SÜVERN, Johann Wilhelm, Pädagoge und als preußischer Staatsrat treibende Kraft in der Reformpolitik Preußens nach dem Tilsiter Frieden, * 3.1. 1775 als Sohn eines Predigers und Scholars in Detmold, + 2.10. 1829 in Berlin, prägte maßgebend das preußische Schulwesen im 19. Jahrhundert. Nach seiner Gymnasialausbildung studierte er seit 1793 Theologie in Jena, wo Schiller und Fichte großen Einfluß auf ihn ausübten. 1795 wechselte er die Studienrichtung und widmete sich unter dem Einfluß von Friedrich August Wolf in Halle der Altertumswissenschaft. 1796 trat S. als Schulamtskandidat an das eben erst von Gedicke gegründete philologisch-pädagogische Seminar in Berlin, das gleich in seiner Anfangsphase berühmt wurde, u.a. sind so bedeutende Persönlichkeiten wie Bernhardi, Spilleke, Köpke und Schleiermacher in jenen Jahren durch dieses Seminar gegangen. In ihm herrschte der Geist griechischer Humanität, in dem die Altertumswissenschaft ästhetisch als pädagogisches Programm gelesen und mit den Auffassungen freier Idealität verbunden wurde, wie u.a. Gesner, Heyne, F.A. Wolf, Fichte und Schiller sie vertraten. In dieser Atmosphäre verfaßte S. während seines Aufenthaltes im Seminar seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten über Pindar, Aeschylos und über `Schillers Wallenstein in Hinsicht auf die griechische Tragödie'. Die Arbeiten machten ihn schnell bekannt und mit erst 25 Jahren wurde er 1800 als Rektor und erster Professor an das Gymnasium in Thorn berufen. Dort heiratete er 1802 die Kaufmannstochter Marie Klugmann. In Thorn begann er sofort mit der Umgestaltung des Gymnasiums und legte in seiner Schrift `Plan einer Grundverfassung des Thornschen Gymnasii nebst Vorschlägen denselben auszuführen' seine neuhumanistischen Reformideen dar. 1803 wechselte er als Direktor an das Gymnasium nach Elbing, wo er mit dem `Entwurf eines neuen Einrichtungs-Planes für das Elbingsche Gymnasium' seine in Thorn begonnene Gymnasialreform fortsetzte, was schließlich in gemeinsamer Arbeit mit Reinhold Bernhard Jachmann in ein übergreifendes Konzept zur Reorganisation des gesamten westpreußischen Schulwesens einmündete. Dieser Plan enthielt bereits die Grundprinzipien für eine umfassende Gymnasialreform. Nach dem Zusammenbruch Preußens siedelt S. nach Königsberg über, wo ihm eine Professur für alte Literatur an der Universität übertragen wurde. Durch eine `Vorlesung über die politische Geschichte von Europa seit Karl dem Großen' (1807/1808), die in ihrer Bedeutung mit Fichtes `Reden an die deutsche Nation' verglichen wurde, gewann er die Aufmerksamkeit des Hofes. Als Nachschrift kursierte dort seine Vorlesung und S. fand Anschluß an den Kreis der preußischen Reformer und den Freiherrn vom und zum Stein. Dieser war es, der dem König vorschlug, S. als Staatsrat in die Unterrichtsabteilung zu berufen. Dort wirkte er neben Nicolovius und erwarb sich die ersten Verdienste unter Humboldt bei der Reform der Elementarschule und der Einführung der Pestalozzischen Methode der Elementarerziehung in Preußen. Als Humboldt 1809 die Leitung der Unterrichtsabteilung übernahm, wurde S. sein geistreichster und eifrigster Mitarbeiter, der in Anlehnung an die Ideen Steins von dem Gedanken geleitet wurde, daß eine Reform des gesamten Schulwesens in Verbindung mit einer Gesamtreform des Staates vollzogen werden müsse. S.s Reformideen und seine zunächst unter Humboldt und dann unter Schuckmann ausgearbeiteten Reformpläne sind von den neuhumanistischen und preußischen Staatsverbesserungsideen geprägt und streben eine allgemeinbildene Schule an, die weder Standes- noch Berufsschule ist, keine Unterschiede in der Konfession kennt, sondern allgemeine und gleiche Bildung für alle vermitteln sollte. Im Sinne einer neuen Nationalbildung, wie auch Fichte sie verstand, wurde die Pädagogik zu einem Instrument der Erziehung freier Staatsbürger, die wiederum zur Verbesserung des Staates beitragen sollten. Während der Humboldt-Ära leistete S. einen entscheidenden Beitrag zur Gründung der Universität Berlin und zur Reform der Universitäten Bonn und Breslau. Einen Höhepunkt seines schulreformerischen Wirkens bildete sein `Entwurf eines allgemeinen Gesetzes für die Verfassung des Schulwesens im preußischen Staate' (1819). Zum ersten Male faßte hier eine deutsche Verwaltung den Plan, das gesamte Schulwesen als ein integrierendes Glied des Staates zu ordnen. Während der französischen Revolution hatte es einen solchen umfassenden Staatsplan von Condorcet gegeben. Jetzt wurde ihm ein deutscher an die Seite gestellt. In seinen pädagogischen Grundprinzipien sah der Plan eine Allgemeinbildung vor, Anregung, Entwicklung und Übung aller in der Natur des Menschen angelegten Kräfte. Die Jugenderziehung des Volkes war zugleich Nationalerziehung, die die Jugend befähigte, in die Staatsgemeinschaft als Mitwirkende einzutreten. Der Plan sah mit allgemeiner Elementarschule, Stadtschule und Gymnasium ein dreigliedriges Schulwesen vor, das aber durchlässig sein und insgesamt einen inneren Zusammenhang bilden sollte. Inzwischen jedoch wurden durch die politischen Ereignisse nach dem Wiener Kongreß die Reformkräfte in Preußen zurückgedrängt. Als Altenstein die Leitung des Ministeriums übernahm, zog sich S. zurück und beschränkte sich auf seine Tätigkeit im Referat über die Akademie der Wissenschaften, der er seit 1815 angehörte, und widmete sich wieder der Altertumswissenschaft. Abhandlungen über Tacitus, die griechische Tragödie, über Aristophanes und Ödipus, meistens in der Akademie der Wissenschaften vorgetragen, bekunden seine umfassende literarische Tätigkeit. Als Johann Schulz die Leitung des Ministeriums übernahm, verlor S. allen Einfluß auf die preußische Schulpolitik. Sein Entwurf über die Verfassung des Schulwesens erlangte niemals Gesetzeskraft. Durch die schulreformerische Tätigkeit S.s in den Jahren des Umbruchs jedoch wurde das Schulwesen in Preußen umgestaltet und erhielt jene Form, die die Bildung mehrerer Generationen im 19. Jahrhundert bestimmte. Erst zum Ende des Jahrhunderts wurde durch Wilhelm Dilthey wieder auf die große reformerische Bedeutung Süverns aufmerksam gemacht.
Person: Johann Wilhelm Süvern, Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/personen/3981.
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