Friedrich Ludwig Jahn

Lebensdaten

Namensformen

Pseudonym:
Turnvater

Genealogie

Genealogie:
Vater: Alexander Friedrich Jahn (1742-1811), Pfarrer Mutter: Dorothea Sophia (1751-?), geborene Schultze, ebenfalls eine Pfarrerfamilie aus Lenzerwische

Biographie

Lebenslauf:
1778
Friedrich Ludwig Jahn wird als Sohn eines evangelischen Pfarrers im
brandenburgischen Lanz geboren. Bis zum 13. Lebensjahr erhält er
Privatunterricht bei seinem Vater.

1791 bis 1794
Besuch des Gymnasiums in Salzwedel.

1795
Umzug nach Berlin. Besuch des Gymnasiums zum Grauen Kloster.

1796 bis 1798
Reisen und theologische, historische und geographische Studien an den
Universitäten in Halle, Frankfurt/ Oder, Greifswald und Göttingen. Jahns
Interesse gilt vor allem der "deutschen" Kultur und der deutschen
Sprache.

1798
Eintritt in einen freimaurerischen Sudentenorden in Halle.

1803
Jahn erhält das "Consilium abeundi" an der Universität Greifswald
aufgrund einer Prügelei mit einem Kommilitonen und wird von der Universität
ausgeschlossen.

1803 bis 1809
Reisen durch Deutschland, verschiedene Anstellungen als Hauslehrer. Weitere
Studienversuche in Göttingen und Jena. Insgesamt besucht Jahn auf seinen
Wanderungen zehn Universitäten mit unterschiedlicher Aufenthaltsdauer. Einen
Abschluß macht er nicht.

1809
Erneuter Umzug nach Berlin. Für einige Monate Anstellungen als
Hilfslehrer am Friedrich-Werderschen Gymnasium. Ein endgültiges
Anstellungsgesuch scheitert, weil Jahn das "examen pro facultate docendi"
nicht besteht. Hilfslehreranstellung am Gymnasium zum Grauen Kloster und an
der Plamannschen Erziehungsanstalt, wo die Schüler nach den Erziehungsideen
Pestalozzis erzogen werden. Hier lernt Jahn seine späteren Begleiter
Friedrich Friesen und Wilhelm Harnisch kennen.

1810
Gründung des "Deutschen Bundes" zusammen mit Friedrich Friesen. Beide
konstituieren im "Bundesbuch" die Grundstatuten des Vereins
("Burschenfreiheit", "Ehre und Leben" und "Vaterland und Volk über alles",
"Befreiung Deutschlands von der französischen Herrschaft", "nationale
Einheit"), der zum Vorläufer der deutschen Burschenschaften wird.

1811
Eröffnung des ersten Turnplatzes auf der Hasenheide in Berlin unter der
Leitung Jahns. Turngeräte und eine einheitliche Kleidung sind neben der
programmatischen Gymnastik weitere pädagogische Neuerungen. Jahn scheidet
aus dem Gymnasium zum Grauen Kloster aus. Nach der Gründung der Berliner
Universität stellen die Studenten einen großen Teil der Teilnehmer der
Turnübungen. Jahn bringt sich als Universitätslehrer ins Gespräch und möchte
das Turnwesen als Teil der universitären Ausbildung etablieren. Die
Universität reagiert auf Jahns Bewerbung ablehnend.

1813 bis 1815
Teilnahme an den Befreiungskriegen, Mitbegründer des Lützowschen
Freikorps.

1814
Heirat mit Helene Kollhoff in Berlin.

1815
In Jena wird die erste Burschenschaft gegründet. Sie greift Ideen und
Ideologien Jahns und des von ihm gegründeten "Deutschen Bund" auf.

1815 bis 1819
Vorträge Jahns über "Deutsches Volkstum" in Berlin. Die Burschenschaften,
das Turnwesen und damit auch Jahn stehen unter strenger Beobachtung der
einsetzenden Reaktion. Immer wieder kommt es zwischen der staatlichen Justiz
und Jahn zu Spannungen, ebenso zu Auseinandersetzungen zwischen
Burschenschaftlern, Turnern und den Behörden. Am 18. Oktober 1817 findet das
Wartburgfest, 1818 die Breslauer Turnfehde statt. Die Breslauer Professoren
Hendrik Steffens und Adolf Menzel sprechen sich lautstark gegen das
Turnwesen aus. Höhepunkt der Auseinandersetzungen ist 1819 die Ermordung des
Dichters August Ferdinand v. Kotzebue durch den Turner Karl Sand. In den
Karlsbader Beschlüssen werden Burschenschaften, die Turnerbewegung und
indirekt Jahn für die Tat verantwortlich gemacht.

1819
Jahn wird  aufgrund der "Verdächtigung hochverräterischer
Verbindungen" in Berlin verhaftet. In der Immediat-Untersuchungs-Kommission
sitzt auch der Kammergerichtsrat E.T.A. Hoffmann. Der Kriegsrat Friedrich v.
Cölln und Geheimrat Heinrich Schmalz treten als Zeugen gegen Jahn auf. Haft
in Spandau, dann in Küstrin. Einstellung des Turnbetriebes durch das
preußische Kultusministerium.

1820
Schließung aller Turnplätze auch außerhalb der Städte. Haftentlassung
Jahns. Genehmigter Aufenthalt nur in der Festungsstadt Kolberg.

1823
Tod seiner Frau Helene.

1825
Völlige Freisprechung, verknüpft mit dem Verbot des Aufenthalts in Städten mit
Universitäten und Gymnasien. Umzug nach Freyburg/ Unstrut. Heirat mit
Emilie Hentsch.

1829 bis 1836
Umzug nach Cölleda. Wieder verstärkte publizistische Tätigkeit. Aufsehen
erregt 1832 die Einweihung des Gustav-Adolf-Denkmals auf dem Schlachtfeld
von Lützen, an der Jahn teilnimmt.

1838
Im August verliert Jahn bei einem Brand sein Haus und die gesamte Habe.
Eine bundesweite Spendensammlung, an der sich besonders viele junge Menschen
beteiligen, ermöglicht ihm den Bau eines neuen Hauses und belegt die
nachhaltige Popularität Jahns.

1840
Vollständige Amnestie durch Friedrich Wilhelm IV. und nachträgliche
Verleihung des Eisernen Kreuzes II. Klasse. 1842 bewilligt der König
Jahn 1500 Thaler als eine Art Kostenrückerstattung für seine aktive
Teilnahme am Befreiungskrieg 1813.

1848
Jahn wird in das Parlament der Frankfurter Paulskirche gewählt. Seine
Tätigkeit bleibt ohne große Wirkung.

1852
Jahn stirbt 74 jährig in Freyburg an der Unstrut.

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Der Sohn eines evangelischen Pfarrers wuchs in der brandenburgischen
Provinz auf, wurde zunächst von seinem Vater unterrichtet und besuchte anschließend drei
Jahre lang das Gymnasium in Salzwedel. 1795 zog er nach Berlin und besuchte
für ein halbes Jahr das Gymnasium am Grauen Kloster, um es jedoch ohne
Abschluß wieder zu verlassen. Verschiedene Reisen, wechselnde Anstellungen
als Hilfs- und Hauslehrer, eine gescheiterte Teilnahme an der Schlacht gegen
Napoleon bei Jena/ Auerstedt und der Besuch verschiedener Universitäten in
Deutschland prägten Jahns Leben. Auf den Reisen verfaßte er seine
bekannteste Schrift "Von deutschem Volkstum", die 1810 in Lübeck erschien.
Ein Jahr zuvor war Jahn nach Berlin zurückgekehrt. Hier begann er sein
eigentliches Werk: Gemeinsam mit dem sechs Jahre jüngeren Karl
Friedrich Friesen gründete er den "Deutschen Bund", der als Vorläufer der
Burschenschaften die Befreiung Deutschland von der französischen Okkupation
und die nationale Einheit propagierte. Die Mitglieder stammten hauptsächlich
aus Offiziers- und Lehrer- aber auch aus Studentenkreisen. 1811 riefen Jahn
und Friesen die Turnbewegung in der Berliner Hasenheide ins Leben. Ziel der
Turnbewegung war es, "die verlorengegangene Gleichmäßigkeit der
menschlichen Bildung"
wiederherzustellen und so ein körperliches
Gegengewicht zur "einseitigen Vergeistlichung" zu schaffen. Die Ideen
von Gemeinsinn, Volkstum, Volkscharakter und Nationalgefühl sollten durch
das Turnen ausgebildet werden, denn "einer erstarkt bei der Arbeit an dem
andern, stählt sich an ihrer Kraft, ermutigt sich und richtet sich
empor"
. Demzufolge unterstützte die Turnkunst "vaterländisches Werk
und volkstümliches Wesen"
und wurde für Jahn zum Hauptbestandteil einer
Nationalerziehung und zu einem Teil der patriotischen Bewegung. Während der
Befreiungskriege, an denen Jahn im Lützowschen Freikorps teilnahm, erreichten
die "Turner" hohe Popularität und insbesondere die Berliner Studentenschaft
ertüchtigte sich bei Turnübungen. Nach den Befreiungskriegen geriet Jahn und
mit ihm die Turnbewegung immer mehr in Konflikt mit der staatlichen
Obrigkeit, da die reaktionäre Politik des preußischen Königshauses im
Gegensatz zu den nationalstaatlichen Vorstellungen Jahns, der Turner und der
sich nun konstituierenden Burschenschaften stand. Die Auseinandersetzung
kulminierte in der Ermordung des Dichters Kotzebue durch den Jenaer
Studenten Karl Sand am 23. März 1819. Das Turnwesen  wurde verboten, die
Turnplätze wurden geschlossen und Jahn wurde wegen "hochverräterischer Verbindungen"
verhaftet und zu 6 Jahren Festungshaft verurteilt. Nach seiner
Entlassung erfolgte 1825 die völlige Freisprechung, allerdings
unter der Auflage, die ihm den Aufenthalt in einer Universitäts- oder
Gymnasialstadt verbot. Erst Friedrich Wilhelm IV. hob die Einschränkungen
Jahns vollständig auf und verlieh ihm für seine Teilnahme an den Befreiungskriegen das Eiserne Kreuz. Jahn engagierte sich daraufhin wieder
politisch. Er verfaßte mehrere Schriften und wurde 1848 in das
Parlament der Frankfurter Paulskirche gewählt, wo seine Mitarbeit jedoch
wirkungslos blieb. Er zog sich nach Freyburg an der Unstrut zurück, wo er
1852 mit 74 Jahren starb.

Ein interessantes Charakterbild Jahns zeichnete der Direktor des
Friedrich-Werderschen Gymnasiums August Ferdinand Bernhardi. 1818 wurde er
vom Minister Altenstein dazu angehalten, einen amtlichen Bericht über Jahn
zu verfassen. Darin heißt es: "Sieht man auf das Geistige als ein
Vermögen und eine Kraft, so kann man Jahn ein schnelles Fassungsvermögen,
von einem, wie es scheint, sehr glücklichen Gedächtnis unterstützt, ein
gesundes Urteil, dem das Behalten gern und willig sich zum kombinieren
bietet, und welches bald als Tiefe, bald als Witz sich ausspricht. (...)
durchaus nicht absprechen. Es sind demnach allerdings sehr glückliche
Anlagen mit denen die Natur ihn begabt hat, und wie könnte er auch ohne
diese den Enthusiasmus hervorgebracht haben, um welchen ihn seine Feinde
beneiden, weil sie in ihren matten Seelen wohl fühlen, daß sie selbst nicht
einmal zu einem recht kräftigen Haß des angeklagten Mannes begeistern
können.

Sieht  man aber auf das Geistige als entwickelte Kraft, als wirklich
statische Ausbildung, so kommt allerdings ein ganz verschiedenes resultat
entgegen. (...).

Jahns Gefühl ist darin einseitig, daß es überwiegend auf das Handeln
ausgerichtet ist, überall sich mehr zur Äußerung im wirklichen Leben sich
hineigt und also sich mehr als Gesinnung äußert, als daß es sich
selbstständig um seiner selbst willen und unabhängig von anderen
Geisteskräften ausgebildet hätte. (...).

Fassen wir das ganze Bild des Mannes nochmals zusammen - so ist Jahn ein
Mann von höchst glücklichen Anlagen, aber mangehaft, einseitig und formlos
ausgebildet, erfüllt von der Anschauung der alten deutschen Zeit, oft
verkennend das Gute und Schöne der neueren, von einem tiefen und lebendigen
Gefühl, allein von begrenztem Umfange desselben und entbehrend des
Einflusses der Kunst, der davon abhängenden Feinheit desselben, welcher
Mangel sich teils als Härte, Schroffheit und Schärfe, teils als Verachtung
konventioneller Förmlichkeit ausspricht, von rein sittlicher Gesinnung,
ergriffen von Liebe und Begierde (...) an eine bessere Zeit glaubend,
willige Hand anlegend, sie herbeizuführen, sie besonders für das Volk und
für die Deutschen herbeiwünschend, sie erwartend von der Jugend, versehen
mit großer Kraft über die Gemühter der letzteren, und mit Eifer und
Enthusiasmus ihre Körper durch Übung bildend, aus einer früheren Opposition
herausgetreten, scheinbar ein zu großes Gewicht darauf legend". (Jahn I
1884, S. XXV-XXX)

Als Ergänzung dieser Charakteristik kann E.T.A. Hoffmanns "Anekdote über
Friedrich Ludwig Jahn" gesehen werden. Der Dichter war Mitglied der
Untersuchungskommission 1819, kannte Jahn und setzte sich auch für ihn ein.
Die Anekdote zeigt aber auch Hoffmanns innere Distanz zum "Turnvater":
"Vor kurzer Zeit erscheint ein Fremder in ****** in einer daselbst zur
Schau gestellten Menagerie wilder Tiere. Der Professor **** -

ein berühmter Hüpf- Spring- und Schwungmeister - war ebenfalls zugegen, und
der Charakter von Wildheit, den er in seiner äußeren Erscheinung affektiert,
mochte den Fremden ohne Zweifel überraschen; denn als der Wärter der Tiere
Namen, Vaterland und Behandlungsweise jedes einzelnen bezeichnet hatte, vom
Löwen bis zum letzten Kakadu herab, wandte sich der Freund höflich zu ihm
und fragte, auf den Professor deutend: "O sagen Sie mir doch mein Bester,
wie heißt denn dieses wilde Tier?" - Der Wärter flüsterte: "Mein Herr, das
ist ja der Herr Professor ****." - Der Fremde belächelte seinen Irrtum und
den Wundermann und verließ kopfschüttelnd den Saal der wilden Tiere".
(Hoffmann 8 1983, S. 621)



Verwendete Literatur:

Hoffmann, E.T.A.: Letzte Erzählungen. Hrsg. von Victor Liebrenz.
Berlin: Aufbau-Verlag 1983. (= E. T. A. Hoffmann: Gesammelte Werke in
Einzelausgaben. Hrsg. von Hans Joachim Kruse u.a. Band 8)

Jahn, Friedrich Ludwig: Friedrich Ludwig Jahns Werke. Bd. I. Hrsg. von Carl
Euler. Hof: Lion 1884.



SH

Werke/Literatur

Register

Fachregister:
  • Politik
Gruppen/Vereinigungen-Register:
  • Berlinische Gesellschaft für deutsche Sprache

Person: Friedrich Ludwig Jahn, Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/personen/549.

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