Mittwoch, den 22.
August; zum Erstenmale: Der Jude, Schauspiel in 5 Aufzügen, von Richard
Cumberland. Wir springen von einem großen erhabnem Gegenstand auf ein ziemlich
plattes Sujet aus dem gemeinen Leben herüber. Man erzählt, der berühmte
Verfasser des Westindiers sey einem reichen Juden — einem von jenen jüdischen
Mylords, welche im Parterre den Kunstrichter machen — eine Summe von dreyßig
Pfund schuldig gewesen. Er habe nicht bezahlen können, und um nicht nach
Kingsbench zu wandern, habe er in zwey Tagen dies Stück geschrieben, — in
welchem ein Jude einen Christen aus reiner Menschenliebe 30,000 Thaler,
schreibe Dreyßigtausend Reichsthaler schenkt — und dasselbe seinen Gläubiger
dedicirt, der alsdann, um wenigstens den tausendsten Theil der poetischen
Wahrheit auszuüben, seinem Schuldner die 30 Pfund geschenkt, und die Geschichte
in verschiedne Blätter, zur Erweckung wohlthätiger Gesinnungen, habe rücken
lassen. Diese historische Nachricht von der Entstehung des Stücks, wird die
grobe Unwahrscheinlichkeit der Haupthandlung erklären, und die beinahe zu
mittelmässige Behandlung des Stoffs begreiflich machen. Höchst komisch ist es,
daß ein Jude, unter dem Namen Luzes Walaroe an Herrn Iffland ein Schreiben
erlassen hat, in welchem er seine Unzufriedenheit über das Stück und dessen
Behandlung äußert. Der Charakter des Juden ist ihm noch nicht schön und edel
genug. Schewa soll nicht nur großmüthig, er soll auch ein vornehmer Jude seyn,
nach der neusten Mode gekleidet, mit einer Titusfrisur und einem dicken
Halstuch. Herr Luzes meynt, wer so viel Geld wegschenkt, müsse vornehm und
gebildet seyn, und wenigstens Ekipage haben. Er soll eine reine deutsche
Sprache führen, und nicht in der Königsstraße wohnen. Er soll gebildet seyn und
von Schakespear und Sieyes reden. Der Verfasser hat sogar die Unverschämtheit,
Herrn Iffland Schuld zu geben, er belustige das Publikum mit Harlekinaden, weil
Iffland, seiner Pflicht als Künstler gemäß und ganz in dem Sinne des Stücks,
die Denkungs-Handlungs- und Sprechart eines gemeinen aber edelmüthigen Juden
treffend darstellt, und in sein Spiel so viel Charakter legt, daß das Stück,
welches sonst unausstehlich langweilig ist, dadurch erträglich, sogar interessant
wird. Der Kontrast in dem Charakter Schewas, daß er gegen sich äusserst
geitzig, gegen Fremde äusserst wohlthätig ist, daß in ihm neben seiner
edelmüthigen Gesinnung die Grundzüge des jüdischen Charakters bestehen, daß
Erziehung und Grundsätze, Geitz und Wohlwollen in ihm streiten — diese in der
Natur so wahren Züge, an denen man allenfalls Cumberlands Meisterhand entdeckt,
die Interesse für den Charakter einflößen können, und die Herr Iffland
meisterhaft heraushebt, scheinen dem Herrn Luzes Walaroe eine Beleidigung der
jüdischen Nation. Er will dagegen einen kompletten jüdischen Grandison, mit
Sentenzen und einem Chignon in den Haaren. Herr Ambrosch, der einen ganz
gemeinen Juden höchst täuschend, komisch und für aufgeklärte Juden gewiß zu
Dank darstellt, muß auch seinen Unwillen erfahren, sogar Herr Kaselitz, weil er
als Kommerzienrath Braun auf den Schewa derb schimpfen muß, und Herr Luzes
meynt, er solle doch die Schimpfwörter lieber verschlucken, und ganz leise
aussprechen, indem die Philosophen und Denker jetzt an der Vereinigung der
Juden mit den Christen (wofür uns der Himmel bewahre!) arbeiteten. Das nenne
ich mir einen jüdischen Patriotismus![1] —
Uebrigens hat das Stück doch vielen Juden gefallen. Wenn sie es auch selbst
unbegreiflich finden, wie man 30,000 Thaler wegschenken könne, so schmeichelt
es doch ihrer Eigenliebe, daß ein christlicher Poet, auf die Gefahr die
poetische Wahrheit zu ermorden, es gewagt hat, eine solche Handlung als möglich
darzustellen.
[1]
Herr Iffland hat diesem Verf. die unverdiente Ehre erwiesen, ihm öffentlich zu
antworten. Er hat die Richtigkeit der Charakterzeichnung des Schewa sehr gut
entwickelt.
Dieses Stück ist oft und gern gesehen. Der Charakter
des Schewa ist neu und anziehend: da aber das Uebrige, was ihn umgiebt,
unbedeutend ist, und alltäglich: so ist es nur die gute Darstellung, welche
das Publikum zu wiederholten Besuchen vermögen kann. Es ist nur Eine Meinung
darüber, daß Herr Iffland den Schewa ganz, gar und durchaus giebt. Sehr
schwer ist es, einen ernsten Mann mit linkischen Angewöhnungen die Sprache
des Kummers im Dialekt des ungebildeten Theiles der Nation, körperliche
Gebrechlichkeit ohne Widerlichkeit, Geitz ohne Schmutz darzustellen. Der
Künstler vereint alle diese Schwierigkeiten, und sein Gemälde hat sie
aufgelöset. Es gehört schnelle Reizbarkeit, Gewalt über verhaltenes Feuer,
Besonnenheit und Muth zugleich dazu, ein solches Kunstwerk ohne Abweichung
von Wahrheit und Wirkung zu leisten. Das kalte Studium vermag das nicht, nur
dem Genie kann es gelingen, mit Feuer zu schaffen, und dieses Feuer im
nehmlichen Augenblicke zu bewachen. Großes Lob verdienen Herr Beschort und
Herr Schwadke, daß sie ihre wenig bedeutenden Rollen mit Bedeutung geben,
mit Ernst und Leben. Sie übertragen dadurch die Schwächen des Dichters,
ehren das Publikum und sich selbst. Besonders zeichnete Demoiselle Eigensatz
sich heute zu ihrem Vortheil aus. Sie gab der Rolle Interesse und leistete
den fünften Akt mit einem Feuer, wie sie noch niemals es bewiesen hat. Das
Publikum wäre ihr dafür eine laute vollständige Anerkennung schuldig
gewesen. Das Publikum steht nun in ihrer Schuld, und wird sie bei der
nächsten Gelegenheit abtragen, wo Demoiselle Eigensatz wieder den Fleiß
bewährt, den sie seit geraumer Zeit verwendet. Auch Herr Kaselitz hat das
Verdienst, eine unangenehme Rolle mit Gegenwart und Energie gegeben zu
haben. Demoiselle Döbbelin, als Rachel, erfüllte die Zeichnung, welche sie
angelegt hatte, vollkommen und ohne Ueberladung. Herr Ambrosch, als Hirsch,
that etwas zu viel. Im komischen Spiel ist leicht die Grenze überschritten,
und dann hört die Wirkung auf. Hirsch sagt seine Einfälle trocken und
gutmüthig hin. Er scherzt, ohne darauf auszugehen, und ist um so komischer,
je weniger er komisch seyn will. Der Anklang des National-Accents wirkt
mehr, als wenn dieser schneidend vorgetragen wird, welches leicht belästigt.
Madame Greibe erfüllt die Nebenrolle der Frau Mändel, zu welcher sie sehr
treu gekleidet war. Diese Vorstellung ist ein Beweis, wie sehr das Talent
und der Wille der Schauspieler eine mittelmäßige Vorstellung heben kann.
Gute Schauspiele und die so genannten dankbaren Rollen geben sich von
selbst, dabei verdient nur das ganz ausgezeichnete Verdienst offenbaren
Dank, das gewöhnliche Gute verdient keinen Dank, es ist erfüllte Pflicht,
und es ist genug, wenn man ihrer erwähnt. Was verfehlt ist, fordert
Zurechtweisung, was schief genommen wird, Tadel, und die Vernachlässigung
eine strafende Rüge. Der Schauspieler, welcher alten, und obenein
mittelmäßigen Stücken Interesse zu geben weiß, ist auf seiner Bahn mit
voller Ehre des Künstlers.
Der Stoff, der hier bearbeitet ist, zieht an und widersteht. Die Vorstellung
ist mehrentheils vortrefflich, durchaus aber sorgfältig. Sorgfalt ersetzt
nicht das Talent, doch wird der mindere Grad desselben dadurch oft glücklich
verdeckt. Das Publikum besucht dieses Schauspiel mit dem Antheil, den man
der Kunst, ohne Rücksicht auf den Gegenstand, widmet, welchen sie darstellt.
Da das Stück selten gegeben wird, und der Hauptcharakter von dem Verfasser
treu gehalten ist, so verdient dieses Gericht auf einer Tafel, die so oft
besetzt werden muß, allerdings eine Stelle.
Nationaltheater: Jude, Der (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/84.
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