Lebenslauf:
1725
Ewald Friedrich, Graf von Hertzberg, wird am 2. September auf dem Gut
der Familie in Lottin/ Hinterpommern geboren.
1739 bis 1742
Besuch des Gymnasiums in Alt-Stettin.
1742
Studium der Geschichte und des deutschen Staatsrechts an der
Universität Halle. Er hört Vorlesungen von Christian Wolff und Johann Peter
von Ludewig. Erwerb des Doktorgrades. Nachdem ihm im ersten Anlauf für seine
Dissertation über das Ius Publicum in Brandenburg vom Kabinettsministerium
die Druckerlaubnis verweigert wird, beginnt er eine neue Arbeit. Er schreibt
eine Abhandlung über die Kurfürstentage mit dem Titel: "De Unionibus et
Comitiis electoralibus".
1745
Übersiedelung nach Berlin. Anstellung beim 1. Kabinettsminister
Heinrich v. Podewill im Staatsarchiv. Von dort aus zieht Hertzberg als
zweiter Sekretär der brandenburgischen Wahlbotschaft nach Frankfurt am Main.
1746
Hertzberg erhält die Erlaubnis zum Studium der Akten des Staatsarchivs,
um seinen Kanzleistil zu verbessern. Er unterstützt den König Friedrich II.
bei dessen "Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg" als
Archivar.
1750
Aufsicht über das Geheime Cabinets-Archiv.
1752
Beförderung zum Geheimen Legationsrat: Hertzberg übernimmt eine
Doppeltätigkeit im Archiv und im auswärtigen Departement. Zudem wird er
Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Hochzeit mit Hyma Maria, der
Tochter des preußischen Ministers Friedrich Ernst v. Inn und Knyphausen und
Charlotte v. Ilgen.
1757
Beförderung zum Wirklichen Geheimen expedirenden Sekretär. Hertzberg
verfasst Depeschen für das Kabinettsministerium. Aus seiner Feder stammt
auch das "Mémoire raisonné", das den preußischen Einmarsch nach Sachsen im
Siebenjährigen Krieg rechtfertigen sollte.
1762
Hertzberg ist an den Friedensverhandlungen in Breslau beteiligt, die
den Krieg zwischen Preußen und Rußland beenden.
1763
Von Friedrich II. wird Hertzberg nach Sachsen berufen und dort mit der
Führung der Friedensverhandlungen in Hubertusburg beauftragt.
Aufgrund seiner Erfolge in Hubertusburg ernennt ihn Friedrich II. zum
Staats-Minister. Hertzberg ist nun neben Karl Wilhelm Finck von Finckenstein
der wichtigste Mann im Kabinett. Er erwirbt sich das Vertrauen Friedrichs
II., ist aber auch permanent mit seiner Position unzufrieden, da er seine
eigenen politischen Ideen und Vorschläge in der Regel nicht realisieren
kann. Paul Bailleu spricht in diesem Zusammenhang in seinem Artikel über
Hertberg in der ADB von "einer Stimmung tiefer Unzufriedenheit". (Bailleu
1880, S. 214).
Die außenpolitischen Pläne Hertzbergs beruhen im wesentlichen auf den
Gleichgewichtsideen des 17. Jahrhunderts. Danach soll neben dem Bund der
südlichen Mächte, Österreich, Frankreich, Spanien, ein nordischer Bund durch
Verbindung Preußens mit England und Rußland geschaffen werden. Gestützt auf
diese beiden Allianzen, deren zusammenhaltenden Mittelpunkt Preußen aufgrund
seiner geographischen Lage bilden würde, soll Preußen das Zentrum der
europäischen Politik, die alles entscheidende Macht, der Bewahrer des
Gleichgewichts der europäischen Staaten werden.
1779
Bei den Verhandlungen zum Teschener Frieden, der den Bayerischen
Erbfolgekrieg beendet, verzichtet Friedrich II. auf Hertzbergs Dienste, was
diesen wiederum tief betrübt.
1780
Hertzberg wird in der Akademie der Wissenschaften aktiver. Bis 1793
hält er an den Gedenktagen Festreden, meist zur Geschichte und politischen
Verfassung Preußens.
1784
Hertzberg gibt Pufendorfs unvollendete Geschichte des Kurfürsten Friedrich
III. "De rebus gestis Friederici tertii, electoris Brandenburgici post primi
Borussiae regis commentariorum libri 3, Complectentes anno 1688-1690" bei
dem Verleger Decker in Berlin heraus.
1785
Bei den Verhandlungen des Deutschen Fürstenbundes, ein
Koalitionsbündnis deutscher Reichsfürsten gegen Österreichs
Hegemonialstellung, vertritt Hertzberg Preußen wieder. Allerdings ist der
Fürstenbund nur ein kleiner Schritt in Hertzbergs außenpolitischem
Gesamtplan, der auf europäische Gleichgewichtsvorstellungen zielt.
1786
Nach dem Amtsantritt Friedrich Wilhelms II. Ehrung mit dem schwarzen
Adlerorden und Erhebung in den Grafenstand. Hertzberg wird zudem zum Kurator
der Akademie der Wissenschaften ernannt und mit dem Auftrag einer
Akademiereform betraut. Seine Vorhaben zielen auf zwei Punkte: Die Förderung
der deutschen Sprache an der Akademie und die Umwandlung der Einrichtung von
einer Repräsantationsinstanz der Monarchie zu einer Plattform für Gelehrte,
zu einem machtnahen Zentrum der Wissenschaft.
1787 und 1788
Im Herbst kommt es zur militärischen Intervention Preußens in den
Vereinigten Niederlanden. Im Konflikt zwischen Prinz Wilhlem von
Oranien-Nassau mit den Ständen tritt Preußen dem Prinz, der mit der
Schwester Friedrich Wilhelms II. Friederike Sophie verheiratet ist, bei. Der
Feldzug, von Carl Wilhelm Ferdinand Herzog von Braunschweig angeführt,
verläuft erfolgreich. Der Konflikt endet mit der Stärkung Wilhelms von
Oranien-Nassaus. Der Pariser Vertrag vom 27. Oktober 1787 schwächt das mit
den niederländischen Ständen verbundene Frankreich und holt Preußen aus der
außenpolitischen Isolation, indem es zu einer engeren Bindung an England
führt. Das Unternehmen bedeutet auch für Hertzberg einen Erfolg, hat
er doch genau diese Situation vorbereitet und die Annährung an England
empfohlen. Mit der erfolgreichen Kampagne steigt sein Ansehen bei Friedrich
Wilhelm II. Ein Ergebnis seiner Stärkung ist die Fortsetzung des
antiösterreichischen Kurses der preußischen Außenpolitik.
Während dem türkisch-russischen Krieg bringt der Minister einen verwegenen
internationalen Tauschplan zur Lösung der Krise ins Spiel: Von komplizierten
Gebietsaustauschungen der beteiligten Mächte soll vor allem Preußen
profitieren und an Größe gewinnen, ohne sich am Krieg militärisch zu
beteiligen. Rußland lehnt den preußischen Vermittlungsplan ab, der englische
Gesandte in Berlin bezeichnet das Unternehmen als "extravagant und
absurd". (Bringmann 2001, S. 277).
1789
Zur Durchsetzung seines Tauschplans empfiehlt Hertzberg im Spätsommer
die Androhung eines Krieges gegen Österreich, das durch den Ausbruch der
Revolution in Frankreich geschwächt ist. Friedrich Wilhelm II. lehnt das
Vorhaben ab und handelt erstmals gegen den Rat seines Ministers.
Ein Konflikt mit dem Bischoff von Lüttich schwächt abermals Hertzbergs
Position. Sein Plan, mit Hilfe militärischer Präsenz zwischen Aufständischen
und Bistum zu vermitteln, um die Position Preußens zu stärken und
Österreichs Einfluß in Belgien zu schmälern scheitert. Der Bischoff bittet
das Reichskammergericht in Wetzlar um Unterstützung, worauf sich die
Mitglieder des Fürstenbundes geschlossen auf die Seite des Bischoffs und
gegen die Einflußnahme Preußens stellen. Dies bedeutet nicht nur eine
diplomatische Niederlage für Hertzberg, sondern auch eine Kompromittierung
Friedrich Wilhelms II., wird diesem doch vorgeworfen, mit den Revolutionären
gemeinsame Sache zu machen.
1790
Friedrich Wilhelm II. nimmt die Leitung der preußischen Politik wieder
im wesentlichen selbständig in die Hand, bzw. vertraut anderen Beratern.
Gegen den Widerspruch Hertzbergs kommen 1789/90 die Bündnisse mit Polen und
dem Osmanischen Reich zustande. Ihm werden mit Friedrich Wilhelm v.
Schulenburg-Kehnert und Philipp v. Alvensleben, mit denen Hertzberg stets
Differenzen hat, zwei neue Minister für die auswärtigen Angelegenheit zur
Seite gestellt.
Mit der Konvention von Reichenbach, die 1790 den Fürstenbund auflöst,
finden Hertzbergs Vorstellungen von einem von Preußen angeführten
nordeuropäischen Reich ein abruptes Ende.
1791
Als ihm in der Folge einer neuerlichen Indiskretion die Kenntnisse der
wichtigsten Correspondenzen mit den Vertretern Preußens im Auslande
verweigert werden, bittet er um seine Entlassung. Diese wird ihm zwar nicht
ausdrücklich gewährt, jedoch hat der König nicht dagegen, daß er sich nun im
wesentlichen auf das Kuratorium der Akademie und die Aufsicht über den
Seidenbau beschränkt. Eine Stellungnahme für die französische Revolution und
seine öffentliche Kritik an der aktuellen preußischen Politik lassen sein
ohnehin stark beschädigtes Ansehen weiter sinken. Gesuche an den König, in
denen er seine frühere Politik verteidigt, erhalten keinerlei Reaktion.
1792
Nach seiner Demission widmet sich Hertzberg verstärkt der Reformen der
Akademie der Wissenschaften. Einiges hatte er seit seinem Antritt seit 1786
erreicht: 15 neue Mitglieder, darunter 12 Deutsche, waren berufen worden. 14
dieser Mitglieder kamen aus Berlin, darunter die Spätaufklärer Johann Jacob
Engel und Friedrich Gedike, der Dichter Karl Wilhelm Ramler, der erst 35
jährige Karl Philipp Moritz, aber auch der Aufklärungskritiker und Intimus
des Königs Johann Christoph von Woellner.
Im Januar macht Hertzberg eine Eingabe an den König, in der er die
Förderung der deutsche Sprache innerhalb der Akademie ankündigt. Zur
konkreten Umsetzung schlägt er das schon von Akademiegründer Leibnitz
angedachte Großprojekt eines deutschen Wörterbuches vor. Hertzberg greift
damit eine Forderung der Berliner Spätaufklärung auf, die deutsche Sprache,
Philosophie und Literatur auf eine gleichberechtigte Stufe neben das
Französische zu stellen. Die Gründung der "Deputation zur Verbesserung der
deutschen Sprache" durch einige Akademiemitglieder und die von ihm selbst
initiierte Publikation der alten Leibnitzschrift "Unvorgreifliche Gedanken,
betreffend der Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache", der er noch
einen eigenen Text zum Thema beistellt, lösen den sogenannten
"Sprachenstreit" an der Akademie aus. Obwohl es ausdrücklich nicht darum
geht, das Französische durch das Deutsche als Amtssprache zu ersetzen,
können sich die französischsprachigen Mitglieder an der Akademie unter
Mithilfe einiger populärer und hofnaher Gegner des Projektes, darunter der
Prinzenerzieher Verdy du Venois, durchsetzen. Das Wörterbuchprojekt wird
fallengelassen, Französisch bleibt bis 1804 die einzige offizielle Verkehrs-
und Amtssprache an der Akademie der Wissenschaften.
Claudia Sedlarz bewertet den "Sprachenstreit" in einem Aufsatz wie folgt:
"Hinter der Sprachenfrage verbarg sich ein Kampf um einen privilegierten
Platz nahe der Macht. Die Parteien, die zum Kampfe antraten, fochten ihn
nicht im Namen ihrer Nationalzugehörigkeit aus, auch wenn dies auf den
ersten Blick so scheinen könnte. Bei näherer Betrachtung stellen sich die
Dinge wesentlich komplizierter dar, verschiedene Interessen spielen
ineinander. Als in der kurzen Phase der Liberalisierung am Beginn der
Regierungszeit Friedrich Wilhelm II. die Berliner Spätaufklärer antraten,
sich unter der Protektion eines damals noch einflußreichen Ministers
(Hertzberg, Anm. d. Verf.) als Impulsgeber einer reformerischen
Politik zu betätigen, ging es ihnen um das 'Wohl des Vaterlandes', aber
nicht in einem nationalistischen, sondern pragmatischen, auf Nutzen
abzielenden Sinn. Ein Teil ihres Antriebes war allerdings sicherlich auch,
sich Genugtuung für die jahrelange Mißachtung ihrer Arbeit durch Friedrich
II. zu verschaffen. Da es zunächst so aussah, als sei die Akademie bereit,
dem patriotischen Gedanken Priorität zu geben, fürchteten die Franzosen um
ihre internationale Reputation. (...). Statt aber dieses glänzenste aller
möglichen akademischen Projekte zu unterstützen, das alle Energien erfordert
hätte, mißtrauten die französischen Mitglieder, erschreckt durch die
revolutionären Ereignisse in ihrem Herkunftsland, jeglicher Neuerung. Ebenso
ließ der König, auf dessen Unterstützung es angekommen wäre, das Vorhaben
ins Leere laufen. Sein Beweggrund war in diesem Moment ein
Abgrenzungswunsch, er hatte erkannt, daß es gefährlich sein konnte, eine dem
Hof so nahe stehende Institution wie die Akademie mit populäraufklärerisch
gesinnte Mitgliedern zu besetzen. (...). Die Diskussion um die
Publikationssprache an der Akademie wurde zugunsten des Französischen
entschieden: weniger im Hinblick auf internationale Verständlichkeit als
vielmehr um königstreue und konservative Haltung zu demonstrieren". (Sedlarz
2003, S 268 ff.).
Das Wörterbuch erscheint dennoch, wenn auch um einiges später: 1854 sorgen
Jacob und Wilhelm Grimm als Mitglieder der Akademie der Wissenschaften für
seine Veröffentlichung.
1794
Hertzberg legt aufgrund einer altersbedingten Demenz sein Amt als
Kurator der Akademie nieder.
1795
Tod Hertzbergs am 25. Mai in Berlin. Seine Frau Hyma Maria stirbt ein
Jahr später. Die Ehe blieb kinderlos.
Ewald Friedrich Graf von Hertzberg stand nahezu 50 Jahre in preußischen
Diensten. Anders als große Teile des preußischen Adels war er nie beim
Militär. Allein aus diesem Grund ist seine Vita bemerkenswert. Leopold von
Ranke charakterisierte ihn 1875 wie folgt: "Ohne Zweifel gehört Hertzberg
zu den bedeutendsten Ministern, die in dem auswärtigen Amte Preußens wirksam
gewesen sind. (...). In der Geschäftsführung warf er den Scharfsinn
und Eifer eines deutschen Gelehrten, der, ohne viel auf die Form zu sehen,
nur auf die Ausarbeitung seiner Conzeptionen Werth legt. Er war geradeaus
und offen; aber nicht frei von bürokratischem Eigensinn. Ein Patriot durch
und durch,- wie kaum ein anderer Staat deren so viele und ergebene, wie der
preußische, unter seinen Dienern zu besitzen, das Glück gehabt hat,- war er
das jedoch, wie es wohl auch Anderen ergeht, nur auf seine Weise. Indem er
das Emporkommen der Monarchie mit vollem Herzen umfaßte, sah er das Heil
doch einzig in dem, was er selber ersann und entwarf". (Ranke 1875, S.
345-347).
In der Tat schien der Minister im Ministerium in seinen Letzten Amzsjahren
isoliert, für seine verwegenen diplomatischen Konstruktionen fehlten ihm oft
die Fürsprecher. Sowohl zu Finck von Finckenstein, als auch zu den späteren
Kollegen Alvensleben und Schulenburg-Kehnert war sein Verhältnis
unterkühlt. Carl August von Weimar nannte ihn bezüglich seiner geringen
diplomatischen Gewandheit einmal den "Junker Plump vom Pommernland".
(Bringmann 2001, S. 264). Einiges spricht gegen Hertzberg: In der
Außenpolitik scheitert er an seinem eigenen Anspruch, Preußen zur führenden
Macht im Reich zu machen; der Fürstenbund - Ranke bezeichnete Hertzberg als
einen seiner "vornehmsten Begründer" - wird 1790 ohne großen Effekt
aufgelöst. Auch seine Fehleinschätzung der Tragweite der Revolution in
Frankreich, mit der er teilweise öffentlich sympathisierte, kann ihm
vorgehalten werden. Einige Historiker schreiben ihm zudem einen Hang zur
Selbstüberschätzung zu, etwa wenn er sich entscheidende Handlungen in der
Politik Friedrich II. selbst zuschrieb oder nicht müde wurde, die
Plausiblität seines Tauchplans von 1789 zu betonen, ein diplomatisches
Kuriosum, das europaweit abgelehnt wurde.
Auf der anderen Seite stehen ebenso Erfolge: 1788 gehen die Planungen im
Konflikt mit den Niederlanden auf ihn zurück und die Unternehmung wurde zu
einem Erfolg der preußischen Außenpolitik. Gleiches gilt für die früheren
Verhandlungen in Hubertusburg, die er 1763 führte. Der Aufschwung der
Akademie der Wissenschaften nach dem Thronwechsel 1786 hängt u.a. mit seiner
Arbeit als Kurator zusammen, auch wenn das prestigeträchtigste Projekt - ein
deutsches Wörterbuch mit Grammatik - nicht verwirklicht wurde. Allgemein ist
Hertzbergs umfasende Bildung bemerkenswert. Er schrieb zahlreiche politische
Briefe und historische Abhandlungen über die politische und wirtschaftliche
Verfassung Preußens, die heute als wertvolle Quelle zur Geschichte des
Staates im 18. Jahrhundert dienen. In Diskussionen mit Friedrich II. bemühte
er sich um die deutsche Dichtung und Literatur, wenngleich er den Großteil
seiner Arbeiten auf Französische verfasste. Auf seinem Gut in Britz
entwickelte er verbesserte Anbaumethoden für die Landwirtschaft, die er in
Form von Vorträgen an der Akademie veröffentlichte.
Ingesamt handelte und dachte er wie ein Mann des 18. Jahrhunderts.
Inwieweit moderne Vorstellungen einer nationalen Kulturpolitik, die
konstitutionellen Monarchie, demokratische Tendenzen und eine moderne
Agrarreform sein Handeln tatsächlich bestimmten oder von der
Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts überbewertet wurden müssen neue,
eingehende Untersuchungen zeigen. Gleiches gilt für sein Engagement für die
Akademie der Wissenschaften. Adolf Harnack betonte zwar Hertzbergs
Bemühungen für deutsche Gelehrte an der Akademie, tadelt aber auch die
negativen Auswirkungen dieser Berufungspolitik: "Hertzbergs Hauptfehler
bestand in der Überschätzung der einheimischen Berliner Kräfte. Er glaubte
die Neuordnung bewirken und die Akademie 'zur ersten Europas' erheben zu
können, ohne Berufung auswärtiger Gelehrter. Nur ein paar Mal ist von ihm
der erfolglose Versuch gemacht worden, solche heranzuziehen, während doch
die zahlreichen Ernennungen zu 'Associés externes', die er in den ersten
Jahren vornahm, zeigten, daß er für wirkliche Größe ein Auge besaß". Als
außerordentliche Mitglieder waren von ihm u.a. Immanuel Kant, Christian
Garve, Johann Gottfried Herder, Christoh Martin Wieland, Georg Forster, den
französischen Mathematiker und Philosophen Jean Antoine Nicolas Condorcet
und den italienischen Erfinder Alessandro Giuseppe Volta berufen worden.
Besonders kreidete Harnack dem Minister an, daß er "der Akademie nicht
einen Mann ersten Ranges als ordentliches Mitglied zuführte", ihren
rennomiertesten Wissenschaftler dagegen ziehen ließ: Der Geograph Joseph
Louis Lagrange verließ Berlin 1787 in Richtung Paris. Daß es dagegen gelang,
die Akademie vom Einfluß Woellners zu bewahren - interessanterweise, indem
man ihn als Mitglied berief und dem Aufklärungsgegener so keinen Anlaß gab,
gegen die Institution vorzugehen - bewertet Harnack dagegen als
"Hertzbergs Verdienst". (Harnack 1900, S. 504-505).
Verwendete Literatur:
Bringmann, Wilhelm: Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786-1797).
Frankfurt a. M. u.a.: Lang 2001.
Bailleu, Paul: Ewald Friedrich Graf von Hertzberg. In: Allgemeine
deutsche Biographie. Hrsg. von der historischen Kommission bei der königl.
Akademie der Wissenschaften in München. Bd. 12 Hensel-Holste. Leipzig:
Duncker & Humblot 1880, S. 241-249.
Harnack, Adolf: Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der
Wissenschaften. Bd. 1.2: Vom Tode Friedrich des Großen bis zur
Gegenwart. Berlin: Reichsdruckerei 1900.
Ranke, Leopold von: Die deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche
Geschichte 1780-1790. Leipzig: Duncker & Humblot 1875 (= Sämtliche
Werke Bd. 31.32).
Sedlarz, Claudia: Ruhm oder Reform? Der Sprachenstreit um 1790 an der
königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin. In: Goldenbaum,
Ursula und Kosenina, Alexander (Hrsg.): Berliner Aufklärung.
Kulturwissenschaftliche Studien Bd. 2. Hannover: Wehrhahn 2003,
S.245-276.
BS und SH