‚Herzogin Dorothea von Kurland’, Kupferstich, nach Anton Graff, von I.F. Bause, 1793
Man ließ ihr, der Halbschwester der Literatin Elisa von der Recke, eine standesgemäße Bildung angedeihen und verheiratete sie im zarten Alter von 17 Jahren an keinen geringeren als den Landesherren: Peter Biron, Herzog von Kurland. Der 55jährige stellte seinerseits bestimmte Erwartungen an seine schöne junge Frau: eine Erbe sollte her, ein Erbe, der die Kontinuität des herzoglichen Hauses sichert. Die Kinder stellten sich ein, aber bis auf einen zum großen Leidwesen des Paares früh verstorbenen Sohn, waren alle weiblich und noch dazu schön. Und das Herzogtum geriet in politische Turbulenzen, in das Spannungsfeld der großen Mächte: Russland, Österreich, Preußen. Der Herzog, ein Finanzgenie, aber zu politischer Diplomatie kaum fähig, schickte seine junge schöne Frau ins Feld und so trat Anna Dorothea 1790 in die Gesellschaft der Großen Europas ein, verhandelte in Warschau, in Berlin, emanzipierte sich von ihrem Ehemann, glänzte in den Salons und machte neue amouröse Bekanntschaften.
Eine eigene Residenz musste her. Die Wahl fiel auf Löbichau.
Der Herzog stirbt und hinterlässt ein fürstliches Vermögen. Zu den Aufgaben der Mutter gehört es, die Töchter standesgemäß zu verheiraten. Glückliche Ehen entstehen nicht, aber die Hochzeit der jüngsten Tochter mit Edmond de Talleyrand-Périgord, einem Neffen des französischen Außenministers bringt der Herzogin Anna Dorothea die ersehnte Verbindung in die Welthauptstadt: Paris und die Bekanntschaft eines der einflussreichsten und umtriebigsten Politikers der Zeit - Charles Maurice de Talleyrand.
Die
Herzogin (1761-1821) wurde als Anna Charlotte Dorothea von Medem in
Mesothen in Kurland geboren, wo sie gemeinsam mit ihrer Stiefschwester
Elisa von der Recke aufwuchs. Als Herzogin erhielt Anna Dorothea dann
Zugang zu den höchsten gesellschaftlichen Kreisen, besonders zu den königlichen
Höfen in Berlin und Paris. In Petersburg und Warschau war sie bemüht,
den Streit zwischen ihrem Herzogtum und Russland diplomatisch beizulegen.
Im
Kurländischen Palais unter den Linden in Berlin (die heutige russische
Botschaft) führte sie einen bekannten aristokratischen Salon, in dem sich
die Berliner Gesellschaft, Künstler und Gelehrte, wie Wilhelm von
Humboldt oder Gottfried Schadow trafen.
Ihre
kosmopolitische Weltsicht schlug sich nieder in einem unsteten Reiseleben,
welches nach dem Tod des Herzogs Peter (1800) begann und sie zeitlebens
durch ganz Europa führte mit längeren Aufenthalten in Rom, Wien,
Petersburg, Berlin, Paris, Valençay, Karlsbad, Dresden, Weimar und Löbichau.
Bekanntschaften
pflegte sie mit Geistesgrößen wie Goethe,
Schiller und Herder; an den europäischen Höfen und in den Fürstenhäusern
von Rang war die Herzogin von Kurland gern gesehener Gast.
Die wichtigsten Politiker der damaligen Zeit, unter ihnen solche bedeutenden Männer wie Zar Alexander I. von Russland, Friedrich Wilhelm III., Napoleon, Talleyrand oder Metternich, kannte sie persönlich. Eine besondere Beziehung entwickelte Anna Dorothea zu Paris, Napoleon und dem berühmten Talleyrand. Seit 1809 lebte sie regelmäßig in Frankreich. Ihre Affäre mit dem mehrmaligen Außenminister Charles Maurice de Talleyrand-Périgord (1754-1838) ist im Austausch von Billetts und Briefen der Nachwelt überliefert.
Ihre
anfängliche Begeisterung für Napoleon entwickelte sich allerdings
zunehmend und vor allem unter dem Einfluss Talleyrands zu einer
entschiedenen Gegnerschaft. Nach dem 31. März 1814, der Kapitulation von
Paris und dem Einzug der Alliierten, gab es verschiedene Verhandlungen zur
politischen Lage im Hause Talleyrand. Letztlich fand in Wien der berühmte
Kongress zur Neuordnung Europas statt. Die Herzogin und ihre Töchter
konnten all diese Konferenzen aus nächster Nähe verfolgen.
In
den folgenden Jahren reiste die Herzogin Dorothea wieder quer durch
Europa. Wien, Karlsbad, Löbichau, Valençay und Paris waren nur einige
ihrer Stationen. In Schloss Löbichau führte sie in den Sommermonaten
einen bekannten Salon. Die Gutsherrschaft Löbichau erwarb Reichsgraf
Johann Friedrich von Medem im Jahr 1794 für seine Schwester Anna
Dorothea. Man ließ das alte Rittergut umbauen, ein neues Schloss
errichten und einen englischen Park anlegen. Gleiches galt für das zum
Anwesen gehörende Tannenfeld.
Berühmtester Gast in Löbichau war zweifellos Zar Alexander I. von Russland (1777-1825), welcher der Herzogin 1808 einen Besuch abstattete. Der französische Außenminister Talleyrand suchte seinerzeit eine gute Partie für seinen Neffen Edmond de Périgord (1787-1872). In Frankreich konnte er nichts erreichen, weil Napoleon alle standesgemäßen französischen Erbinnen dem eigenen, ihm ergebenen Adel vorbehalten hatte und Talleyrand 1807 nach seinem Rücktritt als Außenminister nicht mehr in der Gunst des Kaisers stand. Anlässlich des Erfurter Fürstentages 1808 trat er deshalb mit der Bitte um Vermittlung einer Ehe seines Neffen Edmond mit Dorothée von Kurland an den russischen Zaren Alexander I. heran, der ihm aus Dankbarkeit für diplomatische Dienste auch behilflich war. Die Herzogin wiederum kannte den Zaren seit ihrem Besuch in St. Petersburg im Jahre 1806. Ihre Zustimmung zur geplanten Ehe galt als sicher, da die Zahlung ihrer jährlichen Apanage vom Wohlverhalten gegenüber Russland abhängig war. Außerdem fühlte sie sich Talleyrand freundschaftlich verbunden.
Person: Anna Charlotte Dorothea Kurland, Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/personen/600.
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