Jacob und Cialf von Lusignan
haben vor 20 Jahren den König von Cypern, ihren Bruder, ermordet, und führen
die Regentschaft für dessen Sohn Pedro. Seine Mutter, die Königin Theophana,
stellt sich wahnwitzig, ihr Leben zu retten. Jacob aus Habsucht, Cialf aus
grober Sinnlichkeit, ließen bei einer Festlichkeit 300 Genueser ermorden, bemächtigten
sich deren Weiber und Vermögens. Die Königin erzieht Rosaura Gamelli, Tochter
eines gemordeten Genuesers, und hofft durch deren Geist und Reitze auf den Sohn
zu wirken, dessen Bildung die Oheime absichtlich vernachlässigen, aber seine Güte
nicht ganz vernichten können. Aus Interesse und zum Schutz gegen Genua wollen
die Regenten eine Vermählung des Prinzen mit der Prinzessin Jole, Tochter des
Griechischen Kaisers, welche heimlich in Famagosta sich aufhält. Unter dem
Vorwande der Verbannung aus Genua, aber mit Aufträgen dieser Republik an die Königin
für Genugthuung und das Heil von Cypern und des Prinzen selbst, kommen Kataneo
und Fregoso, Genuesische Edle, nach Famagosta. Rosaura ist die Nichte
Kataneo’s. Die Königin entdeckt sich beiden, daß sie nicht wahnwitzig sey,
ihrem gemeinschaftlichen Vaterlande Genua Genugthuung verschaffen, ihren Sohn
aus dem Verderben retten wolle, und deshalb eine Schaar ihrer Anhänger als
Pilger gekleidet verborgen halte. Rosaura bittet um das Erbe ihres Vaters bei
dem Prinzen, der sie anziehend findet. Sie bewirkt eine Vereinigung desselben
mit seiner Mutter. Aber schwankend, reizbar und jung fesselt auch Jole seine
Sinne. Die Oheime finden ihn verändert, berathen sich mit Jolen und ihrem Rath
Gravillo. Rosaura wird aufgehoben, und flüchtet sich zur Königin, welche dem
Prinzen verdächtig gemacht wird. Inzwischen erklärt Kataneo den Krieg, und
bricht, da er verhaftet werden soll, in das Losungswort: Genua und Rache! aus,
welches nun die Flamme ausbrechen läßt. Auf der Flucht zur Königin hat Rosaura
Gift bekommen. Der Prinz bemerkt dessen Wirkung; die Königin wird beschuldigt,
das Gift gegeben zu haben. Verzweifelnd stürzt der Prinz in die Feinde. Die
Regenten suchen eine unterirdische Gruft, sich zu retten, – der Prinz, Kataneo
und Fregoso kommen dahin zurück. Jole ist im Gefecht getödtet; Rosaura stirbt
am Gifte; der Prinz erkennt die Unschuld seiner Mutter; die Regenten werden
verurtheilt, am Grabe des gemordeten Bruders ihr Leben zu enden. Dies ist ungefähr
der Gegenstand, den Babo behandelt hat.
Die Behandlung zeichnet den
Meister, der nicht Waare auf den Kauf liefert, nicht Purpurläppchen mit
Goldschaum auf einen Grund von Sackleinwand klebt, und sie zur Schau aufhängt;
nein! hier ist im tiefsten Schacht des Menschenherzens gegraben und ächte
Wahrheit zu Tage gefördert. Der Verstand hat zu thun, und die Empfindungsnerven
werden nicht gekitzelt, sondern das reine gesunde Gefühl für Recht und Unrecht
wird derb ergriffen. Man kann nicht vor dem Raritätenkasten da sitzen, und die
Figuren bunt, schnell und lustig an sich vorüber ziehen lassen; man wird durch
Willen und Unwillen selbst mithandelnder Theil. Die Bissen liegen nicht mit
etwas pikanter Brühe spärlich umgeben, schon vorgeschnitten da; es ist auch
nicht für alle Theile etwas vorhanden, für den eine bloße Thränenpartie, für
einen andern sentimentale Schrauberei, und wieder für einen dritten platter
Scherz mit Nothdurft der Charakteristik an den Tag gebracht, – es ist eine
ganze Begebenheit und ganze Charakterschilderung. – Es ist aber eine
Hofbegebenheit mit Hofmenschen an Seyn, Wirken, Scheinen und Wollen. Sie sind
nicht beschönigt. Es soll aber jetzt alles maskirt und farcirt erscheinen; die
tragischen Charaktere auf der Bühne wie die Kalbskeulen auf den Tafeln. Es
sollen nicht die Menschen wie sie waren und sind, vorkommen, sondern so wie wir
sie jetzt dulden und vorstellen sehen wollen: – amüsant bis zum Tode! – Ob nun
schon alle handelnde Personen eine wahre Hofkonduite besitzen, so daß außer dem
Eintritt der Prinzessin Jole, welche nicht gemeldet ist, schwerlich der
Hoffourier an ihrer Konvenienz etwas aussetzen möchte, – so ist doch zu fürchten,
daß mancher sie für plumpe Gesellen erklären werde, weil sie nicht auf
tragische Bonmots ausgehen, und nicht auf der Höhe sind, die jetzt gelten soll.
Ist aber auch die Begebenheit und sind die Charaktere nach allen Regeln
tragisch, so ist die Frage: wird unser Gefühl durch die Schilderung dieser
Begebenheit und Charaktere erhoben, veredelt? Diese Frage läßt sich schwerlich
mit Ja beantworten. Der Schreiber dieser Zeilen dachte mehreremale während der
Vorstellung: »Gottlob, unsre Fürsten und Höfe sind nicht mehr so, und die
Menschheit fühlt sich besser; denn solche Greuel würde sie nicht mehr tragen,
sondern abwerfen!« – Hat nun der Autor dieses angenehme Gefühl erregen wollen,
so hat er seinen Zweck erreicht. Hätte er aber auch nur ein treues Bild der
Vorzeit entwerfen wollen, so ist es immer höchst interessant, vor einem so ganz
ausgemahlten Bilde zu verweilen, wo der Künstler, auf eigener Kraft beruhend,
diese verwendet, und alle kleine Hülfsmittel verschmäht hat. Es ist ein Bild,
was Fürsten mit der tiefen Betrachtung über die Gefahren, womit sie in so
mancherlei Gestalten umgeben sind, lehrreich anschauen werden. Wäre auch das
Kolorit zu hart für ein Gemählde unsrer Tage: so wirken doch die Neigungen der
Menschen zu allen Zeiten dasselbe, nur mehr oder minder auffallend. Wer hier
die Blutgräuel der Vorzeit verabscheuet, wird gemahnt, manchem schleichenden
Uebel unserer Zeit entgegen zu kämpfen. –
Nachdem das Geräusch der späten
Logenbesucher mit dem ersten Akt geendet war, sah die Versammlung die übrigen
Akte mit Ernst, den der Gegenstand gebeut, mit der Stille der Betrachtung,
welche der tief forschende Geist des Verfassers erregt, und mit dem gegründeten
Beifall, welche den Werken des Geistes sicher, aber nicht strömend zufließt,
wenn Charlatanerien die Menge nicht berauscht haben.
Es giebt Falten im
Menschenherzen, davon Niemand, auch wenn er allein ist, den Schleier
hinwegnehmen mag: werden diese Falten vor eine große Versammlung ganz offen
hingelegt – so regt sich entweder das bessere Gefühl, oder doch die Eitelkeit
so, daß die Menschen en corps, von der unangenehmen Wahrheit lieber durch
Schweigen zu verstehen geben, sie sey verzeichnet, als daß ihre laute
Zustimmung diese Wahrheit für Wahrheit anerkennen sollte. Dieses Gefühl macht
der Menschheit Ehre, denn aus den Trümmern der Verschwächung erhebt sie alsdenn
sich zu ihrer ersten holden Schamhaftigkeit. Die Vorstellung – ist eine schwere, eine der schwersten
Aufgaben! Daher muß die Billigkeit obwalten, alles Unbestimmte und Schwankende
der ersten Vorstellung – als eine Hauptprobe anzusehen, um erst die zweite
Vorstellung – beurtheilen zu wollen. Nur Mad. Unzelmann kann nicht mehr
leisten, als sie geleistet hat. Ihre Darstellung ragte an der Spitze hervor und
war vollkommen.
Die Darstellung der Hofwelt dieser Art ist nicht jedermanns Sache. Ein solcher Hof glänzt gleich einem lachenden Gefilde, das unter dünner Decke die glühende Lava birgt. Selten nur wirft die Gährung eine Explosion heraus, bei der man ein Blick in die tiefe Glut zu werfen vermag. Jacob und Cialf herrschen über Pedro und Cypern, der Venetianer Gravilla [!] herrscht über alle drei, wenn er es will. Eben als er in seiner Hand die Zügel vereint, ist Jole erschienen. Bei ihr steht es, Gravillens Hand sammt allen Zügeln zu fassen, zu halten und zu lenken. Graville und Jole nach ihrer Kraft und Deutung stehen einander gegenüber, das große Schach um Allgewalt oder Ohnmacht zu spielen. Die Oheime Regenten sind Nebenfiguren, welche das Spiel decken. Geburt und Besitz machen sie imposant. Eigentlich gefährlich sind sie nur durch jene bestimmte Niederträchtigkeit, welche alles wagt, was sie will, und alles erreicht, weil sie nie nach Konsequenz zögert oder aufgiebt. Graville ist der Souverain, und verbirgt diese Herrschaft in der scheinbaren Unbefangenheit, die nichts ist und scheinen will, als ein fertiges Rüstzeug zum Dienst der Regenten. Bei dem Regenten erscheint er so arglos, nur von jenem routinirten Geschäftsgeist belebt, womit gute Arbeiter die Schwierigkeiten aus einander werfen, die vorliegen, ohne deshalb weit um sich oder voraus zu sehen. Das gewandte Benehmen der großen Welt, leichte gefällige Formen des Ceremoniels, eine sorglose Sprache mit der weichen Modulation der Verbindlichkeit bezeichnen den Mann, den die Oheime nur für schlau, aber nicht tiefdenkend und vielwollend achten. Nur Jole hat ihn durchschaut und gebraucht, wie er zu brauchen ist. Ihre Unterredung bringt ihn aus seinem Schwanken hervor; doch thut er seine Schritte bemessen und mit Sicherheit. Hier wird sein Benehmen bedeutender; seine Accente werden gewählt, und leise, aber doch merkbare Schattirung in dem Emaille der Augen verrathen das Streben seines Geistes. – Graville mußte durch einen der bedeutendsten Künstler erfüllt werden. Hat Hr. Labes den tiefen Sinn der Ministerrolle nicht erreicht: so hat er doch nicht, was vielleicht manchem Andern passirt seyn könnte, einen Uebelthäter daraus gemacht, der mit Bosheit prunkt. Er hat die Rolle mit guter Lebensart und mit Fleiß gegeben. Der Oheim Jacob ist ein angstvoll, sorglich kleinlicher Mensch, der aus Geitz Bubenstücke unternommen hat, aus Geitz ferner dazu bereit und willig ist. Alles sein Thun dreht sich um diesen Punkt; einen Ueberblick der Begebenheiten hat er weiter nicht, als zum erhalten und verlieren. So hat ihn Herr Iffland durch 4 Akte ausgeführt. Aber auch im fünften Akte soll seine Angst etwas Jämmerliches haben. Daß der Charakter hier in der Vorstellung eine tragische Explosion nahm, scheint ein Fehlgriff. Der Oheim Cialf ist ein entschiedener Wollüstling, von mehr Bedeutung, Leichtsinn und Willen, als Jacob. Es ist sichtbar, daß Herr Unzelmann auf diese Rolle Fleiß und Sorgsamkeit verwendet hat. Vermuthlich hat gerade die Sorgsamkeit Herrn Unzelmann auf einen Abweg geführt. Der Neffe Pedro nennt ihn »seinen lustigen Oheim«; davon war nirgend etwas zu sehen. Herr Unzelmann erscheint in lustigen Rollen mit so entschiedenem Verdienst, daß man deshalb in ernsten Rollen ihn weniger an seiner Stelle findet. Wahrscheinlich hat er dem Trauerspiel durch einen lustigen Oheim nicht schaden wollen. Er hat nun das kassirte Alter gewählt, ist aber dadurch auf einem andern Wege dem Lustspiel nahe getreten, und hat das Leben dieses Charakters gehindert. Der lustige Oheim soll heißen: der lebenslustige, genießende Oheim. Dieser könnte alt im Gesicht, aber entschieden im Benehmen, in Schritt und Tritt, leicht in der Sprache und herrschend im Blick seyn. So wie er erschien, spielte er den Cialf und Jacob zusammen. Hr. Bethmann gab den Jüngling Pedro sehr verdienstlich. Schnell und kräftig in den Aufwallungen, heftig, doch dabei gutmüthig. Die Einwirkung der Menschen auf ihn waren richtig genommen, nur etwas zu tief. In diesem Zunder fängt jeder Funke Feuer; aber die Flamme verzehrt augenblicklich. Die Reflexion berührt ihn wie ein Blitz; aber sie leuchtet nur wie dieser, schnell und vorübergehend. Herr Bethmann gab den ersten Akt leicht und gefällig. Das ist an sich gut und lobenswerth; aber hier war es nicht genug. Junge Leute, die wie Pedro ganz der Tändelei leben, geben ihrer Tändelei mehr Bedeutung. Sie leihen dem Nichts eine Gedankenform, woraus eine größere Mannichfaltigkeit der Scenen entsteht. Mit wahrer Innigkeit hat Herr Bethmann alle Scenen mit der Mutter gegeben, und den letzten Akt mit ächtem Jugendgefühl. – Verfallen die Schauspieler in den Fehler, ihre Rollen sinken zu lassen, wenn ihnen nicht lauter Beifall zu Theil wird, so verdient es, angemerkt zu werden, daß Herr Bethmann mit gleichem Feuer von Anfang bis zum Ende spielte, obgleich er gar keinen Beweis des Beifalls erhielt, den er verdiente. – Theophana, Mad. Böheim. Sie gab diese Rolle mit Leben, Wahrheit und Würde. Mad. Böheim hat die Ausstellungen, welche ihrem Spiel gemacht worden sind, genützt, welches ihr zur Ehre gereicht. Man lernt in der Kunst, so lange man sie übt, und man liebt sie nicht, wenn man nicht den bescheidenen Tadel ehrt. – Rosaura, Madame Fleck. Das Gebet am Schluß des ersten Akts war das Gemählde einer schönen betenden Heiligen. Ein Gebet – hingegeben in anspruchlose Sehnsucht und fromme Einfachheit. Die Rolle selbst hätte vielleicht mehr in Kindlichkeit und warmen Gefühl vorgetragen seyn können. Der Thränenton, so angenehm ihn die liebenswürdige Künstlerin besitzt, muß nur selten gebraucht, und wenn er auf die Empfindung wirken soll, nie verschwendet werden. Herr Herdt, als Fragoso, erfüllte diese Rolle mit Kraft und Gegenwart. Als Kataneo erinnerte Herr Böheim an die Verdienstlichkeit, womit er lange Jahre seinen Beruf geübt und Antheil erworben hat. – Im letzten Akt erschien eine imposante Dekoration, das unterirdische Gewölbe der Burg, wohinab eine Treppe, im großen Styl gedacht, führte. Es schien, als ob der Hintergrund etwas zu hell beleuchtet worden wäre.
Herr Unzelmann nahm die Rolle des Cialf anders, richtiger und wirksamer.
Sein Nachdenken beweiset den guten Schauspieler. Alle Uebrigen schienen
krank oder kränklich zu seyn. Einige erholten sich vom Froste im dritten
Akt. Das ist aber eine wahre Grausamkeit von der Direktion, wenn sie die
Kranken nöthigt sich zu schminken, um vor dem Publikum Worte herzusagen.
Mehr haben sie nicht gethan, mehr können aber auch Kranke nicht leisten. Es
sind so wackre Leute, machen dem Publikum so viel Vergnügen - der Himmel
verleihe ihnen doch alle eine baldige gute Besserung.
Nationaltheater: Genua und Rache (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/92.
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