Wilhelmine Lichtenau

Lebensdaten

Namensformen

Geburtsname:
Enck(e)
Namensänderung:
Nachname: Rietz

Genealogie

Genealogie:
Vater: Johann Elias Enck(e) (1721-nach 1769), Waldhornist der Opernkapelle Friedrichs II. Mutter: Maria Susanne, geb. Schnetzer (gest. 1816?) Ehemann: Franz Holbein, Theaterdichter, eine rechtskräftige Eheschließung mit Johann Friedrich Ritz (1755-1809), dem Geheimen Kämmerer Friedrich Wilhelms II., hat es wahrscheinlich nicht gegeben. Kinder: Unter anderem fünf, die aus der Verbindung mit dem Prinzen Friedrich Wilhelm hervorgingen. Von denen gelangte aber nur Marianne Gräfin auf der Mark (1780-1814) über das Kindesalter hinaus. Zwei Söhne mit Johann Friedrich Ritz.

Biographie

Lebenslauf:
1752
Wilhelmine Encke wird am 29. Februar als Tochter des Trompeters Johan Elias Encke aus Hildburghausen geboren. Die Familie steht unter der Protektion der Fürstenfamilie von Anhalt-Dessau, ein Graf wird Wilhelmines Pate.

1763
Die Familie wird von Friedrich II. nach Berlin berufen. Johan Elias wird Trompeter und Waldhornist der Berliner Hofkapelle. Er betreibt zudem ein Gasthaus in der Spandauer Straße.

1764
Wilhelmine begegnet mit 12 Jahren ertsmals dem 22 jährigen Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Sie fällt dem Prinzen Friedrich Wilhelm durch ihre Schönheit auf und wird die Geliebte des Thronfolgers. Er schickt ihr eine Gouvernante und sorgt persönlich für ihre Erziehung und literarische Bildung.

1766
Auf einer einjährigen Bildungsreise nach Paris erhält Wilhelmine den letzten gesellschaftlichen Schliff. Neben Geschichte, Geographie und Literatur steht in Paris die Kunst auf dem Erziehungsprogramm Wilhelmines.

1770
Nach der Scheidung Friedrich Wilhelms von seiner ersten Frau zieht Wilhelmine nach Charlottenburg. Der König überläßt ihr ein Gut und eine jährliche Rente von 3000 Talern. Obwohl auch Friedrich Wilhelm zum zweiten mal heiratet, bleibt Wilhelmine seine geduldete Mätresse. Eine Anekdote erzählt, daß eine zufälligen Begegnung zwischen ihr und Friedrich II. im Park von Sanssouci den Stimmungswandel des Königs gegenüber der nichtstandesgemäßen Geliebten seines Neffen herbeiführt.
Wilhelmine bekommt eine Tochter von Friedrich Wilhelm, die aber im Kindsbett stirbt.

1779
Wilhelmine gebirt am 4. November ihren Sohn Friedrich Wilhelm Moritz Alexander. "Anderchen" wird das Lieblingskind Friedrich Wilhelms.

1780
Wilhelmine bekommt eine weitere Tochter von Friedrich Wilhelm. Sie wird auf den Namen
Friederica Wilhelmine Marianne Diderica getauft.

Ab 1780
Aus der Geliebten wird die Freundin, die dem späteren König ein Leben lang zur Seite steht. Dabei führt sie unter anderem schwere Kämpfe gegen die Rosenkreuzer. Den Beratern Friedrich Wilhelms gelingt es zwar, dem König das sexuelle Verhältnis mit ihr auszureden, ihre Stellung und die Freundschaft können sie auf die Dauer nicht unterminieren.
In den 1780er und 90er Jahren hält Wilhelmine eine Art Salon. Die Geselligkeit findet zunächst in der Mohrenstraße, später Unter den Linden im Haus ihres Sohnes Alexander, sowie in ihrem Landhaus in Charlottenburg statt. Gelegentlich gibt sie sogar Empfänge im Schloß Charlottenburg. Hat die Geselligkeit zu Beginn noch die Form des bürgerlichen "Kränzchens", so wird sie in den 90er Jahren eleganter.

1781
Als "Tarnung" heiratet Wilhelmine den Kammerherren Johann Friedrich Ritz. Die Ehe, aus der zwei Kinder hervorgehen, wird später wieder geschieden. Es ist fraglich, ob die Verbindung überhaupt rechtskräftig war.

1786
Friedrich II. erhebt kurz vor seinem Tod die zwei unehelichen Kinder von Wilhelmine und Friedrich Wilhelm in den Grafenstand. Auch nach dem Tod Friedrichs II. bleiben Wilhelmine und der neue König Friedrich Wilhelm II. enge Freunde.

1787
Alexander Graf von der Mark erliegt am 1. August im Alter von sieben Jahren einem Fieberleiden. Sein Grabmahl in der Dorotheenkirche ist eines der ersten Werke Johann Gottfried Schadows.

1792 bis 1794

Wilhelmine begleitet Friedrich Wilhelm während der Koalitionskriege ins Hauptquartier.

1795 bis 1796

Wilhelmine unternimmt eine Reise nach Italien, auf der sie mit der gehobenen Gesellschaft Europas verkehrt. Sie trifft unter anderem die Malerin Angelica Kauffmann, Lady Emma Hamilton und den Herzog von Sussex. Sie bereist u.a. die Städte Pisa, Rom und Neapel. Auf der Reise erwirbt sie einige Kunstwerke für die königlichen Schlösser. Allois Hirt, den sie auf der Reise kontaktiert, mißt den gekauften Gegenständen aber keinen hohen künstlerischen Wert bei.

1796
Wilhelmine wird am 28. April in den Grafenstand erhoben und erhält den Titel "Gräfin von Lichtenau" (Friedrich Wilhelm II. datierte das Patent zurück auf 1794). Die Nobilitierung findet auf ihren Wunsch während der Reise statt, da sie sich davon gesellschaftliche Vorteile verspricht. Anschließend wird sie offiziell am Hof vorgestellt - nach fast 30 jähriger Beziehung zu Friedrich Wilhelm. Ihre Nobilitierung und Vorstellung löst in den Reihen des Hofadels und in Teilen der Familie Hohenzollern Entsetzen aus.

1797
Als sich der Gesundheitszustand des Königs permanent verschlechtert, pflegt ihn Wilhelmine. Sie ist bis zu seinem Tod in der Nacht vom 16. November bei ihm. Kurz zuvor kommt es zur Versöhnung zwischen ihr und der Königin Frederike Luise, die von ihr gewußt, eine Begegnung aber vermieden hat. Der Thronfolger Friedrich Wilhelm III. entzieht sich dem familiären Friedensschluß.
Nach dem Tod Friedrich Wilhelms II. wird Wilhelmine auf Veranlassung des neuen Königs verhaftet und - obgleich gerichtlich von der Anklage des Geheimnisverrats, des Diebstahl usw. freigesprochen - auf die Festung Glogau gebracht. Ihr Besitz wird bis auf ihr Berliner Haus in der Mohrenstraße eingezogen.

1800
Wilhelmine wird freigelassen und nach und nach rehabilitiert.

1802
Am 3. Mai heiratete Wilhelmine in Breslau den wesentlich jüngeren Theaterdichter Franz Holbein, der sie jedoch 1806 verläßt. Nach der Trennung kehrt die Gräfin Lichtenau wieder nach Berlin zurück und lebt dort - unterbrochen von einigen Bäderreisen - zurückgezogen, von vielen angesehenen Angehörigen der Salongesellschaft hoch geschätzt.

1809
Wilhelmine wendet sich an Napoleon und bittet um eine Entschädigung für ihr enteignetes Vermögen, die er ihr gewährt.

1810
Die Ehe zwischen Wilhelmine und Holbein wird geschieden.

1811 bis 1812

Wilhelmine reist nach Paris. In St. Clouds wird sie von Napoleon empfangen und dankt dem Kaiser für die Entschädigung. Anschließend kehrt Wilhelmine nach Berlin zurück.

1820
Wilhelmine stirbt am 9. Juni im Alter von fast 67 Jahren in Berlin.



Schon zu Lebzeiten gerät Wilhelmine ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Anonyme Schmähschriften, Biographien und Karrikaturen greifen sie persönlich an und entwerfen ein verläumderisches Bild ihrer Stellung am preußischen Hof. Eine "Biographische Skizze" von 1798, die angeblich auf "authentischen Nachrichten" beruht und sich als "Beytrag zu dieser allgemeinen Wahrheit" versteht, schildert sie als hinterlistige und verschwenderische Person, die den Prinzen bewußt verführt, um Einfluß auf die Politik zu gewinnen. Dannach benutzt Wilhelmine Sex als Waffe und verschafft sich durch Intrigen Geld und Macht. Besonders rücksichtslos verfahre die eifersüchtige Mätresse mit Nebenbuhlerin, die sie auf übelste Weise aussticht. Gleichsam lasse sie keine Gelegenheit aus, Affären zu beginnen, Orgien zu feiern und das Geld des Staates für unangemessenen Luxus zu verplempern. Der Autor vergleicht Wilhelmine mit Madame Pompadour und Madame Dú Barry: "Gleich diesen berühmten Favoritinnen mißbrauchte sie die Gewalt, die ihr der Zauber erotischer Leidenschaft über einen König verschaffte,(...) der den Namen des Vielgeliebten mit mehr Recht verdient hätte, wenn nicht die zu weit getreibene Schwachheit gewesen wäre, die (...) auf dem Throne von den schädlichsten Folgen ist" (Biographische Skizze 1798, S. 13).

Die Schrift erfährt viele Nachahmer. Hervorzuheben ist Friedrich von Cölln, der in seinen "Vertrauten Briefen" Wilhelmine noch stärker diffamiert und ihr durch den Einfluß auf den König in politischen Fragen sogar eine Teilschuld an Preußens Niederlage 1806 vorwirft. Auch die berüchtigte "Gallerie preußischer Karaktere" von Friedrich Bucholz widmet ihr ein Kapitel mit identischen Anschuldigungen. Wilhelmine tritt diesen Publikationen in einer zweibändigen, insgesamt fast 600 Seiten starken Verteidigungsschrift entgegen, die 1808 in Leipzig unter dem Titel "Apologie der Gräfin Lichtenau" bei dem Verleger Wilhelm Heinsius erscheint. Vermutlich hat sie der Geheime Rat Schummel redaktionel betreut. Die "Apologie" hat schon deshalb einen hohen Quellenwert, weil sie viele Schmähschriften namentlich nennt und ihre Sicht der erhobenen Vorwürfe dokumentiert. Zudem enthält sie umfangreiches Briefmaterial, das natürlich dazu dient, die Anschuldigungen zu entkräften.

Die heutige Forschung bewertet Wilhelmine nüchterner als die damals aufgeregte Öffentlichkeit. Wilhelm Bringmann konstatiert in seiner Biographie Friedrich Wilhelm II. keine bedeutende politische Einflußnahme der Gräfin. Zwar sei sie "in Maßen verschwenderisch" gewesen, doch sei mit ihren Ausgaben für Schmuck und Reisen "selbst die fragile fritzische Staatswirtschaft nicht zu ruinieren" (Bringmann 2001, S. 116-119).
Dennoch war Wilhelmine, geborene Encke, verheiratete Rietz und spätere Gräfin von Lichtenau um 1800 ein handfester Skandal. Die Verhaftung und ungerechte Enteignung geht aber auf das übermotivierte Handeln des jungen Nachfolgers zurück. 1811 gesteht Friedrich Wilhelm III. seinen Fehler ein und meint: "Übereilt gehandelt damals, Sache übers Knie gebrochen". Der Vizepräsident des Berliner Kammergerichts Friedrich von Kircheisen charakterisierte den juristischen Fehlgriff wie folgt: "Die Lichtenau hat kein Verbrechen begangen, welches rechtlich die Einziehung ihrer Güter zur Folge haben könnte. Das geschieht nur bei Hochverrätern, und des Hochverrats ist sie nichteinmal beschuldigt. (...). Wenn das Wort Ungerechtigkeit jemals auf den König Friedrich Wilhelm III. angewendet werden dürfte, so wäre dies in dem Fall der ersten Behandlung der Gräfin Lichtenau der Fall. Der König selbst fühlte Reue darüber und klagte sich an, seinen Vater im Grabe nicht mehr respektiert zu haben" (zitiert nach Bringmann 2001, S. 121 und 122).



Verwendete Literatur:

Apologie der Gräfin Lichtenau gegen die Beschuldigungen mehrerer Schriftsteller. Nebst einer Auswahl von Briefen an sie. 2 Bde. Leipzig: Heinsius 1808

Biographische Skizze der Madame Ritz, jetzigen Gräfin Lichtenau. Paris. o. V. 1798

Wilhelm Bringmann: Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786-1797). Frankfurt am Main u.a.: Lang 2001


SH















Werke/Literatur

Quellen

Allgemeine Quellen:
P. Wilhelmy, Der Berliner Salon

Person: Wilhelmine Lichtenau, Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/personen/616.

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