Kurzbiographie aus der Mitgliederliste der Akademie der Wissenschaften:
1770 Dr. med., Prakt. Arzt in
Berlin. 1774 ärztl. Reisebegleiter der Prinzessin von Darmstadt nach
Petersburg. 1775 Arzt des Fürstbischofs von Ermland in Heilsberg.
1778-1800 Erster Arzt an der Charité in Berlin. Leibarzt FRIEDRICHs II.
später auch Leibarzt FRIEDRICH WILHELMs II. 1795 Geh. Rat. 1798 Zweiter
Direktor des Collegium medico-chirurgicum in Berlin. 1797 Direktor der
Philosophischen Klasse der Akademie
Notiz in der Haude-
und Spenerschen Zeitung Nr. 40, vom 2. April 1789:
Der als ein philosophischer
Arzt und Schriftsteller rühmlichst bekannte Herr Professor Selle ist von der Königl. Societät der Aerzte in London zu ihrem auswärtigen Mitgliede ernannt worden.
Notiz in der Haude-
und Spenerschen Zeitung Nr. 63, vom 26. Mai 1795:
Auch haben [Se. Majestät der König] den hiesigen Professor und Doktor medicinä, Herrn Christian Gottlieb Selle, wegen seiner bekannten großen Einsicht, Fleißes und ausgezeichneten Geschicklichkeit, zu Dero Geheimen Rath allergnädigst zu ernennen, und das darüber ausgefertigte Patent, frei von Chargen- und Stempel-Juribus, zu vollziehen geruhet.
Nachruf in der Haude-
und Spenerschen Zeitung Nr. 135, vom 11. November 1800:
Am Morgen des 9ten November starb Herr Christian Gottlieb Selle, Doktor Medicinä,
königlicher Geheimerath, Arzt und Oberaufseher der Charité, Direktor bei dem
Oberkollegium Medikum, und Direktor der philosophischen Klasse der Akademie
der Wissenschaften, auch mehrerer auswärtigen Akademieen Mitglied, im Alter von
52 Jahren und 1 Monat. Sein Name ist einer der berühmtesten unter den sowohl
theoretischen als praktischen Aerzten und den philosophischen Denkern; seine
Schriften sind mehrmal gedruckt, und auch in fremde Sprachen übersetzt. Allein
die Eigenschaften des Geistes und Herzens die ihn vorzüglich auszeichneten:
sein Scharfblick, sein Edelmuth, sein feiner Sinn, seine Liebenswürdigkeit im
Umgang, sein talentvoller Eifer für die Beförderung der Wissenschaften und
jeder guten Sache, überwiegen bei weitem allen literärischen Ruf. – Er ward den
7. Okt. 1748 zu Stettin geboren, und mußte zum Theil unter ungünstigen
Umständen sich selbst ausbilden. Er studirte in Göttingen, wo er dem
verstorbenen Prof. Schröder viel zu verdanken oft gestand. Nachdem er in Halle
promovirt hatte, ging er nach Berlin. Von hier machte er mit der Landgräfin von
Hessendarmstadt als Arzt die Reise nach Petersburg, ward sodann Leibarzt des Fürstbischofs
von Ermeland (itzigen Erzbischofs von Gnesen) zu Heilsberg, und kehrte nach
einigen Jahren hieher zurück. Seine wichtigen Kuren und patriotischen Arbeiten
sind allgemein bekannt. Friedrich der Große berief ihn als Seinen letzten Arzt;
Selle hat die Krankheitsgeschichte des unvergeßlichen Königs beschrieben. Auch
der Hochsel. König ernannte ihn zu Seinem Leibarzt, und trug ihm die wichtige
Untersuchung der in Südpreußen während des Krieges ausgebrochenen Epidemie auf.
Die glückliche Beendigung dieses Geschäftes erwarb ihm den
Geheimenraths-Karakter. Nachdem er zwei Monarchen bis an die letzte Stunde
ihres Lebens gedient hatte, würdigte ihn auch des itzigen Königs Majestät
Seines vollen Zutrauens, und der Beweise Seiner verdienten Zufriedenheit, sowie
das Land ihn für die Erhaltung des theuersten Lebens segnete. Leider ward er in
seinen Bemühungen für das Wohl seiner Mitmenschen nicht durch einen starken
Körperbau unterstützt. Er erlag endlich und seine letzten Stunden bewährten
noch den großen Arzt und den praktischen Weisen. Bis an seinen letzten Augenblick,
unter den größesten körperlichen Leiden, beobachtete er sich noch selbst und
verordnete sich eigenhändig noch 4 Stunden vor seinem Ende ein Mittel das den
Ausschlag geben sollte, und ihn leider so gab wie er es vorausgesehen. Seinen
letzten Augenblick bestimmte er selbst, und irrte nur um eine Viertelstunde. Die
Eröfnung seines Leichnams die er selbst gewünscht, bestätigte, daß seine
Krankheit eine exalcerirte Lungenschwindsucht gewesen. – Wenig Bürger sinken
mit so allgemeinen und so gerechten Klagen des Staates in ihr Grab.