Christian Friedrich Ludwig Mursinna

Lebensdaten

Nachname:
Mursinna
Vorname:
Christian Friedrich Ludwig
Geburtsdatum:
17.12.1744
Geburtsort:
Stolp / Hinterpommern
Geschlecht:
männlich
Todesdatum:
18.05.1823
Sterbeort:
Berlin
Beruf(e):
  • Arzt
  • Chirurg
  • Augenarzt

Genealogie

Genealogie:
Vater: Tuchmacher in Stolpe/Hinterpommern Ehefrau: Mädchen aus Potsdam Kinder: 7 Kinder; 1811 sind noch 2 Töchter am Leben

Biographie

Lebenslauf:
1744
Christian Friedrich Ludwig Mursinna wird als Sohn eines Tuchmachers am 17. Dezember in Stolpe/Hinterpommern geboren.

lernt zunächst auf Wunsch des Vaters zunächst ebenfalls das Tuchmacherhandwerk;
erlernt bei einem Bader in Stolpe, anschließend bei Chirurgen in Kolberg die Chirurgie.

1761-1763
seit 5.3. Lazarett-Chirurgus. Bis zum Ende des Krieges Regimentschirurg in zahlreichen Lazaretten. Lernt beim General-Chirurg von Theden; Assistent von Caspar Friedrich Wolff bei der Ausbildung der Wundärzte. Nach Ende des Krieges in Berlin.

1764
Famulus bei Wolff.

1765
Kompanie-Chirurgus beim Regiment von Lottum.

1767
Beförderung zur Garde nach Potsdam; Freundschaft mit dem Chirurgen Voitus.

1772
Ernennung zum Pensionär-Chirurgus; Mursinna geht nach in Berlin.

1775
vorstehender Wundarzt an der Charité; erste praktische Kenntnisse als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer.

1776
von Friedrich II. zum Regiments-Chirurgus im Regiment von Peterdorf in Westfalen ernannt; lebt in Bielefeld.

1778
bayerischer Successionkrieg. Mursinna zieht mit dem Regiment ins Feld; erlangt Kenntnisse über die Krankheiten Ruhr und Faulfieber.

1779
Sein erstes Buch "Beobachtungen der Ruhr und der Faulfieber" erscheint.

1780/81
Die "Medizinisch-chirurgische Beobachtungen" werden veröffentlicht.

1782
Die "Abhandlungen von den Krankheiten der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen" erscheinen in zwei Bänden.

1786
Versetzung zum Regiment von Möllendorf nach Berlin.

1787
wird nach dem Tod Voitus' im März Generalchirurg der preußischen Armee; im Mai Professor der Chirurgie an der Medicinisch-Chirurgischen Militärakademie und beim Collegium medico-chirurgicum in Berlin. Hier nimmt er bei 908 Patienten Starextraktionen vor, die bei 867 erfolgreich waren.

1795
mit der Armee in Polen; Freundschaft mit Formey.

1796
Ernennung zum wirklichen 2ten General-Chirurgus (mit einer ansehnlichen Gehalts-Erhöhung), vgl. Haude- und Spenersche Zeitung, 26. April 1796.

1798
Ehrung mit einem Doktordiplom von der medizinischen Akademie in Jena.

1799
Ernennung zum Mitglied der "Societatis artem obstetriciam amantium" in Göttingen.
Zweite Preis für Behandlungen der Kopfwunden und der dabei zu Unternehmenden Trepanation von der K. K. Josephinischen Akademie zu Wien, zugleich Ernennung zum Mitglied der Akademie.

ab 1800
Herausgeber des "Journal für die Chirurgie, Arzneikunde und Geburtshülfe".

1805
zur Hauptarmee des Herzogs von Braunschweig nach Westfalen beordert. Im März Reise durch Deutschland; Mursinna lernt Goethe und Wieland kennen.

1806
nimmt in der Hauptarmee des Königs am Krieg gegen Frankreich teil.

1809
am 1. Juni als General-Chirurgus in den Ruhestand versetzt; bleibt Prof. der Chirurgie und dirigierender Wundarzt an der Charité; im Dezember Aufhebung des Collegium-medico-chirurgicum.

1810
Mitglied bei der wissenschaftlichen Deputation, die ein Ersatz für das 1809 geschlossene Collegium-medico-chirurgicum werden sollte.

1812-1813
Mitglied der "Gesellschaft der Freunde der Humanität".

1817
Mursinna geht in den Ruhestand.

1823
Mursinna stirbt am 18. Mai in Berlin.

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Als Autodidact wurde Mursinna durch nüchterne Beobachtung, operative Geschicklichkeit und gesunden Menschenverstand nacheinander Professor der Chirurgie, Preußischer Generalchirurg und dirigierender Wundarzt der Charité in Berlin. Durch die Behandlung von Kopfverletzungen, Staroperationen, aber auch als Geburtshelfer, hat er sich einen geachteten Namen in der Wissenschaft gemacht. Bekannt wurde er durch die Organisation und Vervollkommnung der preußischen Militär-Medizinalverfassung. In seinen medizinischen Betrachtungen berichtet er ausführlich über Schädelverletzungen, Verletzungen des Gesichtes, des Halses, der Brust, des Bauches und der Gliedmaßen. Auch die wichtigsten inneren Krankheiten der Armee werden behandelt. Die lebhaften Schilderungen und Krankengeschichten geben ein ausgezeichnetes Bild vom Stand der Chirurgie am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Tatkraft und Wagemut des Chirurgen, aber auch die schweren Leiden der Verwundeten finden Erwähnung.

Eine wichtige Quelle für das Leben und das Schaffen Mursinnas ist eine Autobiographie, welche die Universität Berlin im Jahre 1811 aus Anlaß des 50jährigen Dienstjubiläums des Generalchirurgus Dr. Mursinna herausgab:

Christian Ludwig Mursinna, ein großer Sohn unserer Stadt. In: Ostpommersche Heimat 2 bis 6 /1936 (abgeschrieben im Juli 2001 durch Helmut Kunefke)

In Nr. 1 des neuen Jahrgangs dieser Beilage berichtete Arved Hartung, wie er bei einer Familienforschung auf die Mursinnas stieß und dabei entdeckte, daß Christian Ludwig Mursinna, einer der berühmtesten Ärzte der Berliner Charitè, in Stolp geboren worden ist. Arved Hartung verdanken wir auch die nachstehende Selbstbiographie Mursinnas, die nur noch in zwei Stücken vorhanden ist. Sie wurde gedruckt als Festschrift zum 50 jährigen Dienstjubiläum am 5. März 1811.  Die Festschrift trägt den Titel: Christian Ludwig  M u r s i n n a  - der Jubelgreis. Ein Andenken des 5. März 1811 für seine Freunde und Verehrer.
Inhaltsverzeichnis:
- Einleitung eines Freundes von Mursinna       
- Geburt, Schule, Jugendzeit
- mit 13 Jahren bei einem Bader in Stolpe in der Lehre
- Lehre in Kolberg bei einem Stadt-Chirurgus
- 1760 Belagerung von Kolberg durch die Russen
- Feldlazarette in Stettin und Berlin
- Feldlazarett in Torgau
- große Noth in Schlesien
- selbst als Kranker nach Breslau ins Lazarett
- 1763 allg.Friede, als Chirurgus entlassen, arbeitslos
- 1764 bei Dr. Wolf
- 1765 Regimente von Lottum als Kompanie-Chirurgus 
- 1772 Pensionär-Chirurgus, 
   lernt seine Frau kennen, heiratet, Kinder
- 1775 als Wundarzt in der Charitè angestellt
- 1776 Regiments-Chirurgus im Reg. Peterdorf 
   in Bielefeld,Westfalen
- 1778 bayerischer Successionkrieg - Sachsen/Böhmen
- 1779 bösartige Ruhr Westfalen, insbes. Herford
- 1782 Abhandlungen-Krankheiten der Schwangeren
   Gebärenden, Wöchnerinen
 
- 1786 nach Berlin zum Regimente von Möllerdorff 
- 1787 zum wirklichen General-Chirurgus ernannt
- 1790 Krieg mit Oestereich
- 1795 mit der Armee nach Polen beordert
- 1797 starb General-Chirurgus Theden, 
   Ansprüche auf diesen Posten

- 1798 von mediz. Akademie Jena  m.Doktordipl. geehrt
- 1799 zum Mitgliede Societatis .. in Göttingen ernannt.
- 1800 mein Journal für Chirurgie, 
   Arzneikunde u. Geburtshülfe in Druck
- 1804 und 1809 Zwei wichtige Reden
- 1805 Mißverständnis zwischen Preußen und Frankreich
- 1806 wirkliche Krieg zwischen uns und Frankreich
-          Armee um Halle herum versammelt, Feldlazareth
-          mit Extrapost schleunigster Einsatz in Erfurt
-          Kölleda in Sachsen b. Auerstädt aufzubrechen
-          Einsatz in Magdeburg, Feldlazareth
           Magdeburg wird eingenommen
-          Paß zurück nach Berlin, Lehramt in Charitè
- 1807 starb Professor Zenker
- 1809 als General-Chirurgus in den Ruhestand, 
   weiter Professor d. Chirurgie
- 1810 für wissenschaftl. Deputation als Mitglied ernannt
- Nachwort zur eigenen Lebensgeschichte 
- Lieblingsoperationen - grauer Star, 
  Weitergabe seines Wissens


Sie beginnt mit folgender von einem Freund Mursinnas geschriebenen Einleitung:

Der 5. März dieses Jahres ist ein festlicher Tag für jeden Freund des Vaterlandes und der Menschheit, für jeden, dessen Herz für seltene Kraft und ausgezeichnetes Wirken höher schlägt. An diesem Tag sieht Mursinna, der ehrwürdige Veteran der Wundärzte, der treue Diener des Staates, der redlich und hochgefeierte Mann auf ein verlebtes halbes Jahrhundert zurück, wo rastloses Streben und Wirken als Diener des Staates, dem ausgezeichneten Verdienst den gerechten und unverwelklichen Lorbeer erwarb. Solange die Wissenschaft steht, wird der Name Mursinna in ihren Annalen glänzen und sein Tun in unzuberechnenden Kreisen sich ausdehnen, seine Saat noch in ferner Zukunft kräftiges Gedeihen haben.
An diesem Tage genügt es nicht, die Gefühle der Achtung auszusprechen, es genügt nicht, die Empfindungen laut werden zu lassen, welche der Anblick des Seltenen, Wahren und Schönen so mächtig erregt. Jene Gefühle und Empfindungen spricht ja schon das ganze Leben aus.
Der Wunsch konnte sich heute nur einmal darauf beschränken, ein Andenken dieses Tages zu besitzen und so entstand die Idee, das Gemälde des trefflichen Mannes als Kupferstich den Händen seiner Freunde und Mitbürger zu überliefern. Hier ist der würdige Jubelgreis etwas böslich hintergangen worden, aber in der redlichen Absicht und nie atmete wohl eine List ein reineres Wohlgefallen als diese. Ein Freund bat den Held des Festes um eine kleine Nachricht seines Lebens. Wie immer, bereitwillig und nie eine Bitte abschlagend, erfüllte er gütig den Wunsch - ohne den Zweck auch nur entfernt zu ahnen - und so sind diese wenigen Zeilen vervielfacht in den Händen seiner treuesten Verehrer. Wir sehen in diesem Wenigen den Mann wieder, den wir so oft gerne hörten und den wir im engeren Kreise so gern und oft horchend umringten, wenn er uns seinen heißen Durst nach Wissenschaft und Kunst und sein mühevolles Leben erzählte, um die Palme am Ziel zu erreichen. Diese Zeilen geben ihn uns ebenso treu wieder; es ist die lebendige Idee seines Geistes in ihnen dargestellt, er erzählt schnell, greift Erinnerungen seines Lebens für einen Moment auf, schildert sie wahr und lebendig, hält keine fest, verzweigt sie ebenso schnell mit anderen und so steht allen, die ihn kennen, das Bild des kräftigen Mannes da, der seinen Willen zur Tat macht, ohne Hindernisse und Schwierigkeiten zu kennen, wenn Wissen, Wahrheit und Pflicht das Ziel des ruhmvollen Strebens sind. - So verzeihe uns der würdige Mann diesen Schritt, den reine Liebe leitete. Er durfte seinen Freunden das seltene Glück nicht versagen, mit froher Begeisterung heut so klar die Worte des unsterblichen Dichters zu verstehen:
    "Nicht die Geburt
    Die Tugend nur macht allen Unterschied
    Doch Geister gibt's, begünstigt vom Himmel,
    Die durch sich selbst sind, alles sind, und nichts
    Dem Ahnherrn schuldig, nichts der Welt."

Mursinnas Selbstbiographie
Christian Ludwig Mursinna,
Doktor der Medizin, General-Chirurgus, Professor der Chirurgie, Mitglied der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen, dirigierender Wundarzt an der Charitè, und Arzt am Invalidenhause, Mitglied der k.k. josefinischen Akademie in Wien und der Gesellschaft der Freunde der Geburtshilfe in Göttingen.

Ich bin im Jahre 1744, den 17. Dezember in Stolpe in Hinterpommern geboren. Mein Vater war Tuchmacher und konnte mir daher keine gute Erziehung geben. Ich wurde bloß in den kleinen Schulen unterrichtet. Da ich aber ein gutes Talent und große Neigung zu den Wissenschaften hatte, bestürmte ich den Magistrat solange, bis dieser mich in die Lateinschule schickte. Hier war ich so fleißig, daß ich große Fortschritte machte und den Beifall der Lehrer hatte. Dem ungeachtet entriß mich mein Vater im 12. Jahre der Schule und widmete mich dem Tuchmacherhandwerke. Ob ich mich gleich mit dem größten Widerwillen in diese neue Laufbahn fügte, bereitete ich doch mein Tagewerk schnell und widmete meine übrige Zeit den angefangenen Studien, und besonders der Poesie, wozu ich eine natürliche Anlage und großen Trieb hatte. Ich machte Verse auf alle Stände und widmete diese dem Magistrat, der dadurch endlich bewogen wurde, mich auf meine dringenden Bitten die Chirurgie erlernen zu lassen.

Ich wurde in meinem 13. Jahr bei einem Bader, Einsiedel , in Stolpe in die Lehre gegeben, wo ich bald rasieren, aderlassen und andere kleine Geschäfte zur Bewunderung des Magistrats erlernte. Dem ungeachtet tirannisierte mich mein Lehrherr dergestalt, daß meine Lage schrecklich war und den Magistrat bewog, mich dieser Slaverei zu entreißen und nach Kolberg bei einem berühmten Stadt-Chirurgus, Krugschank, in die Lehre zu geben. Dieser Mann war ebenso dumm wie der vorige, aber gutartiger.

Ich hatte das Unglück, daß Kolberg in meinem ersten Lehrjahr 1758 von den Russen belagert wurde. Das folgende Jahr wurde es ebenfalls von dieser Macht zu Wasser und zu Lande belagert und endlich durch ein Wunder von dem General von Werner entsetzt. In dieser Belagerung wurden sehr viele Häuser zerstört und viele Bürger erschossen, unter welchen sich auch mein 78 jähriger Lehrherr befand, der von einer Bombe zerschmettert wurde. Ich entrann nur dem Tode durch einen unerhörten Entschluß, und wurde dann einem dritten Lehrherrn, Hein, übergeben. Dieser war der Dummste von allen, hatte aber eine so liebe und äußerst gebildete Frau, daß diese das reichlich an Erziehung ersetzte, was mir bei dem Manne an Wissenschaft abging. Hier wär ich unter der Leitung dieser trefflichen Frau zum ersten Male in meinem Leben glücklich gewesen, wenn die Stadt nicht im Jahre 1760 zum dritten Male belagert worden wäre.

Diese Belagerung war die schrecklichste, sie fing im März 1760 an und endete den 17. Dezember, da die Festung der Hungersnot wegen von dem tapferen Oberst Heyden an den General Romanzof übergeben wurde. Was ich in dieser Belagerung ausgestanden habe, ist unbeschreiblich, oder doch von der Art, daß ich ein ganzes Buch schreiben müßte, um dies deutlich zu machen, das ich auch noch vielleicht des großen Interesses wegen beginnen werde. Am Ende dieser Belagerung wurde ich freigesprochen und arbeitete nun ohne Gehalt in den preußischen und russischen Feldlazaretten bis zum Frieden. Dieser erfolgte nach dem Tode der Kaiserin Elisabeth, da mich dann der selige General-Chirurgus Theden, der in Stettin stand, den 5. März 1761 zum förmlichen Lazarett-Chirurgus kreierte.

Im April wurde ich mit den Blessierten nach Stettin beordert und nun hier im Feldlazarett angesetzt. Im Monat Mai wurde ich nach Berlin an das dortige Feldlazarett beordert. Hier begann mit mir eine ganz neue Laufbahn: hier entdeckte ich die Lehranstalten der Chirurgie und glaubte in eine andere Welt versetzt zu sein. Ich besuchte jede Lehrstunde, schrieb alles auf und schwur am Altar der Domkirche mit heiliger Entzückung, nicht eher zu ruhen, bis ich auch Professor würde. Die Freude dauerte aber nicht lange, denn ausgangs Juni wurde ich ins Lazarett nach Torgau beordert, woselbst ich wieder den Vater Theden antraf, der mich in seinen besonderen Schutz nahm und bei den gefährlichsten Kranken ansetzte. Ich arbeitete fleißig und errang den Beifall des Cothenius und Theden. 
Da aber in Schlesien Noth war, wurde ich im Juny mit einem detaschirten Lazarett nach Schweidnitz zur Belagerung beordert. Diese Belagerung war schrecklich, dauerte 14 Wochen und kostete den Preußen viele Menschen. Hier war ich so glücklich, auch den Beifall des Schmucker zu erhalten, der mich unter so vielen in meinem 17. Jahre auswählte und die vorzüglichsten Blessierten, nämlich die Kopfwunden übergab, worüber er nachher seine Beobachtungen drucken ließ. Ich weiß am besten, wie viele von diesen Beobachtungen aufgefaßt sind und wie wenig die so hochberühmten kalten Umschläge fruchteten: indessen sammelte ich hier doch einen Schatz von Erfahrungen, die mir bis jetzt nützlich gewesen sind.

Nach Eroberung der Festung wurde ich als ein Kranker nach Breslau ins Lazarett gebracht. Ich litt bei der Menge der Blessierten, bei meinem Diensteifer und der äußerst schlechten Lebensart, da ich diese ganze Zeit fast nur von Wasser und Brot lebte, weil ich mein in Torgau voraus erhaltenes Traktament auf dem Marsche verzehrt hatte, an einer völligen Erschöpfung der Lebenskraft: glücklicherweise entwickelte sich auf dem Transporte nach Breslau eine außerordentliche Krätze, die mein Nervensystem befreite und zugleich meine Assimiliationskraft und meinen Geist wieder erhob. An dieser Krätze litt ich in Breslau drei Monate im Lazarette. Diese ganze Zeit über studierte ich den Heister und Plattner und las alles, was ich nur an Büchern von den Aerzten aus der Stadt erbetteln konnte. Im Dezember wurde ich gesund aus dem Lazarett entlassen und bei den blessierten Oestereichern unter dem Dr. Wolf angestellt. Dies ist eine meiner glücklichsten Begebenheiten, die auf meine Bildung großen Einfluß gehabt hat. Der Dr. Wolf war ein gelehrter Arzt und wurde vom Herrn Geheimrat Cothenius bestimmt, den Lazarett-Chirurgen die Anatomie zu lehren. Er las die Osteologie und gab Anweisung im Präparieren der Muskeln und Eingeweide. Da wir sehr viele Kadaver hatten, so konnten alle Chirurgen hinreichend beschäftigt werden. Er wählte mich jungen Menschen zu seinem Famulus: es wurden mir alle Blessierten abgenommen und ich konnte mich ganz dem Studio der Anatomie widmen, welches ich auch mit solchem Eifer that, daß ich nicht nur die erste Prämie erhielt, sondern auch das folgende Jahr die Osteologie in Berlin für Geld lehrte.

Im April 1763 erfolgte der allgemeine Friede, nach sieben blutigen, aber für die Preußen ehrenvollen Jahren. Ich jauchste für Freuden mit der Menge, wurde aber bald in die traurigste Lage versetzt.
Bald nachher wurden die Lazarette aufgehoben, und die mehrsten Chirurgen entlassen. Ich wurde als der Beste mit 200 Blessierten vom Regiment Prinz Heinrich und Ferdinand auf der Oder nach Berlin kommandiert. Dies war mein Unglück, denn der Transport dauerte drei Wochen, und als ich in Berlin ankam, waren alle Stellen bei den Regimentern vergeben. Ich erhielt meinen Abschied und irrte in dem prächtigen Berlin umher, ohne zu wissen, wovon ich leben sollte. Ich hatte kein Vermögen und auf der ganzen Welt niemand, der mich unterstützte. In dieser verzweifelten Lage wohnte ich vor dem Tore mit zwei verabschiedeten Chirurgen unter dem Dache. Ich ergriff alle ehrlichen Hilfsmittel zu meiner Erhaltung: verkaufte die Hefte der Anatomie an die faulen, begüterten Chirurgen und erhielt dadurch drei Monate kärglich mein Leben. In dieser ganzen Zeit habe ich wahrlich bloß von Brod und Wasser gelebt, wie dies noch mehrere Zeugen wissen. Dabei hörte ich nicht nur die öffentlichen, sondern alle Privatkollegiea des jetzt noch lebenden Herrn Geheimen Oberfinanzraths Gerhard über Physik, Chirurgie, Phylosophie, Chirurgia medica und noch mehrere. Dieser vortreffliche Mann, der mir großzügig alle Zahlungen erließ, hat viel Teil an meiner Bildung, ist jetzt noch mein Freund, und ich habe öfters die Freude, sein Arzt zu seyn, um nur etwas zu vergelten. Am Ende mußte ich doch zur Barbierstube meine Zuflucht nehmen, um mein Leben zu erhalten; aber auch hier wendete ich alle meine übrige Zeit zum Studieren an.

Im Jahre 1764 wurde ich wieder bei dem vorher erwähnten Dr. Wolf Famulus. Dies war der Wolf, der nachher in Petersburg als Professor starb und das treffliche Werk "De Theoria generationis" geschrieben hat. Er las hier mit allgemeinem Beifall mehrere Kollegia über Logik, Physiologie etc. Ich hatte das Glück, diese Vorlesungen 2 Jahre zu hören und wurde zuletzt so keck, daß ich die Logik armen Studierenden für einen Taler las. Dadurch und durch den Verkauf meiner Hefte der übrigen Vorlesungen gewann ich endlich einen besseren Unterhalt. Dies Studium bei Herrn Wolf, besonders der Logik und ihres eifrigen Vortrags von mir, hat mir wesentlichen Nutzen verschafft und zum künftigen Schriftsteller vorbereitet.

Im Jahre 1765 wurde ich bei dem Regimente von Lottum als Kompanie-Chirurgus angesetzt und im Jahre 1767 zur Garde nach Potsdam befördert. Hier hatte ich das Glück, mit meinem ersten und besten Freund, dem Chirurgen Professor Voitus in einer Stube zu wohnen. Dieser edle Mann im eigentlichen Verstand hat viel Wissenschaft und besonders gründliche Humanoria. Mit ihm studierte ich nun unaufhörlich, ersetzte nach und nach das, was meine schlechte Erziehung mir versagt hatte und bereitete mich binnen vier Jahren zum künftigen Arzt.

Im Jahre 1772 wurde ich dem König zum Pensionär-Chirurgus vorgeschlagen und dadurch zweien Vorgängern vorgezogen. Ich kam nun nach Berlin und fing mein Studium wieder an, oder repetierte vielmehr alles das, was ich vorher schon studiert hatte.
Hierbei muß ich noch anführen, daß ich vor meiner Abreise aus Potsdam ein köstliches Mädchen kennengelernt hatte, das ich unaussprechlich liebte, ohne von ihrer Gegenliebe versichert zu seyn. Die Folge lehrte, daß ich ihr nicht gleichgültig war, denn sie entsagte auch den vorteilhaftesten Vorschlägen und erhielt sich mir, bloß durch Briefwechsel über drei Jahre, da ich dann das große Glück genoß, sie - - - nach dem allgemeinen Ausdruck - -  - die Zierde Potsdams, zu besitzen. Diese Verbindung, die dreiunddreißig Jahre währte, ist mein ganzes Glück auf Erden gewesen. Sie, höchst wohl erzogen, mit Engeltugenden und einer göttlichen Sanftmut begabt, wußte mich so zu lenken, meinen heftigen Sinn, der mich oft zu großen Thorheiten verleitete, so zu mäßigen, und meinen Leichtsinn in Ernst zu verwandeln, daß ich durch diese Tugenden, von großen Unglücksfällen, denen ich ohne diese Leiterin schwerlich entgangen wäre, befreit geblieben bin. Sie gebar mir sieben Kinder, die sie aufs sorgfältigste erzog, davon aber nur noch zwei Töchter am Leben sind, die gegenwärtig mein ganzes Glück ausmachen.

Im Jahre 1775 wurde ich als vorstehender Wundarzt in der Charitè angestellt und hatte ein ganzes Jahr das Glück, unter Muzelius die inneren und unter Henkel die äußeren Kranken zu versehen sowie das Accouchement zu besorgen. In diesem Jahr habe ich meine ersten praktischen Kenntnisse als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer begründet.

Im Jahr 1776, den 24. Januar, ernannte mich Friedrich der Große zum Regiments-Chirurgus im Regimente von Peterdorf in Westfalen. So schmerzhaft dies für mich und meine Braut war, uns von Berlin und allen Freunden und Wissenschaften zu trennen, so viele Freuden und glückliche Tage erlebten wir in Bielefeld.

Im Jahre 1778 erfolgte der bayerische Successionkrieg, daher ich Monat April mit dem Regimente ins Feld ziehen mußte. Hier hatte ich in Sachsen und Böhmen volle Gelegenheit, meine Kenntnisse bei den Kranken, besonders den häufigen Ruhren und Faulfiebern, zu üben. Nach 12 Monaten wurde dieser Feldzug glücklich beendigt.
Das folgende Jahr grassierte eine sehr bösartige Ruhr in Westfalen, vorzüglich in Herford, wobei ich meine vorjährig erworbenen Kenntnisse anwenden konnte. Ich heilte viele von der Garnison und der Bürgerschaft mit vorzüglichem Glück, deshalb ich mein erstes Buch "Beobachtungen der Ruhr und der Faulfieber" herausgab. Es wurde allgemein gut aufgenommen und bald vergriffen, daher ich im Jahre 1780 die zweite Auflage besorgte. In diesem Jahr gab ich zugleich den ersten Teil mein medizinisch-chirurgischen Beobachtungen in den Druck und im Jahre 1781 den zweiten Teil. Auch diese wurden im Jahre 1796 zum zweiten Mal aufgelegt.

Im Jahr 1782 gab ich meine Abhandlungen von den Krankheiten der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen in zwei Bänden heraus, die 1787 zum zweiten Mal aufgelegt wurden.

Im Jahr 1786 wurde ich den 5. Oktober nach Berlin zum Regimente von Möllerdorff versetzt. Mit großer Betrübnis verließ ich das Regiment und die Stadt, worin ich seit zehn Jahren so viele Freunde und Freuden gehabt hatte.

Im Jahre 1787, den 30. Februar, starb mein innigster Freund Voitus. Sein Tod war nicht nur für mich und seine Familie, sondern auch für die Menschheit ein großer Verlust. Ich wurde 2 Tage nach seinem Tode zum wirklichen General-Chirurgus ernannt. Im Monate Mai schlug mich der Präsident von der Hagen dem Könige zum Professor der Chirurgie vor, welches er auch allergnädigst genehmigte. Ich wurde bald nachher öffentlich in dies Lehramt eingeführt und hielt dabei eine Rede "Schilderung des Wundarztes", die gedruckt wurde.

Im Jahre 1790 brach der Krieg mit Oestereich aus, daher ich mit der Armee nach Schlesien beordert wurde. Nach vier Monaten erfolgte der Friede und ich trat wieder mein Lehramt in Berlin an.

Im Jahre 1795 wurde ich mit der Armee nach Polen beordert. Mein wahrer Freund, der jetzige Herr Geheimrat Formey, begleitete mich in diesem Feldzuge als Oberstabs-Mediens, und dies gewährte mir in der Tat manche angenehme Unterhaltung und großes Vergnügen in diesem nicht sehr reizendem Lande. So klein dieser Krieg anfangs schien, so wichtig und verheerend für diese Länder und Völker ward er in der Folge. Doch auch diesen Feldzug endete ich nach 18 Monaten glücklich.
Da ich in meinen neuen medizinisch-chirurgischen Beobachtungen, die ich bald nach der  geendeten Campagne herausgab, alles Wichtige, das mich oder die Lazarette und die bei der Armee vorgefallenen Krankheiten und Verwundungen betraf, gesammelt und vollständig aufgeführt habe, so breche ich hier ab und beziehe mich auf dies Buch selbst, das allgemeinen Beifall erhielt.

Im Jahre 1797 starb der General-Chirurgus Theden. Ich hatte die gerechtesten Ansprüche auf diesen Posten als der älteste und wirkliche Nachfolger von Theden. Ich hatte nicht nur alle meine Geschäfte als General- und Regiments-Chirurgus, öffentlicher Lehrer und praktischer Wundarzt stets unter dem größten Beifall meiner Obern und der Regierung treulich und ich kann zu meiner Beruhigung hinsetzen, gewissenhaft verrichtet, sondern mich auch außerdem als Schriftsteller ausgezeichnet, war in meinem Dienste nie zurückgesetzt, sondern öfters vorgezogen und stets befördert worden, war mir selbst bewußt, daß ich diesen wichtigen Posten meiner Gerechtigkeitsliebe, Uneigennützigkeit und Kenntnisse wegen vorzüglich verwalten und wesentliche Verbesserungen in der Militär-Chirurgie - wozu ich mich solange und besonders vorbereitet hatte - bewirken konnte, so, daß ich ohne Gewalt nicht zurückgesetzt werden, sondern diesen Posten zu meiner Belohnung und Aufmunterung erwarten und höchstrechtmäßig fordern konnte. Dies tat ich auch in einem Schreiben an Seine Königliche Majestät. Allerhöchst Dieselben antworteten mir sehr gnädig, daß Allerhöchst Dieselben dies alles wüßten und erkennten, daß aber der Posten schon von des Höchstseligen Königs Majestät bei Ihrem Leben an meinen jüngeren Nachfolger, den Herrn General-Chirurgus Goercke - der noch zu meinen Zöglingen gehörte - vergeben wäre, welches Sie aus guten Gründen nicht ändern könnte, daß Sie aber meine Verdienste auf andere Weise belohnen wollten. Doch dies ganze gnädige Kabinettsschreiben hat mein Freund, Herr v. Loder, in der Literaturzeitung abdrucken lassen. Ich erhielt zur Schadloshaltung das jährliche Gehalt des Herrn Theben zu meinem übrigen Gehalte. Ich muß gestehen, daß ich, da ich das Geld eben nicht so hochschätzte, äußerst niedergeschlagen wurde und mich gekränkt und entwürdigt hielt. Indessen war dagegen nichts zu sagen. Meine Verdienste waren selbst vom Throne und allen rechtschaffenen Männern, die mich kennen, hinlänglich erkannt und ich also gerechtfertigt. Herr Goercke hatte sich große Verdienste um die errichtete medizinisch-chirurgische Pepiniere und auch im Feldzuge am Rhein sowie besonders die Gnade und Liebe des Höchstseligen Königs erworben und dadurch ebenfalls ein gegründetes Recht zu dieser Stelle erlangt. Da die Zeit alles heilet, beruhigte ich mich nach und nach und zollte Herrn Goercke für seinen großen Fleiß meinen Dank und meine Freundschaft.
Nach dieser Zeit habe ich freilich manche Unglücksfälle, aber auch viele glückliche Tage in meinem fruchtbringendem Lehramte und meiner glücklichen Praxis erlebt, davon ich einmal öffentliche Rechenschaft ablegen werde.

Im Jahre 1798 wurde ich von der medizinischen Akademie zu Jena aus eigener Bewegung mit einem Doktordiplom geehrt.

Im Jahre 1799 wurde ich zum Mitgliede Societatis artem obstetriciam amantium in Göttingen ernannt. In demselben Jahre erhielt ich den zweiten Preis mit einer goldenen Medaille, 60 Gulden an Wert, für meine Behandlungen der Kopfwunden und der dabei zu Unternehmenden Trepanation von der K. K. Josephinischen Akademie zu Wien, und wurde zugleich zum Mitgliede dieser Akademie ernannt.

Meine nachherigen Schriften sind folgende:
1. Berichtigung des Sendschreibens etc.
2. Beobachtungen eines sehr schweren Geburtsfalles etc. im Starckschen Archiv
3. Vom Steinschnitte über den Schambeinen etc. in Arnemanns Magazin
4. Geschichte der Ausrottung der Hoden etc.in Loders Journal
5. Versuch der Vereinigung des nach der Geburt zerrissenen Mittelfleisches vermittelst der blutigen Nath. In Loders Journal, erster Band, 4tes Stück.
6. Von der Ausschälung einer sehr großen, limphartigen Geschwulst über dem Bauchringe. In Loders Journal, zweiter Band, 3tes Stück.
7. Geschichte einer widernatürlichen Zwillingsgeburt und der dabei erfolgten heftigen Blutung etc. nebst Bemerkungen über ähnliche Fälle, und über    
    das Nachgeburtsgeschäft. Loders Journal, 2ter Band, 1tes Stück.
8. Beitrag zur Operation des Hasenscharts. 2ter Band, 2tes Stück.

Im Jahre 1800 gab ich das erste Stück meines Journals für die Chirurgie, Arzneikunde und Geburtshülfe in den Druck. Dies Journal ist theils durch Campagnen, theils durch andere Ursachen unterbrochen worden, daher nur erst jetzt das zweite Stück des vierten Bandes erschienen ist.

Im Jahre 1804, hielt ich den 2ten August am Stiftungstage der medizinisch-chirurgischen Pepiniere, eine Rede: Ueber die Geschichte der preußischen Chirurgie; - den 2ten August 1809, hielt ich in diesem Institute eine Rede: Ueber die Vereinigung der Medizin mit der Chirurgie. Beide Schriften sind gedruckt.

Im Jahre 1805 brach ein Mißverständnis zwischen Preußen und Frankreich aus, daher  unsere Armee marschieren mußte. Ich wurde zum drittenmal aus allen meinen Verbindungen gerissen und mit der Hauptarmee des Herzogs von Braunschweig nach Westfalen beordert. Ich habe hier bei der Armee und in den Lazarethen viel Gutes gestiftet, das der Herzog erkannte und zu befördern geneigt war, wenn ihn nicht wichtigere Umstände und der bald erfolgte Tod daran gehindert hätten.
Ich machte nach erfolgten Frieden im März eine sehr angenehme Reise mit dem jetzigen Herrn Dr. Steinrück von Hannover nach Göttingen, Cassel, Eisenach, Gotha, Weimar, Halle, Leipzig usw. Diese Reise hat mir nicht nur großes Vergnügen gemacht, sondern auch wahren Nutzen verschafft. Ich besuchte darauf die Universitäten und die vorzüglichen Gelehrten und nahm außerdem alles Künstliche und Sehenswerthe in genauen Augenschein, dadurch ich nicht nur in jeder dieser Städte vorzüglich aufgenommen und angenehm unterhalten, sondern auch mein Geist belehrt, erweckt und mit mancherlei Kenntnissen bereichert wurde. Vorzüglich angenehm und sehr lehrreich war mir der dreitägige Aufenthalt in Weimar, wo Sr. Durchlaucht der Herzog mich besonders gnädig aufnahmen, und ich zugleich das Glück hatte, die vorzüglichen Gelehrten Wieland und Goethe näher kennen zu lernen.

Im Jahre 1806 brach der wirkliche Krieg zwischen uns und Frankreich aus. Ich wurde abermals, und zwar jetzt zur Hauptarmee des Königs kommandiert, wieder unter dem Befehl meines gnädigsten Herrn, des Herzogs von Braunschweig, dessen Arzt ich schon in Westfalen gewesen, da er unser General-Inspecteur war, und seine Gnade und Liebe bis zu seinem Tode erhalten habe. Ich habe das Glück gehabt, diesen großen Mann näher zu kennen, und dessen große Thaten und Verdienste zu bewundern - die ich bis jetzt nicht - aber vielleicht in meiner ausführlichen Biographie erwähnen werde.

Die Armee wurde um Halle herum versammelt, daher ich mich schnell hieher verfügen mußte, um für die Kranken aller Regimenter ein Feldlazareth anzulegen, davon ich schon viele, ohne Lazarethanstalten, ohne Lagerstätte, in der traurigsten Lage antraf. Hier in Halle ein großes Feldlazareth anzulegen scheint zu den Unmöglichkeiten zu gehören. Da das Lazareth noch auf dem Marsche war, hatt ich weder Wundärzte, Oekonomen noch Wärter: und doch placirte ich binnen 48 Stunden über 600 Kranke so gut, daß ich den Beifall des Herzogs, und was wichtiger war, den Beifall der Sachkundigen erhielt. Ich raffte alles von hiesigen Aerzten und Chirurgen zusammen, stellte sie an, und besorgte zugleich durch den Magistrat ihre nothwendige Verpflegung. Freilich wurde ich deswegen, und weil ich durch Gründung der Lazarethe Gewalt brauchen und einstweilen viele Menschen verdrängen mußte, allgemein gelästert. Es ist unbeschreiblich, welche Mühe, Einsicht, Entschlossenheit und selbst Gewalt dazu gehört, schnell ein beträchtliches Feldlazareth an Oertern anzulegen, wo durchaus keine Lazarethanstalten sind, und äußerst schwer ein hinlänglicher Raum ausgemittelt werden kann. Dies habe ich besonders in meinen letzten vier Feldzügen sehr oft empfunden; dies sind aber auch in der That die bittersten Tage meines Lebens gewesen, die mich oft zur Verzweiflung führten. Und doch rettete mich immer mein guter Genius und entflammte meinen Geist, daß ich durch Eifer und Rastlosigkeit endlich alle Schwierigkeiten überwand und zum Erstaunen der Oberen in einem Tage mehrere tausend Verwundete placirte und verpflegte.
Nachdem hier das Lazareth recht gut eingerichtet war, wurde ich in den 8ten Oktober dieses unglücklichen Jahres durch eine Estafette beordert, mit Extrapost schleunigst nach Erfurt zu kommen. Ich langte durch die Güte der Herren Postmeister den 9ten ganz früh hier an. Der Herzog befahl mir, hier ein Hauptlazareth anzulegen. Ich hatte nur einen Oekonomie-Beamten bei mir, weil das Lazareth unter Weges war. Indessen hatte ich durch Unterstützung des Magistrats, binnen 12 Stunden, Lazarethräume für 10000 Kranke ausgemittelt, und alle Wohnungen, Säle und Zimmer numeriert und eingetheilt. Dies war in Erfurth eben nicht sehr schwer, der vielen hier befindlichen Klöster wegen. Ich hatte die mehrsten Nonnenklöster, bis auf eins, das reichste und größeste, eingenommen. In diesem wurden alle übrigen Nonnen aufgenommen, und jene Klöster aufs schleunigste geräumt. Daß dies nicht ohne einige Gewalt und manche Kränkung vieler würdiger Personen geschehen konnte, ist begreiflich und hat mir viele Seufzer ausgepreßt. Der folgende Tag, als der 10te Oktober, war der erste unglückliche Tag für die Armee und den Staat; gerade da ich mich mit den vorzüglichsten Officiren der Armee bei dem Herrn General-Lieutnant von Rüchel zur Tafel setzen wollte, kam die Nachricht von der Affaire bei Saalfeld, wobei zugleich der unglückliche Fall des erhabenen Prinzen und Helden angekündigt wurde. Alles stürzte zu Pferde und ich auf den Wall zu den Lazarethen, da denn nach und nach mehrere hundert Verwundete ankamen. Müde und erschöpft genoß ich erst einige Speise zu Mitternacht.

Den 13ten um zwei Uhr mittags erhielt ich von dem Herzoge eine Estafette, angesichts dieses mir dem eben angekommenen Lazarethe nach Kölleda in Sachsen, unweit von Auerstädt aufzubrechen. Wir marschierten die ganze Nacht, und wurden am Morgen durch entfernte Kanonenschüsse aufmerksam. Diese vermehrten sich, so daß wir bis Mittag 10 Uhr, da der schreckliche Nebel verschwand, selbst das kleine Gewehrfeuer unterscheiden konnten. So heftig die Kanonade war, so wenig befremdete mich dies, weil ich sie doch schon, z.B. bei Kolberg zu Wasser und Lande heftiger gehört hatte. Da unsere Armee in allen meinen vorherigen Feldzügen gesiegt hatte, erfreute ich mich über dies Getöse und munterte meine Gefährten auf, zu eilen, um das Lazarett etablieren zu können. Da das ambulierende Lazarett schon vorher angelangt war, fand ich alles vorbereitet und war ruhig, den besten Ausgang hoffend, zum Empfang der Blessierten bereit.
Doch wie sah ich mich in meinen schönen Hoffnungen getäuscht; ich ziehe hierüber einen Schleier, mein Herz ist zugepreßt, denn ich habe darüber zu viel gelitten. Ich schloß mich mit meinem Lazarethe an unsere Armee, verband auf dem Wege alles, was sich näherte und langte endlich nach mancherlei Leiden und unsäglichen Beschwerden - davon im Frieden kein Mensch einen Begriff hat, auch nicht erhalten kann - den 18ten Oktober in Magdeburg an.
Hier erhielt ich von dem Gouvernement den Befehl, sogleich Lazarethe für alle ankommenden Verwundeten zu besorgen. Die Ausführung dieses Befehls war wieder mit den größten Schwierigkeiten verknüpft, weil auch das große Magdeburg durchaus kein gutes Lokal für gute Lazarethe hat. Da sich hier aber bald über 4000 Blessierte versammelten, darunter über 200 Offiziere befindlich waren, wurde der Befehl dringend und von mir in einigen Tagen erfüllt. Freilich mußte ich auch hier viele gute Menschen kränken, doch störte ich bloß das Vergnügen der Einwohner, um den wohltätigen Endzweck zu erfüllen, alle Verwundeten zu verbinden und zu verpflegen. Ich wählte daher viele öffentliche Gebäude, selbst die Loge, Harmonie, Domschule etc. und endlich noch das schöne Palais des Prinzen Louis zu Lazaretten.
Nach der Einnahme Magdeburgs, wurden auch alle kranken und verwundeten Franzosen hierher gebracht und meiner Aufsicht anvertraut. Für diese wurden dann bald die besten Häuser gewählt. Binnen zwei Monate war ich so glücklich, 2600 preußische Verwundete zu reconvalesciren, und da nun auch die mehresten verwundeten Franzosen geheilt waren, erhielt ich nach vielem Bitten einen Paß und die Erlaubnis nach Berlin reisen zu dürfen.
Hier wurde mir von dem französischen Gouvernement ein Paß nach Preußen zur Armee durchaus abgeschlagen, zugleich aber versichert, daß ich hier völlig frei sein sollte, wenn ich nur als Arzt mich der Lazarethe annehmen wollte. Ich unterzog mich diesem freilich, weil ich mußte und übernahm zugleich mein Lehramt in der Charitè. Hier lagen in den Hauptzimmern 600 Kranke von der Garde; diese lernten mich und unsere Wundärzte bald kennen, vertrauten sich diesen und wurden glücklich geheilet, welches mit dem lebhaftesten Dank erkannt wurde. Bald nachher etablierte ich hier auch ein Lazareth für die preußischen Kranken und Verwundeten, die sich hier von verschiedenen Regimentern befanden und sehr unglücklich waren. Ihre Verpflegung wurde von der Stadt besorgt.

Im Frühjahr 1807 starb der Professor Zenker an bösartigem Nervenfieber. Dadurch wurde ich völlig verhindert, meinen gefaßten Entschluß zu erfüllen und der Armee in Preußen zu folgen. Indessen habe ich hier als Lehrer und Arzt sowohl in der Stadt als in den Lazarethen so kräftig gewirkt, daß ich nicht nur allgemeinen Beifall erhielt, sondern auch bei mir selbst vollkommen gerechtfertigt war.

Den 1ten Juny 1809 wurde ich von Sr. Königl. Majestät, da die Armee verkleinert worden war, als General-Chirurgus in den Ruhestand gesetzt. Se. Königl. Majestät ertheilten mir allergnädigst eine Pension mit der huldreichsten Versicherung, daß ich Professor der Chirurgie und dirigierender Wundarzt in der Charitè bleiben sollte.
In diesem Jahre im Dezember wurde das Collegium-medico-chirurgicum aufgehoben. Indessen erhielten wir Professoren bald darauf die Anweisung, alle unsere Geschäfte und Obliegenheiten nach wie vor zu verrichten, welches auch bis dieser Stunde geschehen ist. Ob das Collegium, das soviel Aerzte, und vorzügliche Wundärzte erzogen hat, - und wahrlich mit allen in Europa an Wissenschaft und Kunst wetteifern können, - wieder hergestellt werden wird, ist noch nicht bestimmt. Es wäre ein großer Verlust für die Menschheit und Wissenschaft.

Im Jahre 1810 wurde ich bei der wissenschaftlichen Deputation als Mitglied angesetzt, das einigermaßen das vorige Ober-Collegium-Medicum ersetzen soll.

So viel für die mal von meiner Lebensgeschichte die ich für einige meiner Freunde, um ihre wiederholten Wünsche zu erfüllen, ausgesetzt habe.
Wenn ich meine nun beinahe fünfzigjährige Laufbahn übersehe, so habe ich die größte Ursache, der Vorsehung zu danken, die mich darin wunderbar geleitet und bis jetzt so glücklich erhalten hat. Ich habe in diesen Jahren freilich viele Dornen gefunden, aber doch mehrere Blumen gebrochen und ich habe darin viel Not, Kummer und Leiden gehabt, aber doch im Ganzen mehrere glückliche und freudige Tage erlebt. Größtenteils habe ich das Glück gehabt, gesund und frohen Mutes zu sein. Nie habe ich bei meinen häufigen Verwaltungen der Lazarethe ein ansteckende Krankheit erlitten, die schon ausgeführte Krätze ausgenommen; bin nie in allen meinen sechs Feldzügen bedeutend krank gewesen und habe außerdem nur zweimal Entzündungsfieber gehabt. Außerdem habe ich beständig bis diesen Augenblick eine dauerhafte Gesundheit genossen, so daß ich auch jetzt noch die volle Kraft meines Leibes und Geistes besitze, um meine wichtigen Geschäfte ungestört mit jugendlicher Munterkeit verrichten zu können. Wie sehr ich diese Gesundheit und die Fähigkeiten meines Geistes genutzt, ist allgemein bekannt, gewähret mir die reinsten Freuden und einen ruhigen Blick in die Ewigkeit.

Wenn ich die Summe meiner Taten zählen und anführen sollte, so würde ich noch viele Bogen anfüllen und dadurch auch noch nützlich werden können. Doch dies behalte ich mir vor, bis ich einmal meine ausführlichere Biographie der Welt - vielleicht erst nach meinem Tode - mitteilen werde.

Da ich so viele Gelegenheit gehabt habe, - vielleicht mehr als irgendein Wundarzt in der Welt - alle chirurgischen Operationen so häufig und glücklich zu verrichten, und diese - wenigstens die wichtigsten - aufgezeichnet habe, so wird diese Anzeige, mit einem Raisonnement begleitet, nicht unwichtig, nicht ohne Nutzen sein. Daher sei es mir erlaubt, hier nur etwas von meinen Lieblingsoperationen, die ich binnen 40 Jahren am häufigsten verrichtet habe, anzuführen. Ich habe die Operation des grauen Stars durch die Ausziehung der Linse neunhundert und acht mal verrichtet. Davon sind 41 völlig verunglückt, dagegen haben 867 mehr oder weniger ihr Gesicht wieder erhalten, davon ich auch in der Folge eine bestimmtere Anzeige machen werde.

Da ich hier vor 24 Jahren als Professor der Chirurgie angestellt wurde, verrichtete hier in Berlin keiner diese Operation, wie sie denn damals noch in unsern Staaten von den einheimischen Wundärzten äußerst selten verrichtet wurde. Es fanden sich dann jährlich sogenannte Oculisten aus fremden Ländern ein, die hier zwar alle Blinden zu heilen laut verkündeten, aber wahrlich sehr wenigen ihr Gesicht wieder verschafften. Hatten auch einige die Fähigkeit, die Operation zu machen, so waren sie doch wegen ihrer großen Unwissenheit nicht im Stande, den geringsten widrigen Zufall zu heben, folglich erblindeten die meisten wieder. So reisten dann mit viel klingendem Gewinn - den sie durch mancherlei List und Betrug erwarben - davon und überließen die Unglücklichen ihrem Schicksal. Diese habe ich denn endlich alle verscheucht, so daß sich seit vielen Jahren keiner mehr sehen läßt. Ich habe mich eifrigst bemüht, nicht nur Aerzte und Wundärzte in dieser Operation zu unterrichten, sondern ihnen auch Gelegenheit, sie zu machen verschafft und besonders aufgemuntert, sie, als die heilsamste, angenehmste und belohnenste durchaus und überall zu verrichten. Dies hat sehr gefruchtet. Es verrichten jetzt nicht nur in Berlin viele Wundärzte diese Operation, sondern auch in den Provinzen, doch hier aber noch immer seltener als ich es wünschte.

Diese Operation hat mir die größte Freude verschafft, ja, öfters in Entzückung gesetzt. Sie ist weder sehr schmerzhaft, noch blutig, noch mit Verstümmelung verbunden, und der Erfolg größtenteils glücklich und schnell, wenn man nur in der Wahl der Augen gründlich verfährt und nicht komplizierte Stare oder bei Krankheiten operieren will. Welch Glück für den Operateur, wenn er dem blinden Vater einer Familie, die vielleicht lange im Kummer und Armut geschmachtet hat, sogleich sein Gesicht wieder verschafft, ihm den edelsten Sinn, der Gattin ihren Mann, den jammernden Kindern ihren Vater wiedergibt!
Er wird gleichsam ein Schöpfer und Erhalter dieser Familie, die ohne diese Hilfe vielleicht umkommen oder doch in Armut und Gram verkümmert wäre. Wen dies nicht aufmuntert zum Fleiß, nicht antreibt zur gründlichen Erlernung dieser Operation und aller damit verbundenen Augenkrankheiten, der verdient nicht den Namen eines echten Wundarztes und entbehrt auch die größten Freuden eines Chirurgen.

Werke/Literatur

Register

Fachregister:
  • Medizin
  • Chirurgie
Institutionsregister:
  • Charité
Gruppen/Vereinigungen-Register:
  • Humanitätsgesellschaft
  • Gesellschaft für Natur- und Heilkunde

Person: Christian Friedrich Ludwig Mursinna, Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/personen/3912.

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