Die Künstler; ein Schauspiel in fünf
Aufzügen, von A. W. IfflandDie moralischen
Würkungen der Kunst und die verschiedenen Ansichten derselben aufzustellen,
dies scheint der Hauptzweck dieses Stücks zu seyn. Franz und Karl Lest
repräsentiren die ächten Künstler, Herr Lest die Folgen des unterdrückten
Kunsttalents, Nickel den eigennützigen, mechanischen Künstler; Henriette die
Dilettantin von Gefühl; Mamsell Bergmann die durch Eitelkeit verdorbene und die
Kunst nur aus Nebenabsicht liebende Dilettantin; Herr Bergmann drückt die
Ansicht der Philister und gemeinen Naturen aus, seine Frau denkt billiger, und
läßt ihre Söhne wenigstens gewähren; Rath Herber den reichen, unwissenden Mäcenas,
und Faß macht die Verwickelung des Ganzen, indem er Bergmanns Abneigung gegen
die Künstler zu seinen Nebenabsichten benutzt.
Es ist durchaus
gleichgültig, ob Herr Iffland sich dieses Sinnes in seinem Schauspiel, so
durchgängig ist bewußt gewesen; bei den meisten Personen ist dies zwar ganz
außer Zweifel, bei den andern liegt er darin durch die Anordnung des Ganzen und
Vertheilung des Einzelnen. Man würde sehr ungerecht sein, wenn man die Mühe
verkennen wollte, welche der Verfasser auf diese Darstellung gewendet, und die
Arbeit, welche in jeder Scene sichtbar ist; um so mehr aber wird es dem
Beurtheiler Pflicht, bei diesem Produkte etwas weitläufiger als sonst, das
Eigenthümliche desselben auseinander zu setzen.
Künstler sollen
geschildert werden: sie sind der Stoff und Gegenstand des Drama. Es ist Herrn
Iffland nicht entgangen, daß die Form diesen Stoff durchaus spiegeln muß, und
er hat manches ganz eigentlich erdichtet, was nur durch Künstler geschehen
kann, und also das Stück zu einem Individuum macht. Wir rechnen dahin, den
satyrischen Kupferstich, den Holzschnitt und manches andre, besonders in den
Umgebungen. Allein ist denn dies genug? Freilich wird die ganze Verwickelung
durch die Künstler, als solche, gemacht; aber dies wird durchaus nicht gehalten,
das Stück geht bald in die gewöhnlichen Ifflandschen Verwickelungen über; der
Stiefvater wird mit einem Banquerott bedroht; die Künstler, seine Stiefsöhne,
retten ihn durch ihre Entschlossenheit mit ihrem väterlichen Vermögen, und – –
– der Vater glaubt an die Kunst. Heißt dies nun den Stoff seines Stücks in der
Form durchführen? Wie anders geschieht dies, zum Beispiel, in Göthe’s
Mitschuldigen. Hier ist kein Zug, der nicht auf eine enge, beschränkte Existenz
hindeutete; alle Personen spiegeln mehr oder weniger einen sehr begränzten
Kreis; ja selbst das wilde Leben erscheint so kleinlich, so mager und reizlos,
daß der Zuschauer sich des Lächelns nicht enthalten kann, daß Göller, um
dasselbe nicht zu entbehren, sich zu einem Diebstahl entschließt. Diese absolute
Einheit nun, welche die Darstellung und das Dargestellte hat, diese ist es, was
wir hier vermissen. Wir finden sie dagegen in einem hohen Grade in den Jägern
und einigen andern Stücken des Verfassers.
Doch lassen wir
das fahren, so bleibt immer die Ansicht des Verfassers von der Kunst übrig. Ist
dies, so kann man fragen, die Meinung des Verfassers von der Kunst, daß sie
nicht ganz unnützlich sei, unter andern auch bisweilen zur Rettung von einem
Banquerott diene? Bewahre, wird Herr Iffland sagen; allein es ist die Ansicht
von Herrn Bergmann, es ist die Ansicht des Pöbels, die ich darstellen will.
Und, kann man wieder fragen, verdiente es diese Ansicht, so besonders
dargestellt zu werden? Scheint die Meinung einer gemeinen, niedrigen Seele es
werth zu sein, daß man Zeit und fünf Akte daran wende, um sie aufzustellen? Und
endlich wird ja durch das Stück deutlich genug gesagt, daß diese Künstler
Ideale und Repräsentanten sein sollen; warum dieß wieder, wenn nur diese
Ansicht darzustellen war? Endlich stehen ja auch Zuschauer da, von welchen man
doch wohl supponiren kann, daß sie von jener Ansicht des Pöbels in Hinsicht der
Kunst frei sind, und was bleibt dann für die, als zu sehen, in wiefern Herr
Bergmann getroffen sei.
Endlich der
Schluß; der Vater sieht ein, daß er seinen Söhnen unrecht gethan habe, und
versöhnt sich mit ihnen; die Familie fügt sich in eine Gruppe zusammen; so will
der Vater, soll Franz sie mahlen. Er ist gerührt, er will weinen, es ist ihm
unmöglich, bis Karl die Flöte spielt, da geht ihm der Sinn für Musik auf, und
sein gepreßtes Herz erleichtert sich.
Man sieht, hier
hat der Verfasser wieder Franz und Karl als Künstler in das Stück gezogen;
allein was ist genau der Sinn, welcher dargestellt ist? Kunst ist ein
Erleichterungsmittel bei betrübten Vorfällen; – eine Flasche Wein würde dennoch
eben das sein, was Kunst ist. – Was Herrn Iffland zu statten kommt, und sich
auch wider ihn sagen läßt, ist oben da gewesen.
Nur eins noch!
Muß es denn immerfort nur Geld, immer Geld und nichts als Geld sein, welches in
Ifflandischen Stücken eine so große Rolle spielt? Es giebt so vielen andern
Stoff, welcher für Karakter- und Familiengemählde paßt, und zum Scherz hier die
Grundzüge zu einem Gemälde, welches man: der Triviale, oder, mit seine
Umgebungen, die Modewelt nennen könnte. Ein junger Mensch mit einer
Dreistigkeit und Prätension, welche bis zur Unverschämtheit gehen, und den
Mangel des soliden Wissens ersetzen sollen, produzirt sich in einer Stadt, in
welcher er bis jetzt nur dem Namen nach bekannt war. Um seine Arroganz und
Eitelkeit desto besser zu motiviren, könnte man ihn zum Schriftsteller machen,
und fingiren, daß er über eine Lieblingsmaterie des Zeitalters, zu welcher
keine besonderen Kenntnisse gehören, geschrieben, und sich dadurch einen sehr
prekären Ruf erworben habe. Er tritt nun in einen Zirkel, dessen weitere
Ausführung dem Dichter überlassen bleibt, als Redner auf, und sein Absprechen
über ihm völlig unzugangbare Gegenstände, seine Lebhaftigkeit im Gespräch,
verbunden mit dem Mangel an Witz, macht anfangs die Leute stutzig. In den
kleinen Kniffen der Eitelkeit nicht unerfahren, schmeichelt er den Damen, und
stellt sich, als wenn er die Gelehrten hochhielte; aber seine unbehülfliche
Arroganz läßt ihn nur die letzte Klasse gewinnen, mit der er gemeinschaftlich
eine Partei macht, und Anekdoten aufjagt, verleumdet u. s. w.; dies alles
müßte eine piquantes Theaterspiel machen, und den Schluß des Stücks die
Enthüllung der Seichtigkeit und Trivialität. Worauf er sich entschließt, in seine
Vaterstadt zurückzukehren, wo man sein Verdienst besser erkennen werde. Herr
Iffland hat uns immer in Erfindung seiner Namen zum Muster gedient; in dem
gemeinen Namen Bergmann liegt gleichsam schon die Gemeinheit im Klange; auch
die Italiener bedienen sich bei ihren Masken bedeutender Namen, z. B.
Tartaglia, Smeraldina etc.; da nun die Trivialität sich nicht so bestimmt im
Aeußern darstellt, so müßte man hier zum Beispiel die vorzügliche und einzige
Kunst trivialer Leute, Bemerkungen andrer aufzulesen und bei Gelegenheit
anzubringen, bezeichnen; und so könnte man ihn zum Beispiel Merkchen nennen,
und durch die Diminutivsylbe nebenbei auch noch die ungemeine Unbedeutenheit
und flache Niedlichkeit ausdrücken. Hiebei müßte nun das Geld gar nicht in
Betrachtung kommen, und alles könnte ohne Schulden abgehen. Uebrigens muß der
Dialog von einer brillanten Einzelnheit sein, und die Umgebung sehr piquant, um
die Flachheit des Hauptkarakters zu heben.
Wir kommen
nun zu dem Einzelnen des Ifflandischen Stücks. Der Hauptkarakter ist wirklich
sehr brav genommen und gehalten; es ist ein guter Sinn, welcher dargestellt
wird, daß der wohlhabende gemeine Kaufmann niederträchtig wird, als er nicht
mehr wohlhabend ist. – Herr Iffland spielte diese Rolle meisterhaft, mit
einer Fertigkeit, Kraft und Sicherheit, welche den höchsten Dank des Publikums
ganz unbestritten verdient hätte. Der Klaviermeister ward recht brav
dargestellt; Rath Herber übertrieben; die Henriette sehr kalt vorgetragen; und
die übrigen Karaktere in einer gewöhnlichen, individuellen Manier. Nur über
Mamsell Bergmann, welche die durch Prätension und Eitelkeit verderbte
Dilettantin repräsentirt, ein paar Worte. Der Verfasser scheint hier seine
Ansicht der Kritik beiläufig darstellen zu wollen, und zu verstehen zu geben,
ein Kritiker müsse mehr von der Darstellung der Empfindung, als über den
Verstand in einem Kunstwerke sprechen. Darin hat er nun ganz recht, denn die
Empfindung ist mit Einschränkung das höchste und einzige Ziel einer jeden
Darstellung. Allein die Empfindung erhält man doch in einer gewissen Form; und
nun ist leider die Form des Kunstwerkes die Verständlichkeit. Es muß verstanden
werden können; diese Bedingung ist ganz unerlaßlich, und wer hier dem Kritiker
Einwürfe macht, versteht bloß nicht, wovon die Rede ist. Allein diese
Verständlichkeit besteht nicht in der Anordnung des Gerüsts, nicht darin, daß
einer Scene die andere richtig subordinirt sei, sondern bloß in der gegebenen
Möglichkeit, die Empfindungen zu erhalten. Insofern ist aber auch beides nicht
zu scheiden, sondern eins und dasselbe. Herr Iffland meint unstreitig, er würde
sonst gar nichts meinen, jene Kritiker, welche bei entschiedenem Mangel an
Sinn, nur mit ihren Kritiken auf das Gerüst sehen, und Kleinigkeiten rügen,
welche die Harmonie der Empfindung nicht mehr fühlen läßt; und darin hat er
ganz recht, so muß man nicht kritisiren; aber man nehme sich wie man wolle, man
erlasse sogar den Dichtern den Menschenverstand, so wird von den bändereichen
Schriften unsrer deutschen Theaterdichter dennoch wenig übrig bleiben.
Nationaltheater: Künstler, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/755.
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