vermögen wollte, die Ungebundenheit dieses Gefühls in den heftigsten Momenten fest in seine Gewalt zu nehmen, er würde die Wirkung verstärken und nicht manches verloren gehen lassen. Seine treffliche Gestalt ward durch die Costume sehr schön unterstützt. Herr Bethmann hatte den Jago herrlich durchdacht und gab ihn vorzüglich, in einigen Stellen, besonders bei schroffen Contrasten, meisterhaft. Er hat ein Talent für diese besonnenen Bösewichte, diese systematischen Charaktere, entwickelt, welches sehr bemerkt zu werden verdient. Einige ungewöhnliche Ausrufungen möchte er unterdrücken und eine ihn zuweilen überfallende Gleichförmigkeit der Haltung einzelner Reden. In der Rolle muß er in einem Selbstgespräche das: So wahr’ ich ehrlich bin! – streichen. Jago weiß was er ist und dieser Ausruf ist Inconsequenz. Wenn die schöne Madame Schröck die Herrlichkeit ihres Spachorgans genauer noch kennen lernen wollte, sie würde uns die Desdemona noch viel ausgezeichneter dargestellt haben als sie es jetzt schon, wie dankbar bemerkt werden muß, that. Leben und Wehmuth sind so vielseitig rührend, trotz ihrer erkannten Einförmigkeit und Madame Schröck hat für diese Empfindungen so viel Macht, daß sie bezaubern würde, wenn sie ihnen schmeichelte mit den möglichsten Gegensätzen. Das gesprochene Lied weggelassen würde dem gesungenen Verse größeren Eindruck geben. Demois. Beck (Jago’s Frau) sprach die eine Szene, welche sie am Schlusse hat, sehr verdienstlich und wirksam. Es ist eine gute Idee des Dichters, ihr Schuldigsein nur anzudeuten. Hr. Rebenstein hat sich den Cassio noch nicht recht zu eigen gemacht, es ist ein gar hübscher Charakter, der nicht eben flach daliegt. Hr. Stich ließ die italiänische Gluth in seiner Liebe fehlen, was dem Roderigo das Angenehme raubt. Hr. Lemm (Herzog) konnte ein wenig gehaltener seyn in dem Vortrage, er stand als Redner da. Bei der Anordnung gab es manches zu erinnern. In Cypern hat man schwerlich Oefen, das Bett der Desdemona war xxxmlich, der ganze Bogen des Hintergrundes mußte verhängt sein, die Szene hat ohnehin etwas Beleidigendes. Das Licht am Bette muß fort, denn es verwirrt ein Bild, welches Othello in dem Monologe auszudrücken hat, gewaltig. Das Würgen macht den Schluß zu einer gemeinen Mordscene. .. 26 …
Hr. Lemm
Hr. Labes
Mad. Schröck
Hr. Bessel S.
Hr. Blume
Hr. Mattausch
Hr. Rebenstein
Hr. Bethmann
Mlle. Beck
Hr. Stich
Hr. Maurer
Hr. Gern S.
Hr. Wauer
Hr. Berger
Hr. Bessel
Hr. Buggenhagen
Hr. Holzbecher
Hr. Rüthling S.
Hr. Rehfeldt
Hr. Benda
Nationaltheater: Othello (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/672.
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