Am 12ten Februar wurde zum erstenmal aufgeführt: Gleiches mit Gleichem, ein Lustspiel in fünf Aufzügen, nach den Italienischen des Federici; bearbeitet von Herrn Vogel. Weder von Federici noch von Herrn Vogel habe ich bis jetzt etwas gehört, aber ich freue mich die Bekanntschaft mit Beiden auf eine so ungemein angenehme Art gemacht zu haben, und ich eile durch gegenwärtiges Blatt auch für mein Theil, so viel an mir ist, beizutragen, daß unser ganzes Publikum diese Bekanntschaft machen möge. Mir hat Gleiches mit Gleichem in jeder Rücksicht einen Genuß verschaft, wie ich ihn lange nicht im Theater gehabt habe; das Stück selbst hat interessante Karaktere, eine rasche, fortschreitende Handlung, neue, zum Theil überraschende und recht komische Situationen, viel Laune, und manchen treffenden Witz, auch der Dialog ist leicht und angenehm, kurz ich finde eher alles Schöne darinn, nur nichts eigenthümlich Italienisches. Dies fehlt so sehr, daß man auf die Vermuthung kommen muß, der deutsche Bearbeiter habe sehr frei bearbeitet. Dem sei indeß, wie ihm wolle; er hat ein Stück geliefert, das jeder Bühne willkommen und jedem Publikum einen angenehmen Abend verschaffen muß, wenn es auch nicht überall so schön vorgestellt wird, als hier, und daran ist freilich sehr zu zweifeln. Ich will kürzlich den Inhalt desselben anzeigen. Der Fürst eines nicht großen Landes reiset mit seinem Begleiter Werth incognito, um sich unter den edelsten und schönsten Töchtern seines Landes eine Gemahlinn auszusuchen. So ist er auch auf das Guth des Reichsgrafen von Ahrfeld gekommen, der eine junge, schöne und wohlerzogene Tochter besitzt. Julie, so heißt diese Tochter, ist aber schon lange dem jungen Baron Waisen, dem Sohn eines alten Freundes ihres Vaters, der mehr als dreißig Meilen von ihrem Guthe wohnt, und den weder sie, noch ihr Vater bis jetzt gesehen hat, nach der Übereinkunft beider Väter bestimmt worden. Dieser junge Baron Waisen wird eben auf Ahrfelds Guthe erwartet, um seine Braut heimzuführen. Außer Julien hat der Graf Ahrfeld noch einen Sohn, der als Hauptmann dem Fürsten dient, und jetzt gerade zu Felde ist; auch befindet sich in seinem Hause seine alte Schwester, die Gräfinn von Ahrfeld. Der Fürst ist kaum auf Ahrfelds Guth angekommen, hat kaum unbemerkt Julien gesehen, als er sie schon liebt und zu seiner Gemahlinn wünscht, aber sein Begleiter Werth hat ihm auch gleich die gemachte Entdekkung von ihrem Verhältniß mit dem Baron Waisen und dessen naher Ankunft mitgetheilt. Er entschließt sich daher, sich für diesen auszugeben; damit er aber desto sicherer entdekke, ob Julie seine Person oder die angenommene Maske liebe, stellt er sich bei der ersten Zusammenkunft mit ihr als einen Freund des Baron Waisen an, spricht viel zu dessen Vortheil, und da er auf das untrüglichste wahrnimmt, daß (freilich sehr natürlich) Juliens Herz noch ganz unbefangen gegen den ihr zwar zum Gemahl bestimmten, aber noch ganz unbekannten wahren Baron ist, so überreicht er ihr sein, des Fürsten, Portrait, und fragt sie, ob sie einen solchen Mann wohl lieben könne Julie in aufmerksamer Betrachtung des Portraits, das ganz ihren geheimsten Wünschen zu entsprechen scheint, verlohren, bemerkt nicht sogleich dessen Ähnlichkeit mit dem Original, das vor ihr steht; aber da sie ihre Augen von dem Portrait ab zu diesem Original hinwendet, verräth sie sogleich dem angeblichen Baron alles, was der Fürst nur angenehmes wünschen und dem wahren Baron nur widriges begegnen konnte — ihre Liebe in Blick und Ton und allem. Gleich nach dieser Scene erscheint Tapfer, Diener des Hauptmanns, Ahrfelds Sohn, und kündigt die Ankunft seines Herrn und eines Fremden, den er mitbrächte, an. Tapfer, der den Namen dieses Fremden (es ist der wahre Baron Waisen) recht gut weiß, aber, weil es ihm verboten ist, nicht bekannt machen darf, hört von Juliens Kammermädchen, daß eben der Baron Waisen angekommen sei und sich bei Julien befinde. Dies frappirt ihn natürlicherweise, und noch mehr den Hauptmann und den wahren Baron selbst, denen er eiligst von dieser räthselhaften Erscheinung Nachricht giebt, und die sogleich bei ihrem Eintritt im Hause aus Juliens eigenem Munde nur zu gewiß erfahren, daß der falsche Baron schon festen Besitz von ihrem Herzen genommen hat. Aber noch größer ist ihr Erstaunen, als sie aus dem Portrait, das Julie ihnen zeigt, erkennen, daß es der Fürst selbst ist, der dem wahren Baron so glücklich zuvorgekommen ist. Der Hauptmann, der den Fürsten für einen Wollüstling hält, und ihm nur die Absicht zutraut, seine Schwester um ihre Ehre zu bringen, während er, der Bruder, für die Fürstliche Ehre sein Blut vergoß, wird um so aufgebrachter gegen denselben, je deutlicher er jeden Augenblick gewahr wird, daß Juliens Herz für den bestimmten Bräutigam auf immer verloren ist. Er beschließt bei sich einen Plan, und bittet seinen Freund Waisen, sich in alles zu fügen, was er anordnen würde, ohne ihn mit diesen Anordnungen bekannt zu machen. Zugleich empfiehlt er ihm fernere Verschweigung seines Namens, und eben dies gebietet er seinem Bedienten Tapfer. Der Fürst hat inzwischen nicht nur Juliens Herz immer mehr gefesselt, auch die alte Tante, die Gräfinn Ahrfeld, hat er ganz für sich eingenommen, sie ist, wie sie selbst sagt, enchantirt von seinen Douceurs.
Indeß hat Juliens
Bruder vergebens versucht, ihr die Neigung des angeblichen Baron zu ihr und seine
Absichten verdächtig zu machen; vergebens hat er ihr seinen Freund, den wahren
Baron, dessen Name aber noch immer ein Geheimniß bleibt, als einen ihrer Liebe
würdigern Gegenstand vorgestellt; sie begreift ihn nicht, da sie nicht anders
weiß, als daß der Liebling ihres Herzens auch der ihr verheißene, erwartete
Bräutigam sei, ihr befangenes Herz ist der Liebe für einen andern nicht mehr
offen und unwillig verläßt sie ihren Bruder, dessen Beschuldigungen gegen den
angeblichen Baron ihr grundlose Verläumdungen scheinen. Aber freilich ist ihre
Ruhe dadurch gestört und wirklich scheint der Verdacht ihres Bruders auf einen
Augenblick auch der ihrige zu werden, als der Fürst auf die Nachricht, daß
dieser Bruder angekommen sei, bestürzt den Entschluß faßt, plötzlich
abzureisen, um von demselben nicht erkannt zu werden und dadurch seinen Plan
mit Julien vielleicht vereitelt zu sehen. Er entfernt sich wirklich, aber der
der alte Graf von Ahrfeld, der eben von der Jagd zurückkömmt, die Ankunft des
erwarteten, aber ihm von Person noch nicht bekannten Barons erfahren hat und
ihn jetzt im Begriff wieder abzureisen sieht, bringt ihn zurück in das Zimmer,
wo Julie mit ihrer Tante noch gegenwärtig und über diese Rückkunft nicht wenig
getröstet ist. Indem erscheint auch der Hauptmann Ahrfeld, bewillkommet seinen
Vater und bittet zugleich um Erlaubniß, die Gesellschaft mit seinem
mitgebrachten Freunde bekannt machen zu dürfen und — siehe da — der Hauptmann
stellt zum Erstaunen aller den wahren Baron Waisen als den Fürsten, der das
Haus seines Vaters mit seinem Besuche beehren wolle, vor. Die alte Tante, die
den Fürsten als Kind gekannt, findet auch gleich Ähnlichkeiten und dieß macht
sich natürlicherweise sehr komisch. Niemand ist indeß über diese Erscheinung
mehr betroffen, als der wahre Fürst, und noch mehr steigt sein Erstaunen über
die unverlegene Art, mit welcher der vorgebliche Fürst sich beträgt und über
die Dreistigkeit, womit er ihm einige Seitenhiebe versetzt. — Vergebens bemüht
sich der wahre Fürst, den wahren Namen dieses unerwarteten Collegen zu
erfahren; Tapfer, den er deshalb zu bestechen sucht, gesteht nichts. Aber die
Umwandlung des bisher anonymen Freundes in den Fürsten hat auf Juliens Herz
keinen Einfluß; sie bleibt gleichgültig gegen den wahren Baron in der Larve des
Fürsten und liebt treu den wahren Fürsten in der Larve des Barons. Die
Forderungen ihres Bruders, die in Befehle, gar nicht mehr mit ihrem
Inniggeliebten zu sprechen, ausarten, machen ihre Liebe nur fester. Und
besonders begünstigt ihre Neigung die alte, jungferliche Tante, die, wie
gesagt, von den Liebenswürdigkeiten des angeblichen Barons so entzückt ist, daß
sie sich glücklich preißt, daß ihr vor dreißig Jahren kein solcher
Herzensbändiger vor Augen gekommen sei; und die auf der andern Seite so sehr
gegen den Fürsten ist, daß sie ihre Nichte lieber mit einem Bourgeois als mit
ihm verheirathet sehen möchte. Nicht etwa, als wäre sie gegen den Fürsten als
Fürsten, sondern weil sie die Meinung von ihm hegt, daß er ein junger
leichtsinniger Wüstling sei, und dies giebt zu einer, zwar nicht neuen, aber
immer recht komisch bleibenden Situation Anlaß. Die Tante erzählt nehmlich ganz
treuherzig dem wahren Fürsten, was für ein ausgelassener Mensch der Fürst sei,
daß er allen Mädchen nachstelle und um ihre Ehre zu bringen suche, daß es ihm
aber bei ihrer Nichte nicht gelingen solle. — Durch die unverstelltesten
Beweise von Juliens Liebe ist indeß die Absicht des wahren Fürsten, Julien zu
seiner Gemahlinn zu wählen, so unwandelbar geworden, daß er gegen seinen
Gefährten Werth, der ihm den Rath zu geben wagt, daraus eine gewöhnliche,
fürstliche Galanterie zu machen, in den heftigsten Zorn geräth. Gleichwohl
fühlt er, daß er die angenommene Larve des Barons nicht mehr lange fortführen
könne und eine Unterredung, die Juliens Bruder mit ihm allein begehrt hatte und
die eine sehr ernsthafte Wendung nimmt, überzeugt ihn nur zu gewiß, daß er von
diesem schon erkannt sei und daß er seiner Verlarvung ein Ende machen müsse.
Beleidigend scheint ihm jetzt die Dreistigkeit, daß derselbe in seiner
Gegenwart einen andern als Fürsten vorzustellen wagen konnte, und er ergreift
deshalb Maasregeln, wodurch er hinter den wahren Namen und die Absichten des
angeblichen Fürsten, (denn beides ist ihm noch immer unbekannt) kommen und zugleich
sich als den wahren Fürsten darstellen könne. Werth muß dazu das Nöthige
besorgen. Inmittelst hat sich das Gerücht, daß der Fürst sich auf Ahrfelds
Guthe befinde, im Dorfe verbreitet und die Gemeinde schickt deshalb zwei
Deputirte, Kohl und Schaaf auf das gräfliche Schloß, um ihn auch ihrerseits zu
bewillkommen. Beide Bauern treffen zuerst den wahren Fürsten im Zimmer an,
halten ihn für einen neuen Bedienten und nehmens ihm daher, wie sie sich
ausdrükken, nicht übel, daß er sie nicht nach Würden begrüßt habe. Seine
anscheinende Verlegenheit halten sie für Schaam darüber, daß er nur ein
Bedienter sei und Kohl sagt, nun, nun, schäm’ er sich nur nicht, wir können
nicht alle Bauern sein. Als er erfährt, daß sie gekommen sind, um den Fürsten
zu bewillkommen, giebt er sich für einen aus der Gesellschaft des Fürsten, der
immer um und bei ihm sei, aus und sie, dadurch noch begieriger gemacht, von
ihrem Fürsten, dem sie mit ganzer Seele zugethan sind, recht viel Genaues zu
erfahren, bitten ihn, davon zu erzählen. Er, um ihre Anhänglichkeit auf die
Probe zu stellen, sagt dem Fürsten allerlei Böses nach, das ihm beinahe sehr
übel bekommen wäre, und hätte er nicht zur rechten Zeit eingelenkt, so hätte
der Fürst von seinen Bauern aus Liebe zu ihm unbekannterweise Prügel gekriegt.
Bald nach dieser Scene erscheint Werth, meldet ihm, daß alles besorgt sei und
nun entfernt sich der wahre Fürst auf einige Augenblikke.
Dagegen erscheint
gleich darauf der Major Mohrbach mit Wache, überreicht dem Grafen Ahrfeld einen
fürstlichen Befehl an ihn, über seinen eigenen Sohn und den angeblichen
Fürsten, die er, der Major, in Verhaft nehmen solle, ein Verhör wegen ihres
gespielten Betrugs zu halten. Daß über diese Erscheinung alles im ganzen Hause
äußerst bestürzt wird, daß sie dem Vater, der Tante, Julien, den Bauern
unerklärbar scheint, ist natürlich. Graf Ahrfeld überzeugt sich indeß von der
Richtigkeit der fürstlichen Hand und seines Siegels; der Hauptmann, der
angebliche Fürst, und auch Tapfer, des Hauptmanns Bedienten, werden wirklich
verhaftet und die Bauern müssen die Nacht über im Schlosse bleiben, um am
folgenden Tage dem Verhör beiwohnen zu können. Dieses geht dann auch wirklich
vor sich; zuerst wird Tapfer vernommen, Drohungen fruchten nichts, aber die
Versprechungen des Grafen Ahrfeld, daß er ihn in seine Dienste nehmen wolle,
bewegen ihn zu gestehen, daß der angebliche Fürst bis zu seiner Ankunft in
diesem Hause den Namen Baron Waisen geführt habe. Nun treten der Hauptmann und
sein Freund auf; letzterer gesteht sogleich, daß er der Fürst nicht sei und
überreicht dem Grafen Ahrfeld einen Brief seines Vaters an ihn, woraus der Alte
zu seinem größten Erstaunen nur zu gewiß sieht, daß dieser der Sohn seines
Freundes und seiner Julie bestimmter Bräutigam sei.
In dem Augenblick
nun, da aller Verdacht des Betrugs auf den, der bisher als Baron passirte,
fällt, da Juliens Herz mit bangen Besorgnissen gefoltert wird, tritt der wahre
Fürst herein und giebt sich als solchen zu erkennen.
Ahrfeld, um mit
einmal gewiß zu sein, ob der Fürst ein edler Mann oder ein Verführer ist, führt
ihm sogleich seine Tochter zu. Der Fürst betheuert seine Liebe, erklärt aber
mit edler Resignation, daß er das ältere Recht des Barons ehre und daß Julie
als freies Mädchen zwischen ihnen beiden entscheiden solle.
Julie erklärt
weinend, daß sie als gehorsame Tochter und zärtliche Schwester sich dem Baron
hinzugeben schuldig sei, aber der Baron, der in der Art dieser Erklärung die
Liebe Juliens zu dem Fürsten nur zu deutlich sieht, und dem es niemals um ihren
Besitz sonderlich zu thun war, da er ein Liebchen in der Nähe seines
väterlichen Guths hat, führt Julien dem Fürsten zu, der sie mit Entzükken in
seine Arme schließt. Und so endigt sich das Stück zur Freude aller, zur Ehre
des Hauptmanns, dem der Fürst unter den edelsten Äusserungen den Degen selbst
wieder giebt, zu einiger kleinen Beschämung der Tante über ihre Physiognomik
und zum Frolokken der Bauern, denen der Fürst seinen Dank für ihre Liebe auf
das herzlichste zu erkennen giebt.
Vielleicht kann
diese Inhaltsanzeige des Stücks, die ich aus einer einmaligen Ansicht desselben
entworfen habe und die daher ohne Zweifel manche Lükken hat und der es
vielleicht noch mehr an einer pragmatischen Zusammenstellung der Dinge fehlt,
manchen verleiten, in mein obiges Urtheil über den Werth des Stücks Zweifel zu
setzen. Ich will deshalb dies Urtheil näher bestimmen; ich nehme nicht zurück,
daß das Stück eine rasche fortschreitende Handlung hat, aber ich sage damit
nicht, daß nicht eine und die andere Scene hätte wegbleiben oder doch mehr
zusammengedrängt oder auch anders gestellt werden können, noch weniger will ich
damit sagen, daß die Handlung in der schönen Einheit und dem natürlichen
Zusammenhang, wie sie anfängt, bis zum Schluß des Stücks fortläuft. Dies ist
vielmehr nur bis zum Anfang des vierten Akts der Fall. Von da an braucht der
Baumeister Stützen und Maschinen zur Forttragung seines Gebäudes. Das Stück ist
gewissermassen da zu Ende; der Fürst konnte sich nun, da er sich erkannt sah
und dadurch seine Wünsche vereitelt zu sehen fürchtete, ohne viele Umstände
erklären, wer er sei und was er für Absichten habe, wenn diese Absichten, wie
sie es wirklich sind, redlich waren. Die Bauern und das ganze Verhör, die
schlimmste Parthie des Stücks, waren nicht nöthig und es gefiel mit drei oder
vier Akten vielleicht so sehr oder noch mehr als jetzt mit fünfen. Die
Verhaftnehmung des Hauptmanns und des Barons und das Verhör über sie sind nur
ein leeres Manövre und doch macht dies Manövre auf einige Augenblikke über die
Absichten des Fürsten irre, der fast zu schön, zu edel, zu einfach und populair
geschildert ist und den vielleicht wir Berliner allein, seit Monaten gewöhnt in
der Wirklichkeit zu sehen, was uns hier die Phantasie des Dichters aufstellt,
für kein unerreichbares Ideal halten. Ich sage, dies Manövre macht auf einige
Augenblikke über die Absichten des Fürsten irre und man wird mindestens
verleitet zu glauben, daß dieser so vollkommne liebenswürdige Fürst doch so
kleinlich edel sei, daß er den Baron für seine unbefugte fürstliche
Repräsentation und den Hauptmann für die Hülfe, die er dabei geleistet und die
Wahrheiten, die er ihm, dem Fürsten, aus den reinsten und unerkennbarsten
Beweggründen gesagt hat, einigermaßen züchtigen wolle.
Aber
demohngeachtet sind die beiden letzten Akte nicht ohne Interesse. Die Mittel,
womit der Verfasser von da an das Stück forttragen läßt, sind zum Theil an sich
selbst so gut angegeben und eingerichtet, daß sie durch sich selbst
interessiren, nehmlich, die beiden Bauern, die Situationen, in die sie gebracht
und wodurch sie noch interessanter werden, ungerechnet; zum Theil aber
verlieren diese Mittel durch die Personen, die dabei gebraucht werden, sehr
viel von dem Unangenehmen, das sonst damit verbunden sein würde; dies gilt
namentlich von dem Verhör, welches um so mehr, da alle Zuschauer schon vorher
wissen, was dabei herauskommen kann und muß, Langeweile machen müßte, wenn
nicht der so unterhaltend gezeichnete Baron Waisen eine Hauptfigur dabei
spielte und sich auch hier in seiner originellen Art zeigte.
So behält denn
das Stück bis zum letzten Akt fortdauerndes Leben und Interesse und wenn auch
die Verhörscene auf einige Augenblikke die Theilnahme ermüdet, so wird sie
durch die Schlußscene bald wieder lebhaft erweckt. Die humane Art, wie sich der
Fürst hier zeigt, seine edle, gefühlvolle Resignation und seine lautre Freude,
da Julie dennoch die Seine wird; und vor allem sein Benehmen gegen den
Hauptmann, befriedigen alle Wünsche und bewirken eine angenehme Empfindung
aller Herzen, eine erhebende Stimmung aller Gemüther. Nur die den Bauern
abgewischten und zur schönsten Zierde des Brautschmucks gewidmeten Thränen
machen sich — ich will das gelindeste Wort gebrauchen — zu romanhaft. Auch kann
ich nicht unbemerkt lassen, daß die Bedientenspäße mit dem Bratspiesse,
Speisekammer und dergleichen mehr als einmal und auch wohl am unrechten Orte
vorkommen, wodurch sie allerdings unangenehm werden. Übrigens sind meine Ohren
gar nicht so überekel, daß sie durch dergleichen Späße beleidigt würden; noch weniger
verlange ich, daß Bediente mit der zierlichen Politur des Ausdrucks reden
sollen, als wenn sie Kandidaten der Gottesgelahrtheit wären.
Und dieses Stück
wurde nun mit einem Ensemble dargestellt, das man wohl auf andern Bühnen
vergebens suchen möchte und das auch auf der hiesigen noch immer selten genug
ist, um ausgezeichnet erwähnt zu werden. Alle Schauspieler, (nur Herr Kaselitz,
der den Tapfer spielte, nicht ganz) waren an ihrem Platze; alle hatten ihre
Rollen sorgfältig gelernt, alle schienen mit dem lebendigsten Eifer, sie schön
darzustellen, beseelt zu sein; aber Niemand arbeitete blos für sich, sondern
für den Einklang des Ganzen und mußte hier die Wahrheit auf das anschaulichste
empfinden, daß nur dann das Einzelne, sei’s eine einzelne Rolle oder einzelne
Scene, die wahre, allgemeine Wirkung macht, wenn es keine abgerissene, mit den
übrigen Theilen nicht harmonirende Schönheit, sondern ein nothwendiger Beitrag
zum Ganzen ist. Herr Beschort, der den Fürsten darstellte, erhielt die
Huldigungen des Publikums auf eine warme und glänzende Art; er wurde nach
Endigung des Stücks mit großer Allgemeinheit und mit einem Drange, der aufs
deutlichste bewies, daß man heute keine Farce spielen wolle, hervorgerufen. Der
gefällige Anstand, mit dem er diese Rolle gab, sein edler, warmer Ausdruck,
sein feines, freundliches Spiel in den Scenen mit Julien, verbunden mit alle
dem, was er zu sagen hatte und worinn wir soviel lokale Beziehung fanden,
nahmen alle Herzen für ihn ein. Der Beifall, den Herr Beschort erhielt, mußte
ausgezeichneter werden, da sich zu dem Vergnügen über den schönen Darsteller,
der Enthusiasmus über den vortreflichen Fürsten gesellte. Es war darum keine
Ungerechtigkeit des Publikums, kein Beweis einer mindern warmen Anerkennung
ihres Künstler-Verdienstes in diesem Stükke, wenn nicht eine ähnliche Art des
Beifalls auch den übrigen Personen und namentlich der Mlle. Döbbelin, der
Madame Fleck, den Herrn Schwadke, Mattausch, Unzelmann und Greibe zu Theil
wurde. Unter diesen hatten wohl unstreitig Mlle. Döbbelin und Herr Schwadke die
schwersten Aufgaben. Die alte Gräfin Ahrfeld mit Beifall zu spielen, das heißt,
gellendes Händeklatschen zu erregen, ist leicht; je mehr man sie chargirt,
desto leichter ist er zu erlangen; aber was eine gewöhnliche Schauspielerinn
thut, darf man von einer Döbbelin nicht erwarten, die uns in jeglicher
Rücksicht zu allen den Forderungen berechtigt, welche Geschmack, Gefühl und
Verstand an einen wahrhaft großen Schauspieler machen können.
Man muß diese
Künstlerin, die immer zu den seltensten und denkwürdigsten Erscheinungen auf
der deutschen Bühne gerechnet werden wird, seit einer Reihe von Jahren in den
mannigfaltigsten Rollen aller Art gesehen haben, um ihre fast schrankenlose
Versatilite, den Reichthum ihrer Phantasie, die lebendige Regsamkeit ihres
Geistes, ihren glücklichen Beobachtungsblick, ihre praktische Einsicht und ihre
Theaterfestigkeit nach ihrem wahren Gehalt und Umfang begreifen und bewundern
zu können. Immer, so oft und viel sie auch spielt, ist sie mit ganzer Aufmerksamkeit
und ganzer Seele auf der Bühne, weiß ihre Rolle bis aufs Wort auswendig, läßt
uns durch Plappern oder unverständliches und zu leises Sprechen nie errathen,
was sie gesagt haben möchte und fällt doch keinesweges auf der andern Seite in
den Fehler des Gesuchten, Pretiösen und den Predigerton.
Das Genie und die Beurtheilungskraft der Mademoiselle Döbbelin zeigt sich denn auch bei der Darstellung der Gräfin Ahrfeld im günstigsten Lichte. Die auf ihren Verstand und ihre bon manière eitle, alte Gräfin, ist im Grunde eine brave, honnette Dame, ist nicht unbekannt mit der feinen Welt, und hat darin ihre guten Grundsätze nicht eingebüßt. Mademoiselle Döbbelin zeichnete sicher und fest die Grundzüge ihres Karakters; man hatte das gute Weib recht herzlich lieb, indem man über ihre kleinen Eitelkeiten lachte, und man lachte nur über einige ihrer Manieren und Äußerungen, nicht über sie selbst. Der Baron Waisen erscheint als ein jovialischer, junger Mann, der, obgleich er von Anfang an merkt, daß er um seine bestimmte Braut geprellt ist, alles von der lustigen Seite ansieht, der, wenn ihm auch einmal der Gedanke in den Kopf kömmt, daß er mit einem Körbchen werde abziehen müssen und daß ein zerbrochnes Rad, welches Schuld an seiner zu späten Ankunft auf Ahrfelds Guthe ist, eben darum Schuld an diesem Körbchen wurde, doch gleich wieder dadurch völlig getröstet ist, daß beim Zerbrechen des Wagens keines seiner Glieder verletzt worden, und, daß er seinem Vater einen gesunden Sohn zurückbringt. Dieser leichte, unbefangene Frohsinn, diese immer gleiche, scherzende Laune sind wahrlich keine leichte Aufgabe für einen Schauspieler; Herr Schwadtke hat sie ganz aufgelöset. Possen, Späße, Luftsprünge und alle die gewöhnlichen Theaterstreiche würden hier ganz am unrechten Orte sein; Er war frei von allen diesen Manieren, deren nur der Geistesarme Schauspieler als Behelfe bedarf, und die der Lustigmacher als unfehlbare Zauberformeln zur Hervorlokkung des Beifalls frivoler Zuschauer gebraucht. Herr Schwadtke entstellte damit nicht sein reines, natürliches, anstandsvolles, freundliches Spiel, und bewirkte dadurch ausser dem Kunstgenuß, den uns der Repräsentant gewährte, auch Theilnahme für den Repräsentirten, so groß, so überlegen auch nach allen Umständen das Interesse für den Fürsten ist; und man gab nur dann erst diese Theilnahme mit Vergnügen auf, als man erfuhr, daß dem Baron im Grunde mit Juliens Verlust sehr gedient ist. Eine solche Darstellung ist wahr und im Geiste des Dichters; der Künstler, der sie giebt, verdient die wärmste Anerkennung seines Werths, und diese wird auch das Publikum immer mehr einem Schauspieler gewähren, der mit rastlosem Fleiß einer fehlerlosen Ausbildung entgegen arbeitet, und der, warum soll ich nicht ein Bekenntniß meiner gehabten Zweifel ablegen, da ich sie jetzt mit so vielem Vergnügen aufgebe, mit jedem Tage Talente entwikkelt, die ich nie in ihm geahndet habe, Härten in der Deklamation, besonders in der Aussprache der Endsylben verbessert, die ich für zu tief eingewurzelte, fast unheilbare Gebrechen hielt. Madame Fleck als Julie war, wie immer, wenn sie sanfte, zärtliche Gefühle auszudrücken hat, das holde, weibliche Geschöpf, dem man so gern jedes Wort glaubt. Wer kann so wahr wie sie, und zugleich mit so viel Zartheit, so viel Decence, so viel Delikatesse, kurz mit so viel Weiblichkeit das Gefühl der Liebe ausdrükken? Aus Herrn Mattausch’s treflicher Darstellung des Hauptmanns will ich nur die Schlußscene des dritten Akts herausheben. Er sprach in dieser Scene mit so edler, männlicher Kraft, mit so hinreissendem, überzeugendem Feuer, das uns ganz für die Gerechtigkeit seiner Sache eingenommen haben würde, wenn wir nicht schon Gelegenheit gehabt hätten, den Fürsten von einer bessern Seite kennen zu lernen, als er ihn bis dahin kennen konnte. Die Herrn Unzelmann und Greibe als Kohl und Schaaf waren durch Maske, körperliche Haltung, Aktion und Sprache, die leibhaftigen, guten, ehrlichen Bauern, die der Dichter geschildert hat.
Nationaltheater: Gleiches mit Gleichem (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/76.
Link zu den API-Daten: https://berlinerklassik.bbaw.de/api/nationaltheater/theaterstueck/76