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Athalia;
Trauerspiel in fünf Akten von Racine,
die Chöre komponirt von Schulz.
Die Athalia ist
eins von den Stücken des Racine, welches bei uns am bekanntesten ist; nicht
etwa, weil es den meisten innern Werth hätte, sondern weil es durch die
herrliche Musik auf eine ganz eigenthümliche Art herausgehoben wird. Es sey fern
von uns, dies Stück weitläufig zu zergliedern; zu zeigen, wie hier eine
Unwahrscheinlichkeit in der Handlung, dort ein übertriebener Ausdruck zu finden
sey: dies alles dürfte bei der Tendenz, welche die Franzosen sich vorgesetzt
hatten, sehr unbedeutende Kleinigkeit seyn, wenn nur diese Tendenz erreicht
wäre. Aber dies ist, wo der Mangel des ganzen französischen Trauerspiels liegt.
Neben der äußern Eleganz des Ganzen, neben geründeten Versen, zugespitzten
Maximen, antithetischen Sentenzen, soll nun auch noch die Natur gehörig
nachgeahmt werden; eine gewisse Wahrscheinlichkeit soll erreicht, ein gewisser
Zusammenhang soll nicht außer Acht gelassen werden; und bei einer jeden Zeile
schlägt eigentlich dem Franzosen das Herz, ob sie auch wohl motivirt wäre, ob
die Bühne nicht leer bliebe, ob die Personen auch wohl ohne Ursach auftreten u.
s. w. Mit einem Worte, der ewige Widerspruch auf der einen Seite nach
Niedlichkiet, auf der andern nach Kraft zu streben; hier die Natur darzustellen,
dort eine reine Poesie: dieser ist es, was alle französische Trauerspiele so
unleidlich macht. – Von Niemanden kann in dieser Rücksicht der Dichter so
lernen, als von dem Mahler; man nennt immer so gedankenlos hin dramatische Produkte
Gemählde, ohne andere als flache und unbestimmte Ideen dabei zu haben. Allein
man denke der Sache nur weiter nach; man sehe nur zu, was dem Mahler Farben sind,
wie bedingt er damit umgeht, und wie man die einzelne Farbe durch den
Zusammenhang mit andern gar nicht wieder erkennt; man sehe auf die allgemeinen
Klassen dieser Künstler, als Zeichner, Koloristen: und die innige Verbindung,
in welcher beide Künste stehen, wird gewiß einleuchten. Es ist hier der Ort
nicht, darüber weitläufiger zu seyn; wir ersparen es uns bis zu einer andern
Gelegenheit, und wir wollen nur bemerken, daß das ebengerügte Voltaire in weit
höherem Grade treffe, als den Racine. Die schwächste Scene des ganzen Stücks
ist die dritte des dritten Akts, in welcher Mathan seinem Vertrauten, Nabal,
entdeckt, warum er ein Anhänger Baals sey. Welche Hebel werden angelegt, um
diesen Mathan auf eine natürliche Weise zum Hasse gegen die Juden zu bewegen! Er
muß abgefallen, aus Ehrgeiz agbefallen seyn; und damit der Zuschauer dies erfahre,
muß er einen Vertrauten, Nabal, haben, und damit er diesem sein innerstes Herz
öfnen könne, ohne verdächtig zu werden, muß Nabal hinzufügen:
Pour moi, vous le sçavez, descendu
d’Ismaël
Je ne sers ni
Baal, ni le Dieu d’Israel.
Das heißt viel
Lärmen um einen Eierkuchen. Wenn man übrigens die Handlung hört, so sollte man
denken, der Dichter werde diese Gelegenheit recht benutzt haben, die Heiligkeit
der jüdischen Religion mit dem blinden Eifer der Anhänger Baals zu
kontrastiren, und ein recht lebhaftes Gemählde beider Religionen zu liefern;
allein nichts von alle dem. Alles ist so schlecht hintereinander gestellt, und
die Personen unterscheiden sich kaum von einander in ihren Phrasen. Uebrigens
hätte doch der Uebersetzer den Nahmen Jehovah nicht so schlechthin von den
Juden aussprechen lassen sollen; bekanntermaßen nannten sie ihn mit diesem
Nahmen gar nicht, und Racine geht dieser Benennung geflissentlich aus dem Wege.
Die klassische
Vollendung der Chöre ist anerkannt, und daher hier über diese nur wenige Worte.
Wenn die Rede davon ist, für eine charakteristische Musik mit der Simplicität,
wie sie der Religion zukommt, und mit Ausdruck und Feuer, wie beide dem Dienste
Gottes gebühren, ein Beispiel aufzufinden, so ist es in der That schwer, eine
andere als die gegenwärtige zu nennen, welche alle diese Eigenschaften im
höchsten Grade in sich schließt. Der ruhige Gang derselben, die kunstlose
Abwechselung, und die Bedeutenheit des Einzelnen, müssen den Liebhaber bei der
ersten Anhörung entzücken, wie sie dem Kenner Stoff zum Nachdenken und
ernsthaftem Studio gewähren.
Mit der
mimischen Darstellung konnten wir nicht zufrieden seyn. Madame Meyer und Herr
Fleck lieferten recht gute Einzelnheiten; wir vermißten aber jenes geistige
Band, welches sie in ein Ganzes knüpfen muß. Besonders mißfiel uns, wegen der
Uebertreibung und Unbedeutenheit zugleich, die Vaticination und der Schluß des
Stücks. Nichts ist in französischen Stücken so gefährlich, als der Ausdruck
hoher Leidenschaft, wegen des Schwebens zwischen Grazie und Charakter, welches
für die Darstellung wesentlich ist. Ein wenig zu viel von diesem auf Kosten
jener giebt überall einen Mißlaut, nirgend aber stärker, als in der französischen
Tragödie, deren höchtes Gesetz die mimische Politesse ist.
Nationaltheater: Athalia (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/712.
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