1778 bis 1779
Erziehung durch die Großmutter auf dem Gut Zützen in der Uckermark.
1779-1784
Kleist zieht zu seinem Vater nach Potsdam und nach dessen Versetzung als
Kompanie-Chef und Kommandeur eines Infanterie-Regiments nach Magdeburg. 1780
stirbt Kleists Mutter, die er wohl kaum gekannt hat.
1784
Im März tritt Kleist als Fähnrich ins preußische Infanterieregiment des
Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand v. Braunschweig ein, das in Halberstadt
stationiert ist. Kleists "Fähnrich-Patent", das seinen Eintritt in
die Armee dokumentiert, stammt vom 17. März 1785. Nach neueren Forschungen
wurde die offizielle Bestätigung rückwirkend erstellt.
In Halberstadt tritt er mit dem Dichter Johann Wilhelm Gleim in Kontakt. Die
Verbindung ist vermutlich auf Gleims Freundschaft mit dem 1758 gefallenen
anakreontischen Dichter Christian Ewald v. Kleist, einem Verwandten von Franz
Alexander v. Kleist, zurückzuführen. In einem Brief nennt Gleim den jungen
Dichter "Mein theurer zweiter Kleist". (Tanzer 1998, S. 17).
Während seiner Zeit in Halberstadt macht Kleist die Bekanntschaft der Dichter
Christoph Martin Wieland und Gottfried August Bürger. Seine ersten
dichterischen Versuche entstehen ebenfalls in Halberstadt.
1787
Das Gedicht "Der Tod" erscheint in den "Halberstädtischen
Gemeinnützigen Blättern". Es ist die erste Veröffentlichung Kleists. Zudem
ist er Mitglied der literarischen Gesellschaft in Halberstadt. Die seit zwei
Jahren existente Gesellschaft "besteht jetzt beinahe aus 50 ordentlichen
einheimischen und verschiedenen ausserordentlichen auswärtigen Mitgliedern,
welche Theologen, Schulmänner, Juristen, Mediziner, Offiziere und andere Kenner
und Liebhaber der Litteratur sind". Man trifft sich Mittwochnachmittags,
um Vorlesungen über "philosophische, mediezinische, moralische,
politische und andere wissenschaftliche Materien" zu besprechen,
während "die theologischen gänzlich davon ausgeschlossen (sind)".
(Historisch-politisches Magazin 1787, S. 49). U. a. organisiert die
Gesellschaft Gedenkfeiern für Friedrich II.
1789
Beförderung zum 2. Leutnant. Teilnahme am Feldzug gegen Frankreich. Kleists
Ode "Hohe Aussichten der Liebe" erscheint bei Vieweg in Berlin. Ein
Kritiker der "Allgemeinen deutschen Bibliothek" bemerkt in einer
Rezension zur zweiten Auflage eine "auffallende Aehnlichkeit"
zur Dichtung Gottfried August Bürgers. Gleichzeitig wird Kleist einiges Talent
zugesprochen. Die Rezension endet mit den Worten: "Wir versprechen uns
viel von diesem jungen Dichter, wenn er den schlüpfrigen Pfad der Nachahmung
verläßt, und nach dem Muster des unsterblichen Kleist (Chr. Ewald v.
Kleist, Anm. d. Verf.) den Stoff zu seinen Gesängen aus der Natur selbst
nimmt, in keines anderen Dichters Manier arbeitet, und den Rath freymüthiger
und einsichtsvoller kritischer Freunde befolgt". (Allgemeine deutsche
Bibliothek 1792, S. 93).
1790 bis 1791
Am 9. November 1790 erfolgt Kleists Austritt aus der Armee. Neuere Forschungen
widerlegen die Annahme, er habe zwischen 1790 und 1791 ein Studium in Göttingen
aufgenommen. Stattdessen zieht Kleist im April 1791 nach Berlin. Eintritt als
Legationsrat in den Staatsdienst unter Minister v. Herzberg.
Vom 16. August bis zum 15. September 1791 unternimmt Kleist im Auftrag von
Herzberg eine Reise nach Prag, um dort an den Feierlichkeiten der Königskrönung
Leopolds II. teilzunehmen.
1792
Im Januar heiratet Kleist die 18 jährige Albertine v. Young. Der
Verleger Vieweg hatte ihn mit der jungen Frau bekannt gemacht.
Anonym erscheinen bei dem Dresdener Verleger Richter Kleists "Fantasien
auf einer Reise nach Prag", eine Mischung aus Fiktion und tatsächlichen Erlebnissen
von der Reise, aus Liebesgeschichte, Reisebericht und politischer Abhandlung.
Die zeitgenössische Kritik stößt sich vor allem an Kleists Emotionalität. So schreibt
ein Rezensent in der "Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek": "...an
den vielen der übrigen Herzergießungen kann unmöglich Jemand Theil nehmen, als
etwa diejenige Dame, der zu Liebe unser Verfasser nach dem Karlsbade
gieng". (Neue allgemeine deutsche Bibliothek 1793, S. 229).
Gegenstände der politischen Abhandlung sind Kleists Kritik am
habsburgischen Königshaus und dessen Nähe zur katholischen Kirche. Friedrich
II. erscheint dagegen als Verkörperung idealer Herrschaft.
In Kleists Briefen mit Gleim wird seine Anteilnahme am politischen und
kulturellen Zeitgeschehen deutlich, eine Facette des Dichters, die die ältere literaturwissenschaftliche
Bewertung Kleists unterschlägt. In den Briefen diskutiert er Berlins soziale
Verhältnisse, berichtet von der Verhaftung des Geheimen Rats Leuchsenring und
der Unfähigkeit der preußischen Behörden beim Feuer von Prenzlau. Zudem
erscheint Kleist als kritisch reflektierter Anhänger der Ideen der
Französischen Revolution, ein Gegenstand, über den er mit Gleim fast in Streit
gerät. Kleist ist allerdings kein Jakobiner. Seine "Ode an die
Deutschen", abgedruckt in Archenholtz' "Neue Literatur und
Völckerkunde" von 1790, handelt von der Angst vor der Revolution und ihrem
Ausbruch in Deutschland. Die Ode und die Briefe an Gleim aus dieser Zeit
verdeutlichen die ambivalente Haltung, die Kleist zu den Ereignissen in
Frankreich einnimmt.
Im April scheidet Kleist auf eigenen Wunsch aus dem Staatsdienst aus. An Gleim
schreibt er: "...ich habe mich allen Geschäften entzogen, und lebe ganz
meiner Bestimmung, die Natur einer schönen Seele zu studiren, und so die
Gotheit in meinem Studio zu lieben. Können Sie sich ein schöneres Schicksal
dencken?". (Tanzer 1998, S. 30).
1793
Kleist erwirbt das Gut Falkenhagen bei Frankfurt/ O. für 102.000 Rthl. Es ist
das Gut seines verstorbenen Schwiegervaters. Woher das Geld stammt läßt sich
nicht genau aufschlüsseln, allerdings ist in einigen Briefen an seinen Verleger
Vieweg von Schulden die Rede.
Mit dem Rückzug auf das Land ändert sich auch die Thematik seiner Schriften. An
Gleim schreibt er weniger über Politik, stattdessen viel über seine Arbeit auf
dem Gut und das Landleben. Seine literarischen Arbeiten behandeln ausführlich
die Liebe. Bei Vieweg in Berlin erscheinen die anakreontischen Schriften
"Sappho. Ein dramatisches Gedicht" und "Zamori oder eine
Philosophie der Liebe in 10 Gesängen". Diese Gedichte Kleists sind von der
Kritik nicht wohlgelitten. Über den "Sappho" heißt es in der
"Allgemeinen Literatur Zeitung": "Man darf nur einige Seiten
dieses dramatischen Gedichtes gelesen haben, um zu sehen, an welchem Feuer sich
die Einbildungskraft des Verfassers erwärmt habe. Nicht nur die ganze Bildung
des Ausdrucks und Dialogs, sondern auch die Wahl der handelnden Personen
erinnert sogleich an Göthes Tasso und bisweilen an die Iphigenia. (...). Nimmt
man bloß auf Sprache und Ausdruck Rücksicht, so muß man mit Vergnügen den
geistigen Einfluß wahrnehmen, welchen das Studium seines vortrefflichen Musters
auf den Verfasser gehabt hat, wiewohl auch in diesem Theile der Arbeit
schwerlich vielmehr geleistet worden ist, als was, bey einer angeborenen
Empfänglichkeit für die Schönheiten der Dichtkunst, von einem jeden Manne von
Talent durch Fleiß und Übung hervorgebracht werden kann. Nichts hervorstechendes,
nichts was auf wahres Genie- schließen dürfte". (Allgemeine
Literatur-Zeitung 1795 151, Sp. 445-448).
Auch der "Zamori", ein Gedicht über die Abenteuer eines jungen
Schwärmers aus Madrid, der auszieht und sein Glück in der Liebe findet, die ihn
zu einem vollkommenen Menschen macht, wird in einer Rezension derselben Zeitung
nicht gut besprochen: "Um ein großer, ein göttlicher, ja auch nur um
ein guter Dichter zu seyn, muß man mehr verstehen, als reimen, man muß denken
können. Einige alltägliche Gemeinplätze, einige Declamationen gegen das
Christenthum und den Despotismus geben noch keinen Anspruch auf den Namen eines
aufgeklärten Philosophen; so wenig als ein Mischmasch abgenutzter oder barocker
und unzusammenhängender Bilder für einen dichterischen Plan Phantasie beweisen.
Wie sehr es diesem reimfertigen Schriftsteller selbst an den alltäglichen
Kenntnissen eines Poeten fehle, zeigen seine zahlreichen mythologischen Sünden,
seine fehlerhaften Verse (...), seine Plattheiten. Die Anzahl der
wohlgerathenen, wenigstens tadelfreien Verse ist dagegen, in Betrachtung der
Länge des Gedichts, äußerst gering". (Allgemeine Literatur Zeitung 1795
273, Sp. 65-72).
1794
Auch wenn die Kritik mit dem literarischen Schaffen Kleists nichts
anzufangen weiß, weiß der Dichter selbst genau, wovon die eigenen Gedichte
handeln. In den Briefen an Gleim ist immer wieder von dem eigenen ehelichen
Glück die Rede. Die Geburt einer Tochter unterbricht den Briefwechsel für ein
dreiviertel Jahr. Im ersten Brief danach heißt es: "Ein großes, ein
göttliches Vergnügen. Ich möchte nicht diese Erfahrung verlieren, um
Vieles". (Tanzer 1998, S. 33).
1796
Kleist verkauft das Gut Falkenhagen für 130.000 Rthl. Im Gegenzug erwirbt
er von der Familie Humboldt das Gut Ringenwalde bei Neudamm in der Neumark für
91.000 Rthl. Die
preisliche Differenz der beiden Güter läßt vermuten, daß bei Verkauf und
Neuerwerb finanzielle Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Im selben Jahr
erscheinen bei Vieweg die kleineren Schriften "Das Glück der Liebe"
und "Das Glück der Ehe". Eine angenommene Ernennung zum Landrat in
Ringenwalde kann die neuere Forschung über Franz Alexander von Kleist nicht
nachweisen.
1797
Gesundheitlich ist es um Kleist nicht gut bestellt. In seinem letzten Brief
an Gleim aus dem März heißt es: "Ich lebe jetzt in der Neumarck überaus
glücklich und zufrieden, besitze ein höchst vortreffliches Weib, eine
liebenswürdige Tochter, und erwarte täglich den Sohn; wäre meine Gesundheit
wohler, so bliebe mir nichts zu wünschen". (Tanzer 1998, S. 36).
Am 8. August stirbt Franz Alexander v. Kleist 28-jährig auf seinem Gut in der
Neumark an den Folgen der Ruhr, wie es in der Todesanzeige heißt. 1811 vermutet
der Dichter Friedrich de la Motte Fouqué eine andere Todesursache. Anläßlich
des Todestages Heinrichs von Kleist schreibt er in einem Brief an Hitzig, der
Namensvetter Franz sei "in wüster Ausschweifung untergegangen noch vor
dem Sterben". (Sembdner 1997, S. 79).
Nach Kleists Tod hilft sein Vater Franz Casimir v. Kleist der verschuldeten
Familie. Posthum erscheinen bei dem Verleger Maurer in Berlin "Franz von
Kleists Vermischte Schriften".
----------------------------------------
Franz Alexander v. Kleist war ein viel gelesener Autor von Gedichten, kleinen
Stücken und theoretischen Texten. Häufig wurde auf die bemerkenswerte
Ähnlichkeit der Biographie des heute fast vergessenen Dichters zum Lebenslauf
des entfernten Verwandten Heinrich v. Kleist hingewiesen. Auch der acht Jahre
ältere Franz Alexander trat gemäß der Familientradition ins preußische Heer
ein, quittierte jedoch bald darauf den Dienst, bemühte sich mehrfach um eine
Anstellung beim Staat und hatte zeitlebens mit Geldnöten zu kämpfen. Allerdings
gibt es auch deutliche Unterscheide: Literarische Texte und private
Korrespondenz Franz Alexanders lassen auf ein zufriedenes Leben mit Frau und
Kind schließen, ein Glück, das Heinrich v. Kleist nicht beschieden war.
Freundschaftskult, Liebe und Ehe sind wichtige Topoi in Franz Alexanders Werk.
Seine Briefe an Gleim bestätigen das Bild eines glücklichen Familienmenschen.
Die anakreontischen Spielereien und literarischen Gegenstände idealischer, aber
ebenso körperlicher Liebe stießen bei der Literaturkritik nicht nur auf
Begeisterung. Schon zu Lebzeiten schrieb ihm die "Allgemeine Literatur
Zeitung" "glückliche Anlagen, eine lebhafte Phantasie und ein
warmes Gefühl" zu, bezeichnete aber das Gedicht "Glück der
Ehe" als "ein Meisterstück wohllautender Leerheit".
Wolfgang Menzel urteilte in seiner "Geschichte der Deutschen
Dichtkunst" aus den 1850er Jahren ähnlich, allerdings auch äußerst
einseitig und kulturnational: "Die Schwärmerey für Liebe und Ehe,
welche die Deutschen verweichlichte, ganz ins Privatleben sich vertiefen und
von den großen Interessen des Vaterlandes absehen ließ, culminierte in dem
Berliner Legationsrath Franz von Kleist. Es ist kein Zufall, daß in demselben
Jahr, in welchem Ludwig XVI. auf dem Schaffot blutete und der Convent seine
Schrecken ausgehen ließ, dieser stille Berliner seinen Zamori dichtete, in
welchem alles, was deutsches Gemüht damals an Süßlichkeit und Schwächlichkeit
leistete, concentriert erscheint". (Menzel 1859, S. 118).
1997 schrieb Anke Tanzer mit ihrer Dissertation die erste Biographie und
Werkanalyse der neueren Literaturwissenschaft und den Dichter wieder ins
Gedächtnis rief. Dieser Beitrag basiert im wesentlichen auf ihrer Arbeit.
Verwendete Literatur
Allgemeine Literatur-Zeitung vom 30. Mai 1795, Nr. 151, Sp. 445-448
Allgemeine Literatur Zeitung vom 10. Oktober 1795, Nr. 273, Sp. 65-72
Allgemeine deutsche Bibliothek 1792, Bd. 112, 1. St., S. 91-93
Historisch-politisches Magazin, nebst literarischen Nachrichten vom 1. Januar
1787,
Bd. 1, Literarischer Anhang, S. 49-50
Neue allgemeine deutsche Bibliothek 1793, Bd. 6, 1. St., S. 229-231
Menzel, Wolfgang: Deutsche Dichtung von der ältesten bis auf die neueste
Zeit. Bd. 3.
Stuttgart: Krabbe 1859
Sembdner, Helmut (Hrsg.): Heinrich v. Kleists Lebensspuren. Dokumente und
Berichte der
Zeitgenossen. Stuttgart: DTV 1997
Tanzer, Anke: "Mein theurer zweiter Kleist". Franz Alexander von
Kleist 1769-1797-
Leben und Werk. Oldenburg: Igel Verlag 1998 (Kasseler Studien zur
deutschsprachigen
Literaturgeschichte 10)
SH
Person: Franz Alexander Kleist, Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/personen/751.
Link zu den API-Daten: https://berlinerklassik.bbaw.de/api/personen/751