Nathan der Weise auf dem Berliner Theater. / Nathan der Weise ist von Weimar
aus in Schillers Bearbeitung fürs Theater hierher befördert worden. Dort
hatte die Aufführung einen bedeutenden Zweck: da man die Rezitazion
überhaupt zu vervollkommen sucht, so wollte man es auch einmal mit einem
Stücke versuchen, worin durchgehends der Ton des Verstandes und der
besonnenen Ueberlegung, ohne heftige Leidenschaften, und ohne eigentlich
komische Charakteristik herrscht; und es läßt sich denken, daß der Nathan
auf der Weimarschen Bühne sich besonders vortheilhaft ausgenommen haben
wird. Hier konnte dies Stück wegen andrer Beziehungen gewissermaßen als
einheimisch betrachtet werden; es giebt hier noch alte Freunde Lessings,
welche sich zuverläßig einbilden, mit daran geholfen zu haben; Moses
Mendelsohn hat hier gelebt, dessen Religionsverwandte denn auch nicht
ermangelt haben, den weisen Nathan, ihren Nathan , zu besuchen, so daß er
vier Mal wirklich ein sehr gefülltes Haus gehabt hat. / Uebrigens war es
wohl von Lessing ein wenig übereilt, wenn er das Land glücklich pries, wo
dies Schauspiel zuerst würde aufgeführt werden dürfen; denn die
Vergünstigung könnten eben so leicht von Schlaffheit als von Liberalität in
religiösen Angelegenheiten herrühren; die letzte könnte sogar fehlen, wo die
erste bis zur gänzlichen Auflösung geht. Auffallend ist es, wie so manche
Lehren und Ansichten in eben diesem Nathan, von welchem Lessing glaubte, daß
er erst in ferner Zukunft recht an der Zeit seyn würde, schon gänzlich
veraltet sind: man hat es seitdem zur Genüge erfahren, wie eine gewisse
gepriesene Toleranz nur das Negative dulden will, und das Protestiren gegen
alles Positive in der Religion, gegen jede individuelle Anschauung derselben
auf die nüchternste Dürftigkeit hinausläuft. Lessings Meinung war es auch
gar nicht, mit den neuern Theologen gemeinschaftliche Sache zu machen, aber
im Nathan könnte man ihn leicht mißverstehen. / Die hiesige Aufführung läßt
sich nicht in gleichem Grade rühmen, wie die des Regulus. Zwar Iffland, als
Nathan, befriedigte jede Forderung der Kunst; Madame Unzelmann machte als
Sittah eine sehr glänzende und geschmackvolle Erscheinung, und man bedauerte
nur, sie nicht mehr und bedeutender zu sehen, da diese Rolle bei der
Feinheit ihrer geselligen Ausbildung sich wie von selbst versteht. Herr
Mattausch, als Tempelherr, wußte für sich zu interessieren; das Bestreben,
den Ungestüm und die Uebertreibungen seines Spiels zu mäßigen, waren
unverkennbar, und sobald ihm dies gelingt, muß seine schöne Figur, sein
edler Anstand sein gefühlvolles Wesen vortheilhaft hervortreten. Er hatte
wirklich außerordentlich glückliche Momente. Auch der Patriarch wurde über
die Erwartung gut vorgetragen. Dagegen war Recha gar nicht bedeutend; Daja
charakterisirte sich, ganz unpassend, ins Kleinliche und Gemeine hinein;
Saladins Laune ging gänzlich verlohren; der wackre Schauspieler, welchem
Alhafi zugefallen war, befand sich durchaus nicht an seiner Stelle, und der
Klosterbruder war unter der Kritik. In dem verunglückten Saladin glaubte man
einen nicht zu tadelnden Alhafi zu erkennen, und der Sultan, der ja gar
nicht so bejahrt zu seyn braucht, da er noch einen Vater am Leben hat, hätte
wohl von einem der jüngeren Schauspieler, etwa Herrn Beschort, munterer und
fröhlicher gegeben werden können. / Es hilft nichts, zu tadeln, wo sich
einmal keine Auskunft treffen läßt: deswegen mag obiger Wink als einer von
vielen, die sich geben ließen, hier stehen; denn das Berlinische Theater hat
ein so zahlreiches Personal und einen solchen Ueberfluß an Mitteln, daß man
von ihm billig harmonische Darstellungen ausgezeichneter und berühmter Werke
sollte erwarten dürfen.
Den 10ten März, zur Feier des Geburtsfestes
Ihrer Majestät der Königin (nach einer von Hrn. Beschort gesprochenen Rede) zum
erstenmale:
Nathan der Weise, ein dramatisches
Gedicht in fünf Akten von Lessing, für die Darstellung abgekürzt von Schiller.
Lessing lebt noch in den Herzen
seiner Zeitgenossen und Nachkommen, seine Weisheit und regelrechte Kunst ist
noch nicht von dem Genie verschlungen; Emilia Galotti und Nathan werden noch
lange auf unsern besseren Bühnen Glück machen, indeß seine Lustspiele, die
überall mehr von dem Vergänglichen der Convenzion an sich tragen, ruhig seinen
Sämmtlichen Schriften einverleibt bleiben. Erst kürzlich ist Nathan auf der
Weimarischen Bühne (die sogar den alten Terenz wieder erweckt hat) mit Beifall
gesehen worden; auch hat man in früheren Zeiten in Berlin selbst schon eine
[xxxx]malige Repräsentation davon gehabt[1]. Für
jene Bühne hat wahrscheinlich Schiller zunächst die wenigen Abkürzungen
gemacht, die sich fast nur allein auf die Rolle der Sittah beziehen, und nur im
fünften Akte bedeutender sind. - Genauer
werden sie diejenigen angeben können, denen es beliebt, das Stück mit dem Buche
in der Hand anzuhören.
Die Rolle des Nathan scheint ganz für Hrn. Iffland gemacht zu seyn;
besser hat ihn keine Bühne aufzustellen; bei seiner Erzählung von den Ringen
zeigt er sich als Meister in der Recitation, sie wird stets mit einer
ausgezeichneten Stille angehört. (In Rücksicht des Costumes bemerken Kenner:
daß die unter den Moslemims lebenden Juden gewöhnlich weiße Gewänder und einen
Turban tragen.) Mad. Fleck – als Recha – ist in der ersten Zusammenkunft mit
ihrem Vater und mit Sittah ganz die liebenswürdige und geistreiche Schwärmerin
die sich Lessings Phantasie und Geist bildete. – Mad. Meyer ist, als Daja,
nicht nur mit einer außerordentlichen Gewissenhaftigkeit costümirt, sondern
spielt auch die schwatzthafte, gutmüthige, vorurtheilsvolle und gemeine
Christin mit einer bewundernswürdigen Natur, so, daß die Jungfrau, die Attilia,
Daja und Margarethe in den Hagestolzen wohl die, sehr weiten, Grenzen ihrer
Kunst bezeichnen möchten. – Hr. Mattausch giebt den Tempelherrn mit der
Mäßigkeit, die einer Lessingschen Person gebührt. – So sehr wir auch die
Individualität des verdienstvollen Künstlers, der den Sultan macht, lieben, so
ist es uns doch unangenehm gewesen, sie in dieser Rolle zu sehr walten zu
sehen. (Bekanntlich tragen auch die Sultane und Emirs das Zeichen der
Mahometischen Familie, den grünen Turban.) Noch eine Kleinigkeit: Lessing läßt den
T. H. zum Klosterbruder sagen:
Setze ich noch hinzu, ich bin bei –
gefangen, setze ich hinzu, daß etc. so weiß der
Patriarch mehr als genug.
Dies: Setze ich hinzu, hängt
aber nicht an dem vorhergehenden Satze, sondern bezieht sich allemal auf den
folgenden, und – „ist zu sagen“: Wenn ich noch hinzu setze. – Auch muß
sich der Klosterbruder wohl hüten, sein: Sagt der Patriarch, komisch zu machen,
so wie dieser wohl sagen mag: der Jude wird verbrannt, statt: der
Jude wird verbrannt.
[1] Davon
hat sich noch folgende Anecdote erhalten: Jemand fragt den damaligen Direktor:
Wer wird den Nathan spielen? – Ich! war die Antwort, ich selbst! – „Wer aber
den Weisen?“
Ohnstreitig war die Vorstellung, die wir von diesem Meisterwerk sahen, die beste, die jetzt auf irgend einer Deutschen Bühne möglich ist, und die überhaupt wohl noch von ihm gegeben worden: das Höchste, was sich in diesem Stücke leisten läßt, war sie eben nicht. Nathan wurde, wie sich von dem großen Künstler, der ihn spielte, versteht, sehr sinnvoll und fein gegeben, aber – zu weich, zu gebeugt, vorzüglich in der ersten Scene mit dem Tempelherrn. Die Thräne, die auf dem Mantel fiel, war nicht eine einzelne, wie sie Unmuth und Rührung in das Auge eines Greises treiben kann: sondern Nathan weinte auch mit der Stimme, war wirklich in einer zerschmelzenden Wehmuth. Sollte sich Lessing das an seinem Nathan wohl möglich gedacht haben? An dem ruhigen, festen Weisen, der auch in dem Augenblick der innigsten Freude, da es seine Recha wiedersieht, Herr genug über sich bleibt, sie von ihrer schwärmerischen Verwirrung sinnreich zurückzuführen. – Der Sultan hatte nicht Kraft und Würde genug. Den Tempelherrn machte Herr Mattausch mit edlem Feuer; Mdme Unzelmann als Sittah hatte schöne, weibliche Hoheit. Recha war eine sehr liebeswürdige, junge – Frau. Daja wurde von Mdme Meyer mit aller der gutmüthigen Geschäftigkeit, dem ängstlichen Wohlwollen und der furchtsamen Heftigkeit gespielt, die dieser Charakter fordert. Sie vergriff keinen Moment, - aber schien einige Verse unrichtig zu accentuiren, was auch in andern Rollen nicht selten geschah. Bei einem Dialog, wo fast jede Rede eine epigrammatische Wendung hat, ist das freilich leicht – allein u.s.w.
Nationaltheater: Nathan der Weise (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/79.
Link zu den API-Daten: https://berlinerklassik.bbaw.de/api/nationaltheater/theaterstueck/79