Band VIII (1994)Spalten 401-402 Autor: Klaus-Gunther Wesseling
RITSCHL, Georg Carl (Karl) Benjamin, evangelischer Bischof, * 1.11. 1783
in Erfurt, + 18.6. 1858 in Berlin. - R., 12. Kind des Pfarrers an der
Augustinerkirche Georg Wilhelm Ritschl und hochmusikalisch begabt, empfing
die Schulbildung in seiner Vaterstadt. 1799 beginnt R. das Studium der
Theologie an der Erfurter Universität, das er 1801 in Jena fortsetzt. Vom
Rationalismus seiner Lehrer (s.d.) Johann Jakob Griesbach, Heinrich Eberhard
Gotthold Paulus u. Schmidt bleibt R. allerdings kaum berührt. 1802 legt R.
in Erfurt das Examen ab, und 1804 siedelt R. mit Johann Joachim Bellermann
(s.d.) als Hauslehrer nach Berlin über, wo er bald Kollaborator und dann
stellvertretender Direktor der Kölnischen Schule wird. Zum 1. 7. 1810 wird
R. dritter Prediger an der St. Marienkirche, wo er sich einen Namen als
Homiletiker und Unterweiser im Konfirmandenunterricht macht. 1816 wird R.
zum Konsistorialsssessor, 1817 zum Konsistorialrat ernannt. Seit 1818 ist R.
an der Revision des Berliner Gesangbuchs beteiligt. Am 27.8. 1827 wird R.
durch Friedrich Wilhelm III. (s.d.) zum Bischof und Generalsuperintendenten
von Pommern, Konsistorialpräsidenten und Stettiner Schloßprediger ernannt;
1854 nimmt R. seinen Abschied. R. engagiert sich während seiner langjährigen
Tätigkeit für die preußische Union, die Verwaltungsorganisation und die
Förderung der Bildung in der Pfarrerschaft. Er kann aber, trotz seines 1833
erfolgten Besuchs in Seehof, die Separation der Belows (s.d.) nicht
verhindern. Zum 1.10. 1852 wurde R. auf eigenen Wunsch in den Ruhestand
versetzt und übersiedelte nach Berlin. - Einem skurrilen posthumen Anwurf
sieht sich R. durch Paul de Lagarde (s.d.) ausgesetzt, der mit seinem
gewohnt polemischen Stil in der Schrift zur »Charakteristik Friedrich
Wilhelms III.« (s.u.) unterstellt, R. sei 1829 nach St. Petersburg gesandt
worden, um der Gattin des Zaren Nikolaus Bedenken gegen ihre Konversion zum
russisch-orthodoxen Glauben bei ihrer Hochzeit auszureden; in einer Replik
korrigiert der Enkel Otto Ritschl (s.d.), R.s Mission habe lediglich darin
bestanden, an der Ausarbeitung einer neuen Kirchenordnung für die
evangelisch-lutherische Kirche in Rußland mitzuwirken: diese Aufgabe
beanspruchte R. vom September 1829 bis in den Mai 1830. - Der Berliner
Bibelgesellschaft gehörte R. als Vorstandsmitglied an. Die Berliner Fakultät
verlieh R. am 16. 11. 1822 die theologische Ehrendoktorwürde.
Lit.: Stahn, Worte der dankbaren Erinnerung an R., Berlin 1858; -
Paul de Lagarde, Ueber einige Berliner Theologen u. was v. ihnen z. lernen
ist. Aus dem vierten Bd. der Mitth. bes. abgedr., Göttingen 1890; - Ders.,
Bescheinigung über den richtigen Empfang eines v. Herrn Otto Ritschl an mich
gerichteten offenen Briefes, Göttingen 1890; - Otto Ritschl, Die Sendung des
Bisch.s D. R. nach Petersburg im J. 1829, Bonn 1890; - H. Dalton, Zur Gesch.
der ev. Kirche in Rußland, Leipzig 1893, 1-35; - Bisch. R.s Mitarbeit an dem
Gesetz f. die luth. Kirche in Rußland; - Hellmuth Heyden, KG Pommerns II:
Von der Annahme der Ref. bis z. Ggw., Köln/Braunsfeld 19572; - Ders.,
Gesch. der Kämpfe um Union u. Agende in Pommern: ZKG 69 (1958), 287-323; -
Hugo Gotthard Bloth, Die Kirche in Pommern. Auftr. u. Dienst der ev.
Bischöfe u. Gen.Supp. der Pommerschen Kirche 1792 bis 1919 (Pommersche Lbb.
Veröff. der Hist. Kommission f. Pommern 5,20), Köln/Witten 1979; - Wilhelm
Kahle, Zielsetzung u. Organisationsformen der sog. Vereinslutheraner in den
Kirchenprovinzen der Preußischen Landeskirche, in: Wolf-Dieter Hauschild
(Hrsg.), Das dt. Luth. u. die Unionsproblematik im 19. Jh. (Die Luth.
Kirche. Gesch. u. Gestalten 13) (Gütersloh 1991), 171-180; - ADB XXVIII,
661-664 [Albrecht Ritschl]; - RE1 XIII, 47-52 [Albrecht Ritschl]; -
RE3 XVII, 34-39; - RGG3 V, 1117.
Klaus-Gunther Wesseling
Letzte Änderung: 17.02.1999
1855
Ehrenmitglied der Akademie der Künste