Hugo Grotius selbst ist ein
weiser guthmüthiger Mann mit dem äußeren Anstande der hohen Magistratur; daß
Hr. Iffland ihn so gegeben hat, bedarf kaum der Anzeige, am wenigsten einer
weitern Auseinandersetzung. Mad. Böheim giebt sich Mühe, von der alten
Gewohnheit des Vortrages in manierirtem Fallen und Steigen sich loszumachen,
und von Herzen weg zu reden. Wird sie dem Gange und den Bewegungen der Arme
das Gezierte nehmen, und die Bewegungen zu den Worten passen lassen, so
gewinnen das Publikum und die Schauspielerin. Warum stets die Thränenflagge
in der Hand? Eine Armlänge oft weit hinaus gebreitet noch verlängt durch die
ganze Länge des weißen Tuchs - es thut dem Zuschauer weh, dem zuletzt dieses
beständig aufgesteckte Nothzeichen ein Zeichen der trocknen Verlegenheit
wird. Hr. Mattausch als Moriz verdient den Dank der Zuschauer und des
Beobachters. Er war sanft, besonnen, kräftig und zusammengehalten. Hie und
da hätte der hohe, schöne Dienst- und Heldensinn sich mächtiger verkünden
sollen, aber darüber wären die zarteren Empfindungen verloren gegangen; und
daß Hr. Mattausch diese letzteren in seinem Vortrage jetzt überhaupt mehr
als sonst geltend macht, ist ein Verdienst. Zudem sind die Grenzlinien
dieses Charakters an manchen Stellen unbestimmt gezogen. Besondern Dank
verdient Hr. Mattausch, daß er den Prinzen gab, was des Prinzen ist, - da
der mehrere Theil der Uebrigen ihn nur wie einen Kameraden behandelt. Mad.
Fleck, als Cornelia - zart, weiblich, fein und vollherzig, wie gewöhnlich.
Herr Bethmann, als Felix, gab die Szenen mit den Soldaten und dem Sergeanten
sehr genau, bemessen, und dabei mit unbefangener angenehmer Laune, so wie
die mit dem Prinzen mit Lebendigkeit und Kraft; nur fehlte der letzteren das
Auflodern der Seelenangst, die ihn hintreibt, die im Niederkämpfen einige
genialische Augenblicke mehr geben mußte. Die schöne Zeichnung des Helden
Moriz von Oranien ist wohl nicht zu verfehlen. Hr. Beschort gab sie mit den
Accenten des Mannes aus der großen Welt, mit dem Anstande des Helden und mit
einer Sprache, welche für Festigkeit und Güte eine Melodie bildeten. Die
kleine Rolle des Sergeanten gab Hr. Kaselitz aus einem Stück geschnitten. Er
war ein treues vollständiges Bild dieses Standes und Sinnes, und vergaß
keinen Augenblick es zu seyn. Den Hauptmann Gaßweiler spielte Hr. Herdt mit
Fleiß und Bestreben der Sache zu genügen. Das ist sehr dankenswerth. Allein
das Bestreben ward zu oft sichtbar, die Merkzeichen welche er für den Umriß
sich gesteckt hatte, benahmen ihm die freie Ausführung, der Charakter ward
nur in Silhouette gegeben, und es mangelte ihm das große Leben des Herzens,
das hier nur mit Gewalt den Panzer umschließt. Auf der Bühne muß der
Künstler - was alle überall müssen - sich Mühe geben, daß Niemand die
Bemühung gewahr werde. Dies aber gilt von der ganzen Vorstellung des Hugo
Grotius. Sie war unstreitig gut, und dennoch - nicht gerathen. Jeder
Einzelne war zu loben, jeder war ernstlich damit beschäftigt, alles zu thun,
was gethan werden muß, aber jeder fast war beschäftigt, bemühet und eben
dadurch der Zuschauer belastet. Die Entwicklung der Charaktere gab sich
nicht in der Luft und Liebe des freien Augenblicks, in jener schönen
wohlthuenden Gewißheit, worin Uebergänge der Empfindung, in einem Guß
geboren, von Seele zu Seele sich mittheilen, die Gestalten sich runden,
vollenden, den Schimmer der Begeisterung empfangen, welcher die Funken unter
die Zuhörer wirft, und das schöne Feuer entzündet, das im schnellen Wechsel
von der Bühne herab auf das Parterre, und von diesen herauf auf die Bühne
wirken muß, wenn Werke der Imagination sich vollgültig bewähren sollen. Oft
schadet die Gegenwart des Verfassers der Darstellung seines Werkes. Indem
man ihm redlich genügen will, verweilt man bei Kleinigkeit, und versäumt
darüber die entscheidenden Momente der Selbstschöpfung.
In einer Gemäldegallerie sieht man gern die Familienstücke würdiger Menschen der Vorzeit von Meisterhand gefertigt. So steht zwischen Iphigenien, Ion und Oktavien, Hugo Grotius im Arme der Seinen. Dieses Schauspiel redet zum Herzen, erfreuet den gebildeten Verstand, und erhebt die Empfindung für das Gute. Auf unbefangene Hörer hat Hugo Grotius sanften Eindruck gemacht, und sie verdanken es Hrn. von Kotzebue, daß er sein Genie und seine herzliche Empfindung der Bühne widmet. Die handelnden Personen des Schauspiels bleiben sich treu in einfacher Stärke und Gewalt des innigen Gefühls, ohne Weichlichkeit. Zwar ist es hier und da verordnet und gebräuchlich worden, alle Schilderung häuslicher Verbindung, verwandtschaftlicher süßen Gewalt und politischer Lage, worin manchmal das Herz mit zum Vorschein kommt, als läppisch von der Bühne zu verbannen. Abstrakte Dinge, fremdartiger Sinn sollen in spitzen Gedanken, zusammengekeilten Worten, düsteren Perioden vorgetragen werden, und durch eine Gattung geehrter Unverständlichkeit sollen große Charaktere sich verkünden und bewähren. Von diesem allen thut Hugo Grotius freilich nichts. Hoch bekümmert ihn das Vaterland, doch innig sorgt er auch um seine Hauswirthin und die Kinder, ja er nimmt Trost aus der Bibel. Diese sämmtlichen Schwächen wird man vielleicht dem Verfasser deshalb hingehen lassen, weil Hausvaterwürde und Glauben, zum Kostüme der damaligen Zeit gehörten. Allein der ehrliche Hugo Grotius hat ein Buch über das Völkerrecht geschrieben, welches lange für etwas gegolten hat. Wie jedoch Kleider und Dichter, Bücher und Helden in und aus der Mode seyn können, so trifft es sich grade, daß eben Völkerrecht benebst dem Buche darüber, nicht sonderlich mehr gehandhabt wird. Sogar ist vielleicht weiland Hugo Grotius bei dem gelehrten Kassations-Tribunal von dem öffentlichen Ankläger in das Verzeichniß der virorum prohibitorum eingetragen. Dann hat Herr von Kotzebue sehr gefehlt, daß er über Hugo Grotius, der in die litterarische Abtei geworfen ist, wo dessen bisheriger Ruhm den bleichen Septembriseur erwartet, der ihn abthun wird, ein Schauspiel verfaßt hat. Wenn dieses dennoch geschehen sollte, so müßte er seinen Hugo humanisiren. Von seinen Schriften müßte Grotius beständig reden, jedermann erzählen, daß niemand besser schreibe, denn er, berühmter sei, als er. Daß alle Büchermacher vor ihm ohne Menschenverstand gewesen seien, daß nach ihm Keiner mehr erscheinen werde, daß man also eilen möge zu hören, da es noch Zeit sei. Aber das geschieht nicht! Freilich verliert sich der alte Mann am Schlusse des Stückes gegen den Prinzen in eine schöne lange bilderreiche Rede. Aber gerade hier hätten einige stark empfundene Worte vielleicht mehr gewirkt. Ausserdem wären wohl noch einige Dinge zu rügen, als die Verhandlung über Strang oder Schwert. Wir würgen zwar in Schrift weit gräßlicher, langsamer und niedriger, dennoch haben wir unsere Empfindung so rein und zart erhalten, daß wir vom Rechtsgebrauch jener Zeiten nicht reden hören können, ohne die Imagination zu besudeln. Es war auch schon die Brille aufgesetzt, und zwar die schärfste – um mehrere Fehler zusammen zu suchen; aber das Ganze trieb Wasser in die Augen, und so mußte wegen Verhinderung die Brille abgenommen werden, um der wackern Holländischen Familie noch einmahl mit stiller Freude ins Gesicht zu sehen. Da ohnehin die Gönner des Verfassers aus reiner Wahrheitsliebe nicht verfehlen werden, jeden etwas zu leichten Pinselstrich dem Publikum zum Nutz und Frommen der guten Sache mildiglich unter dem Vergrößerungsglase zu zeigen; so wäre es unnütz, ihnen vorzugreifen. Die Vorstellung war gut. Von dieser künftig.
Nationaltheater: Hugo Grotius (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/88.
Link zu den API-Daten: https://berlinerklassik.bbaw.de/api/nationaltheater/theaterstueck/88